Kardinal Gerhard Ludwig Müller
Analyse

Synode: Kardinal Gerhard Müller bricht als erster die Geheimhaltung

Die erste Woche der Weltsynode im Vatikan ist zu Ende. In Erinnerung bleiben die Störaktionen von konservativen Kardinälen. Gerhard Ludwig Müller (75) hielt sich nicht an das Schweigegebot und gab bereits am ersten Tag ein Videointerview. Es kursierte ein kritischer Brief des chinesischen Kardinals Joseph Zen (91). Und ein afrikanischer Amtsträger will nicht über Homosexuelle sprechen. Die konservativen Zweifler sind eine kleine, aber lautstarke Fraktion.

Charles Martig

Von Anfang an war der Mediendruck auf die Weltsynode sehr gross. Viele Journalisten und Journalistinnen sind in Rom und möchten über diesen wichtigen Event berichten. Aber sie werden mit Allgemeinplätzen abserviert. In den täglichen Medien-Briefings der «Sala Stampa» geht es um Prozesse und eine allgemeine Nennung von Themen. Wer welche Positionen vertritt, das bleibt unbekannt. Öffentlichkeit und Transparenz sind unter solchen Bedingungen enorm erschwert.

Geheimhaltung für alle Teilnehmenden der Synode

Papst Franziskus will die Synode als einen intimen Raum des Gesprächs, des Gebets und des Unterscheidens verstanden wissen. Das Reglement der Synode sieht vor, dass es für alle Teilnehmenden eine Geheimhaltung gibt.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller an seinem letzten Amtstag als Leiter der Glaubenskongregation, 2017.
Kardinal Gerhard Ludwig Müller an seinem letzten Amtstag als Leiter der Glaubenskongregation, 2017.

Anders als zuvor befürchtet, stehen die Beratungen aber nicht unter dem päpstlichen Geheimnis, der höchsten kirchlichen Geheimhaltungsstufe. Dennoch werden alle Teilnehmenden auf Vertraulichkeit und Diskretion verpflichtet hinsichtlich ihrer eigenen Beiträge und denen anderer. Diese Pflicht besteht auch nach der Versammlung fort. Die Teilnehmenden dürfen auch keine Ton- und Filmaufnahmen von ihren Beiträgen machen.

Gerhard Müller durchbricht Geheimhaltung ungestraft

Nun hat ausgerechnet Kardinal Gerhard Ludwig Müller das Reglement in diesem Punkt gebrochen. Er stand bereits am ersten Tag dem konservativen Videoportal EWTN Rede und Antwort. Das irritierte, weil dadurch seine Position und Hausmacht sichtbar wurde. Welche Konsequenzen hat ein solcher Bruch des Reglements? Auf eine diesbezügliche Frage eines Journalisten an den Mediensprecher der Synode, Paolo Ruffini, lachte dieser. Und sagte dann, das Brechen von Regeln bedeute nicht, «dass ein Polizist sie bestrafen wird».

Paolo Ruffini ist Präfekt des vatikanischen Kommunikations-Dikasteriums und Mediensprecher der XVI. Weltbischofsynode.
Paolo Ruffini ist Präfekt des vatikanischen Kommunikations-Dikasteriums und Mediensprecher der XVI. Weltbischofsynode.

Paolo Ruffini erklärte: «Es handelt sich um eine Versammlung von Brüdern und Schwestern, die sich in dieser besonderen Zeit dazu entschieden haben, frei zu sprechen. Und natürlich gibt es eine persönliche Entscheidung in dieser Hinsicht.» Dabei verwendete Ruffini den Begriff «discernimento», was so viel wie «Unterscheidungsvermögen» heisst. Mit diesem Wort verwies er auf eine Methode von Papst Franziskus, der die Kunst der Unterscheidung wiederholt unterstrichen hat.

«Wir reden nicht von Bestrafung», ergänzte Ruffini. «Wir sprechen über die persönliche Unterscheidung in dieser Sache», führte der Mediensprecher der Synode aus. Er sagte damit implizit, dass Gerhard Müller keine Sanktionen zu befürchten hat. Offensichtlich können sich bestimmte Synodenteilnehmer in Sachen Öffentlichkeit mehr leisten als andere.

Machtgefälle in der öffentlichen Kommunikation

Das Machtgefälle wird vor allem deutlich, wenn das Gespräch mit den Laienvertreterinnen gesucht wird. Sie sind besonders darauf bedacht, die Vertraulichkeit der Gespräche zu beachten und geben Journalisten keine Auskunft. Interviewanfragen müssen sie ablehnen. Bereits hier ist ein Machtgefälle in der Synode sichtbar.

Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, emeritierter Bischof von Hong Kong (China), 2020
Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, emeritierter Bischof von Hong Kong (China), 2020

Neben Gerhard Müllers Medienauftritt machte auch ein Schreiben von Kardinal Joseph Zen in der Synodenaula die Runde. In diesem Schreiben vom 21. September warnte der frühere Bischof von Hongkong, durch die Ausweitung des Begriffs der Synodalität entstehe Verwirrung.

«Effizient in der Kunst der Manipulation»

Kardinal Zen bemängelte: Einerseits werde behauptet, dass Synodalität für die Kirche schon immer ein wesentliches Element gewesen sei. Andererseits werde gesagt, dass Synodalität etwas Neues sei, das Gott als Antwort der Kirche auf die aktuellen Herausforderungen erwarte. Ironisch fragte Zen in seinem Schreiben: «Wie kann Gott vergessen haben, seine Kirche in den 20 Jahrhunderten ihrer Existenz dieses konstitutive Element leben zu lassen?» Zudem warnte der Kardinal vor dem Synodensekretariat, das «sehr effizient in der Kunst der Manipulation» sei.

Vom passiven in den aktiven Widerstand

Auch am Beispiel Joseph Zen lässt sich anschaulich zeigen, dass Kritiker des Papstes die Medienöffentlichkeit suchen und gar nicht im Sinn haben, die Geheimhaltung zu respektieren. Mehr noch: Die «Dubia»-Kardinäle, die sich bereits vor der Synode mit ihren Zweifeln öffentlich gemeldet haben, gehen vom passiven zum aktiven Widerstand über. Sie nutzen dazu die Medienöffentlichkeit.

Streithähnen den Boden entziehen

Wo steht nun Papst Franziskus in diesem taktischen Spiel? Er will den alten Streithähnen den Boden entziehen. Sein ceterum censeo lautet: «Die Synode ist kein Parlament. Sie ist eine Synode über Synodalität.» Er zielt darauf, die ganzen Konflikte und Debatten auf eine neue Ebene zu heben. Er nennt das «synodal» und pocht auf geistliche Übungen wie Exerzitien, Gebete, Unterscheidung. Für die zweite Woche ist gar eine Pilgerfahrt angekündigt.

Papst Franziskus bei seiner Eröffnungsrede an der Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI.
Papst Franziskus bei seiner Eröffnungsrede an der Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI.

Währenddem der Papst das Wir-Gefühl der Synode aufbauen will und die Gemeinschaft der Kirche betont, verhalten sich verschiedene Teilnehmer sehr schlau und berechnend. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie bestimmte Themen ablehnen und den Dialog darüber verweigern. Sie können sich sogar hinter dem Stichwort der «Synode über die Synodalität» verstecken.

Warnung vor falschen Erwartungen

Am Samstag bestätigte der afrikanische Kardinal Fridolin Ambongo Besungu (63) vor den Medien, dass er nicht über den Umgang der Kirche mit Homosexuellen reden wolle. Er zog sich dabei auf die Position zurück, dass es um Verfahrensweisen der Kirchen gehe und nicht um die Besprechung von konkreten Themen. Er warnte vor falschen Erwartungen an die Synode.

Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, Erzbischof von Kinshasa (Kongo).
Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, Erzbischof von Kinshasa (Kongo).

Bereits nach einer Woche ist klar: Die Synode im Herbst 2023 widmet sich grundsätzlichen Fragen der geistlichen Einheit der Kirche: durch Gemeinschaft, Mission und Partizipation. Es wird kaum Weichenstellungen bei konkreten Themen geben. Dafür sorgen die konservativen Kardinäle mit ihrer Hausmacht in der Synodenaula und mit ihren Auftritten in der Öffentlichkeit. Geheimhaltung hin oder her.


Kardinal Gerhard Ludwig Müller | © Roberto Conciatori Photographer SBF
8. Oktober 2023 | 17:00
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