Teresa Berger
Story der Woche

Teresa Berger: «Ich habe schon mit Papst Franziskus konzelebriert»

Die Liturgiewissenschaftlerin Teresa Berger (66) hätte an der Uni Freiburg Professorin werden sollen. Doch der Vatikan verweigerte ihr die Lehrerlaubnis. Dafür machte sie an der Elite-Uni Yale Karriere. Sie würdigt Monika Schmid als «eine liturgisch wache Frau mit spiritueller Tiefe».

Jacqueline Straub

Sie haben das YouTube-Video von Monika Schmids Konzelebration gesehen. Was ist Ihnen aufgefallen?

Teresa Berger*: Ich sehe in Monika Schmid eine liturgisch sehr wache und engagierte Frau mit spiritueller Tiefe. Nach dem Video wurde mir interessanterweise ein weiteres Video angezeigt, das einen spanischen Titel trug. «Skandal» war in Grossbuchstaben geschrieben. Die Konzelebration von Monika Schmid hat offensichtlich weltweit Wellen geschlagen. Das ist nicht unbedingt ein Grund zum Jubeln.

Warum?

Berger: Es gibt Vorurteile über die Kirche im deutschen Sprachraum. Eine Frau, die konzelebriert, bestärkt die Meinung vieler Konservativen, dass eine Grenze überschritten wurde.

Wie wirkt das Video auf Sie?

Berger: Ich arbeite an einer ökumenisch geprägten «Divinity School», an der knapp 40 christliche Traditionen vertreten sind. Gemeinsame Gottesdienste und das gemeinsame Stehen sehr verschiedener Menschen am Altar sind für uns normal. Daher war ich auch nicht schockiert, als ich das Video gesehen habe.

«Konzelebration ist kein priesterliches Privileg.»

Wie schätzen Sie Monika Schmids Konzelebration als Liturgiewissenschaftlerin ein?

Berger: Das Video kann mit verschiedenen Brillen angeschaut werden. Es gibt etwa die kirchenrechtliche Brille. Für mich als Wissenschaftlerin ist die kirchenrechtliche Brille eine mögliche, aber nicht die erste, die ich aufsetze.

Welche Brille setzen Sie als erstes auf?

Berger: Etwa die pastoral-theologische oder die liturgie-theologische Brille. Durch die liturgie-theologische Brille schauend, muss ich sagen: Konzelebrieren, das heisst ja eigentlich: gemeinsam feiern alle, die an einem Gottesdienst teilnehmen. Ich selber zelebriere also seit meiner Taufe bei jeder Liturgie, an der ich teilnehme. Konzelebration ist somit kein priesterliches Privileg. Bei einem Gottesdienst mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz konzelebrieren wir alle mit ihm.

Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.
Monika Schmid während ihres Abschiedsgottesdienstes.

Durch die pastoral-liturgische Brille gesehen frage ich, was die Idee der Gemeinde war, diese Liturgie zu feiern. Die Gemeinde selbst scheint bei diesem Gottesdienst sehr engagiert mitzufeiern. Ich kann das Video aber auch von der digital-technologischen Perspektive anschauen und fragen, warum genau dieser spezifische Kamerablickwinkel so gewählt wurde und kein anderer. Oder ich setze die geschichtliche Brille auf und schaue das Video von der Frauenforschung herkommend an.

Bei der Taufe zeichnet der Priester mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn des Kindes.
Bei der Taufe zeichnet der Priester mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn des Kindes.

Was sehen Sie dann?

Berger: So wie ich Liturgiegeschichte sehe und interpretiere, ist es nicht das erste Mal in den letzten 2000 Jahren, dass eine Frau am Altar zelebriert hat.

Heute steht bei der Feier der Eucharistie aber meist nur ein Priester am Altar.

Berger: Selbst wenn es so aussieht, als ob der Priester das alleine macht, ist das in Wirklichkeit nicht der Fall. Liturgie war immer ein gemeinsames Handeln aller, die den Gottesdienst feierten – und wird es auch immer bleiben. Eben weil wir alle aufgrund der Taufe alle konzelebrieren, auch wenn nicht alle als Vorsteher der Feier handeln.

«Wir wissen über die ersten drei Jahrhunderte wenig.»

Wann wurde in der Kirchengeschichte beschlossen, dass nur Männer die Einsetzungsworte sprechen dürfen?

Berger: Diesen einen Moment oder Punkt gibt es nicht. Liturgie ist über Jahrhunderte in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten gewachsen und hat sich verändert.

Wie haben die frühen Gemeinden Eucharistie gefeiert?

Berger: Wir wissen über die ersten drei Jahrhunderte wenig. Es gibt fragmentarische Quellen, die sehr divers sind – also alles andere als einheitlich und linear. Deutlich ist, dass es eine grosse Breite und eine diffuse Ämterstruktur gab. Ich sehe in den Quellen mindestens drei Formen von Gemeindeleitung und liturgischer Leitung. Zwei von diesen drei Formen haben Frauen nicht ausgeschlossen.

Um was für Ämter geht es?

Berger: Das eine war die Gemeindeleitung und liturgische Leitung aufgrund von charismatischer Begabung, also durch Wanderprediger und Wanderpredigerinnen. Das zweite war eine liturgische Leitung aufgrund der Funktion als Hausvorsteherin oder Hausherrin. Das sehen wir bereits im Neuen Testament. Und das dritte ist ein hierarchisches Amt mit einem Bischof an der Spitze, umgeben von Presbytern und Diakonen. Die letzte Form hat sich durchgesetzt. Ebenso, dass nur Männer diese Ämter bekleiden dürfen – auch wenn es Frauen als Diakoninnen gab.

Müssen wir trotz historischer Präzedenzfälle die patriarchal geprägte Entwicklung einfach hinnehmen?

Berger: Man kann das Rad nicht zurückdrehen. Aber Entwicklung heisst ja, dass etwas nicht vom Himmel gefallen ist. Es zeigt auch, dass Weiterentwicklung möglich ist. Wir haben immer wieder prophetische Gegenbewegungen im Leben der Kirche, die fundamentale Neuorientierungen bringen.

Monika Schmid
Monika Schmid

Zeigt sich im Tun von Monika Schmid solch eine prophetische Gegenbewegung?

Berger: Das kann gut sein.

Ist Monika Schmid ihrer Zeit voraus?

Berger: Wir leben inmitten einer Klimakatastrophe, da ist es für mich unklar, was «ihrer Zeit voraus» noch heissen kann. Inzwischen ordne ich sogar Frauenfragen in der katholischen Kirche, die mich ja selber betreffen, diesem grossen planetarischen Notstand unter.

«Die Frage ist doch, was die Menschen im Gottesdienst erleben.»

Ist die Wandlung, die von einer Frau vollzogen wird, gültig?

Berger: Das katholische Kirchenrecht sagt, dass eine Wandlung, die von einer Frau vollzogen wird, nicht gültig ist. Aber es gibt interessantere Fragen als die kirchrechtliche.

Welche denn?

Berger: Die Frage ist doch, was die Menschen im Gottesdienst erleben. Erfahren Sie Gottes Gegenwart? Können Sie sich der Gnade öffnen? Diese Frage finde ich produktiver als zu fragen, wo Gültigkeit anfängt und aufhört.

Slogan des Kirchenfrauenstreiks von 2019: Gleichberechtigung. Punkt. Amen
Slogan des Kirchenfrauenstreiks von 2019: Gleichberechtigung. Punkt. Amen

Sollten wir dem Beispiel Monika Schmids folgen und einfach machen – ohne auf Änderungen von Rom zu warten?

Berger: Ich denke, dass der Weg, den Monika Schmid gegangen ist in ihrer pastoralen Arbeit, ein möglicher Weg ist.

Verstehen Sie die Ungeduld vieler Frauen?

Berger: Ich selbst teile viel von dieser Ungeduld. Ich möchte den Weg, den Monika Schmid geht, achten. Gleichzeitig möchte ich aber auch andere Frauenstimmen in der Kirche achten, die sich in Monika Schmids Handeln ganz und gar nicht wiederfinden. Das ist mein Commitment, als Frau, an alle Frauen in ganz diversen Kontexten. Wir dürfen auch immer wieder einen Perspektivenwechsel vornehmen: Bei einem Besuch in einem Karmelitinnen-Kloster fragte meine Studentin die Priorin, ob sie es nicht fürchterlich finde, dass immer ein Mann für die Eucharistiefeier kommen müsse. Die Priorin lachte und sagte: Er dient doch uns! Er macht das, was wir ihm sagen.

Jesuitenkirche Luzern
Jesuitenkirche Luzern

Welches Ziel hat eigentlich Liturgie?

Berger: Das Ziel der Liturgie ist, dass wir uns gemeinsam unter sakramentalen Zeichen diesem grossen Geheimnis nähern, das wir Gott nennen.

Und wie wird dieses Ziel am besten erreicht?

Berger: Indem wir uns für den Heiligen Geist öffnen. Die erste Antwort kann nicht sein, indem Menschen eine gute Liturgie konstruieren oder zelebrieren. Es ist der Geist, der lebendig macht, und der Geist, der in uns betet, weil wir nicht wissen, wie wir beten sollen.

«Verbote sind auch als Hinweise auf bestehende Gegebenheiten zu lesen.»

Wie vielfältig war das Spenden von Sakramenten im Laufe der Kirchengeschichte?

Berger: Ein Beispiel für die Vielfalt der Liturgiegeschichte sind etwa die merowingischen Äbtissinnen des frühen Mittelalters. Sie hatten in ihrer Gemeinschaft weitreichende liturgische Kompetenzen. Die Schwestern bekannten vor der Äbtissin ihre Sünden und erhielten von ihr den Zuspruch der Vergebung.

In der Kirchengeschichte wurden auch immer wieder Verbote ausgesprochen, dass Frauen nicht an den «heiligen Altären» stehen und zelebrieren dürfen. So etwa Papst Gelasius I. im Jahr 494.

Berger: Nun, die Verbote, etwa dass Frauen keine Sakramente spenden dürfen, sind auch als Hinweise auf bestehende Gegebenheiten zu lesen.

Charlotte Küng-Bless im Einsatz
Charlotte Küng-Bless im Einsatz

Die Seelsorgerin Charlotte Küng-Bless salbte einen alten Menschen. Von kirchenrechtlicher Perspektive darf das Krankensakrament nur ein Priester spenden.

Berger: Was ist das Problem? Sie hat einem sterbenden Menschen aus dem Glauben heraus etwas Gutes getan. Ist es im kirchenrechtlichen Sinne eine Krankensalbung? Nein. Kann die Salbung eines kranken Menschen Gnade vermitteln? Ja.

Gibt es Beispiele in der Kirchengeschichte, wo Verbotenes in der Pastoral einfach gemacht wurde, was heute völlig normal ist?

Berger: Nur ein kleines Beispiel sei hier genannt: Früher wurde in der Messe nur von «Brüdern» geredet. In meiner Gemeinde nannten wir auch die «Schwestern», erst später wurde das offiziell in die Texte eingefügt. Das wurde als grosser Fortschritt feiert.

«Liturgie verändert sich und muss immer wieder angepasst werden.»

Ist es doch auch, nicht wahr?

Berger: Nun ja, heute stehen wir vor dem Problem, dass mit dieser Anrede «Brüder und Schwester» ein binäres Geschlechterverständnis festgeschrieben wurde und das nonbinäre Geschlecht nicht angesprochen ist. Liturgie verändert sich und muss immer wieder angepasst werden.

Was verstehen Sie unter Transsubstantiation?

Berger: Wenn man mit aristotelischen Kategorien arbeiten kann, ist das gedanklich eine sehr gelungene Lösung für zwei fundamentale Wahrheiten, die liturgietheologisch zusammenzuhalten sind. Das eine ist, dass man festhalten will an der wirklichen Präsenz Christi in den eucharistischen Elementen. Und das andere ist, dass unsere Sinne uns sagen, dass es weiterhin Brot und Wein sind. Das Problem ist aber, dass die meisten Menschen nichts mehr von aristotelischen Kategorien verstehen. Das sind nicht mehr die Kategorien, mit denen wir arbeiten und leben.

Fresko mit der Weihnachtsszene - stillende Muttergottes mit Jesuskind und schlafender Josef
Fresko mit der Weihnachtsszene - stillende Muttergottes mit Jesuskind und schlafender Josef

Und was verstehen Sie persönlich darunter?

Berger: Gerade als Frau ist es mir wichtig, an der Wahrheit, für die die Transsubstantiation Kategorien des Verstehens bietet, festzuhalten. Denn das Körperliche ist mir wichtig. Zu sagen, Christus ist wirklich leiblich gegenwärtig in Brot und Wein, nicht nur in einer Idee.

Wie kann ich mir Leib und Blut Christi besser vorstellen, wenn ich es mit Brot und Wein zu tun habe?

Berger: Gott nährt uns mit sich selber, mit seinem eigenen Leib. Ein Bild, das diese Wahrheit  meiner Meinung nach hilft zu erklären, ist eine Mutter, die ihr Kind stillt. Da gibt die Frau etwas von ihrem eigenen Leib zur Nahrung für einen anderen Menschen. Und dieser Vorgang ist ganz elementar, ganz normal, ganz alltäglich, möchte man sagen. Von daher überrascht es nicht, dass es die Vorstellung von der Eucharistie als Stillvorgang auch im eucharistischen Gedankengut der Kirche gibt, nicht zuletzt in der frühen Kirche. Gott nährt uns mit Gottes Leib.

Maria Regli studierte in Freiburg Theologie.
Maria Regli studierte in Freiburg Theologie.

Worauf wollen Sie hinaus? Eine Mutter stillt ihr Kind mit Milch, nicht mit etwas Verwandeltem.

Berger: In der Vorstellungswelt der frühen Kirche wurde Muttermilch verstanden als das verwandelte Blut der Frau, dass für das Neugeborene eben in Milch verwandelt war.

«Einer der Vorwürfe war, dass ich das Geschlecht Gottes verändert hätte.»

Sie stammen aus Deutschland und leben seit vielen Jahren in den USA. Was war der Grund für Ihre Auswanderung?

Berger: Ich wollte nach meinem Postdoc-Aufenthalt in den USA nach Europa zurückkehren. Ich hatte sieben Lehrstuhl-Angebote im deutschsprachigen Raum. Unter anderem an der Universität Freiburg im Üechtland. Mir wurde zweimal das «Nihil obstat» von Rom verweigert. Ich habe mir zwar ein rechtliches Gehör erkämpft und einen Prozess vor dem vatikanischen Gerichtshof gegen diese Verweigerungen angestrebt, aber ohne Erfolg.

Welche Gründe nannte der Vatikan?

Berger: Es war ein bunter Strauss an Gründen. Ich war etwas überrascht über die theologische Unschärfe, die von Rom kam. Einer der Vorwürfe war, dass ich das Geschlecht Gottes verändert hätte. Ich wusste gar nicht, dass Gott ein Geschlecht hat!

«Der Vatikan stellte meine katholische Identität in Frage.»

Wie kam der Vatikan auf diese Idee?

Berger: Ich hatte einen Artikel über Inkulturation geschrieben und gefragt, warum es für uns kein Problem ist, Jesus am Kreuz visuell als Schwarzen, Asiaten oder Lateinamerikaner darzustellen, aber eine Frau am Kreuz oder ein Mädchen als Christus in der Krippe Panik hervorrufen würde. Ein anderer Grund, warum mir der Vatikan die Lehrerlaubnis nicht gab, war, dass ich neben meinem katholischen Theologiestudium auch universitäre Abschlüsse in anglikanischer und evangelischer Theologie habe und ökumenisch aktiv war. Der Vatikan stellte meine katholische Identität in Frage.

Was sagten Sie darauf?

Berger: Die Antwort war einfach: Wenn ich all diese Kirchen kenne und schätze und trotzdem katholisch bin, dann muss das doch etwas bedeuten.

* Teresa Berger (66) ist Liturgiewissenschaftlerin an der US-amerikanischen Elite-Universität Yale. 2003 erhielt sie den Herbert-Haag-Preis.


Teresa Berger | © zVg
25. November 2022 | 05:00
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