Tänzerin in den Farben der Jungfrau Maria (links)
Schweiz

Tänzerin wie Madonnen-Statue: «Ave Maris Stella» im Kloster Wettingen spielt mit Tanz, Musik und Licht

Die Klosterfestspiele Wettingen zeigen ab Samstag «Ave Maris Stella». Das ist ein Gesamtkunstwerk aus Tanz, Musik, Licht und Raum, bei dem sich Darbietung und Publikum durch die Klosterräume bewegen. Kath.ch hat die Choreografin Brigitta Luisa Merki beim Proben getroffen.

Boris Burkhardt

Brigitta Luisa Merki kennt sich mit Klöstern aus. Die Choreografin hat regelmässig in der Klosterkirche Königsfelden in Windisch AG und im Kloster Fahr bei Unterengstringen ZH inszeniert. Merki ist künstlerische Leiterin des Tanzfestivals Tanz & Kunst Königsfelden

Brigitta Luisa Merki
Brigitta Luisa Merki

Sie ist bekannt dafür, dass sie intensiv mit den Orten arbeitet, an denen ihre Aufführungen in Musik und Tanz und ohne gesprochenes Wort stattfinden. Da wundert es nicht, dass die diesjährigen Klosterfestspiele Wettingen unter ihrer künstlerischen Leitung nicht wie bisher auf einer Bühne im Osthof des Klostertrakts stattfinden.

«Meeresstern» und Jungfrau Maria

Mit «Ave Maris Stella» wählte Merki den Titel eines mehrfach vertonten lateinischen Hymnus zum thematischen Dach ihrer Inszenierung. Der «Meeresstern» ist einer der vielen Namen für die Jungfrau Maria.

Meeresstern, Meerjungfrau oder die Jungfrau Maria: Andeutungen im Titel «Ave Maris Stella».
Meeresstern, Meerjungfrau oder die Jungfrau Maria: Andeutungen im Titel «Ave Maris Stella».

Die Legende erzählt, dass der Wettinger Adlige Heinrich II. von Rapperswil als Kreuzfahrer in Seenot geriet und die Muttergottes um Hilfe anflehte und ihr bei Rettung ein Kloster versprach. Maris Stella ist deshalb die Schutzpatronin des einstigen Zisterzienserklosters in Wettingen AG seit seiner Gründung 1227; der Stern findet sich auch im Wappen der Gemeinde.

Musikalisch-tänzerisches Wandertheater

Der Festspielverein als Veranstalter liess Merki freie Hand. Die Künstlerin sah sich zunächst intensiv die Räumlichkeiten des Klosters an, das Teil des «Museum Aargau» ist und in dem sich heute die Kantonsschule Wettingen befindet, wie sie bei einem Besuch von kath.ch während der Proben erzählt.

Die Aufführungen ab der Premiere am 14. Juli werden nämlich nicht an einem Ort stattfinden, sondern wandern mit dem Publikum durch das Kloster von einem Raum zum anderen.

Mann-Frau-Begegnung im Tanz
Mann-Frau-Begegnung im Tanz

Bach, Grieg, Schubert, Pergolesi erfüllen die Räume durch vier Solisten, das Streichquintett der Argovia Philharmonic und die Organistin Dessislave Genova. Die je fünf weiblichen und männlichen Tänzer stammen aus Merkis Compagnie Tanz & Kunst.

Lichtspiele in den Räumen

Genauso wichtig wie die Klänge und Bewegungen sind im Gesamtkunstwerk Merkis die Räume und das Licht: Die enge Marienkapelle im warmen Abendlicht um 20.30 Uhr hat ihre ganz eigene Atmosphäre; ebenso die hohe Laienkirche um 22.00 Uhr im starken Kontrast zwischen Bühnenlicht und Dunkelheit. Im Dämmerlicht in der Mönchskirche mit ihrem hohen Chorgestühl sind die einzelnen Tänzer in beiger Kleidung auf den ersten Blick fast den marmornen Engelsfiguren gleich. 

Tänzerin in Marienfarben

Zu Beginn in der Marienkapelle sind es zwei Tänzerinnen, die sich nicht ohne keusche Erotik in langsamen, eleganten und synchronen Bewegungen zweimal ihrer Mäntel entblättern – wie eine Blüte, die vergeht und neu entsteht, der Eindruck der Rose als Marienblume verstärkt durch das bordeauxfarbene Blumenmuster auf den schwarzen Umhängen.

Jungfrau Maria - im Hintergrundbild und von der Tänzerin dargestellt
Jungfrau Maria - im Hintergrundbild und von der Tänzerin dargestellt

Am Ende wirft sich in der Kirche eine Tänzerin über ihre beige Tanzkleidung einen Umhang in den typischen Marienfarben Blau und Rot und wird von den übrigen Tänzern auf den Händen getragen wie eine Madonnenstatue in der Prozession.    

Tanz in Variationen

Schwarz, Rot und Beige sind die einprägsamen Farben der Tänzer, die sie in verschiedenen Kombinationen tragen, als Hosen, als Ballettröcke, als Ballkleider, als knöchellange Lendenschürze. Es tanzen Frauen, zu zweit, zu dritt, allein, an Steinsäulen, auf Podesten, durch holzgetäfelte Räume, es tanzen die Männer zu viert in synchronen Bewegungen, die an die kontrollierte Aggressivität asiatischer Kampfkünste erinnern, zu fünft im hitzigen Dialog, als ob sie sich unablässig einen Ball zuwürfen.

Beim Besuch von kath.ch spielt Merki erstmals das ganze Stück mit den Umzügen von Raum zu Raum durch – mit zwei Mitarbeitern von Museum Aargau als Minipublikum. Später werden dann zwei Gruppen mit je 25 Gästen durch die Gänge geführt, vorbei an Mathe-, Physik- und Informatiksälen und über Wendeltreppen; sie treffen sich später wieder.

Verlangen wonach? Tanz der Männer an den aktuellen Klosterfestspielen Wettingen
Verlangen wonach? Tanz der Männer an den aktuellen Klosterfestspielen Wettingen

«Wir schweigen, als ob noch Mönche im Kloster lebten.»

Brigitta Luisa Merki, Choreografin

«Die Türen müssen alle offen bleiben», stellt Merki fest, als sie einige schwere Glastüren entgegen der Laufrichtung aufziehen muss. Intensiv werden die Bewegungsmöglichkeiten für Rollstuhlfahrende während der Umzüge besprochen. Während des Ortswechsels soll Schweigen herrschen, um die Atmosphäre nicht zu zerstören: «Wir schweigen, als ob noch Mönche im Kloster lebten», sagt Merki.   

Kräftiger Männertanz rund um einen Tisch im ehemaligen Kloster Wettingen
Kräftiger Männertanz rund um einen Tisch im ehemaligen Kloster Wettingen

Zeitreise durch Räume

Die unterschiedlichen Baustile der Räume vermitteln ausserdem das Gefühl einer Zeitreise. Diese führt von der Sommerabtei mit Keramikkachelofen und Holzvertäfelung – ähnlich eines Landhauses des 18. Jahrhunderts, über die moderne, funktionale aber dennoch in weichem Holz gehaltene Schulcafeteria des 21. Jahrhunderts bis hin zur mit barockem Pomp überladenen Klosterkirche aus dem 13. Jahrhundert mit ihrem hoch aufragenden hölzernen Chorgestühl.   

Auch die Musizierenden gehen mit

Auch die Musik ist nicht nur Teil des akustischen Erlebnisses. Das Streichquintett sitzt mal nur zum Teil sichtbar im Nebenzimmer, mal auf einer Balustrade wie in einem Ballsaal, mal mitten im Altarraum auf einem Podest. Das Finale in der Laienkirche ist auch der optische Höhepunkt der Musiker, die sich hier mit den Solisten zwischen den Bänken verteilen: Schon allein als reines Konzert wäre diese Inszenierung ein sehr eindrückliches Erlebnis.

Musizierende im Vordergrund - bei der Aufführung der klösterlichen Tanzsuite
Musizierende im Vordergrund - bei der Aufführung der klösterlichen Tanzsuite

Inputs vom Musikpädagogen

Auch Andreas Zinniker ist als Teil des kleinen Probepublikums anwesend. Er ist Klarinettist und beim Kantonsorchester Argovia Philharmonic für Musikpädagogik verantwortlich. Für «Ave Maris Stella» übernahm er die Vorauswahl der Stücke und beriet Merki musikalisch und raumakustisch.

Prominent sind im Stück der Chor «Wir setzen uns mit Tränen nieder» und die Arie «Erbarme dich» aus Bachs Matthäus-Passion zum Finale in der Laienkirche, die Vertonungen von «Ave Maris Stella» von Bernhard von Clairveaux und von Edvard Grieg sowie zweimal «Stabat Mater Dolorosa» von Giovanni Battista Pergolesi und Andreas Zurbriggen.

Weltlich aufgelockert

Aufgelockert wird die musikalische Darbietung unter anderem mit weltlichen Kompositionen des brasilianischen Nationalkomponisten Heitor Villa-Lobos, dem «Ständchen» von Franz Schubert und einem «Scherzo» von Franz Lachner.

Tanz und Musik in Einklang: «Ave Maris Stella» in den Räumen des ehemaligen Zisterzienserklosters
Tanz und Musik in Einklang: «Ave Maris Stella» in den Räumen des ehemaligen Zisterzienserklosters

Zinniker schwärmt Merki gegenüber, welch schönen Übergang die «Toccata» von Gaston Bélier an der Orgel bilde, wenn die Aufführung von der Mönchs- in die Laienkirche wechsle: «Der Chor der Matthäus-Passion nimmt die gleiche Tonart wieder auf.»

Zum Schluss dankt Merki ihrem internationalen Künstlerensemble auf Englisch: Ihre Inszenierungen in Tanz, Musik und Raum sind die ersten Klosterfestspiele, die für alle ohne Worte zu verstehen sind.         

Kartenvorverkauf und weitere Informationen


Tänzerin in den Farben der Jungfrau Maria (links) | © Alex Spichale
13. Juli 2023 | 15:43
Lesezeit: ca. 5 Min.
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