Papst Franziskus bei seiner Eröffnungsrede an der Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI.
Kommentar

Der Vatikan im Auge des Sturmes

Papst Franziskus hat bei der ersten Sitzung der Weltsynode über Synodalität gesagt, dass die Synode kein Treffen von Freunden ist, um Probleme zu lösen. Vielmehr will er den Heiligen Geist wirken lassen. «Die Kirche steht in einer schweren Krise und der Chef will über Stilfragen reden. Das ist kurzsichtig», meint Charles Martig im Kommentar zur Synodeneröffnung.

Charles Martig

Wer am Mittwochmorgen auf dem Petersplatz die Messe mit dem Papst feierte, hatte den Eindruck, dass im Vatikan die Welt immer noch heil ist: Wunderbare Liturgie, inspirierende Bibeltexte, eine anregende Predigt des Papstes. Hier fühlt man sich wie im stillen Auge eines Hurrikan. Auch wenn in der Schweiz der Sturm weht, gibt es im Vatikan weiterhin wunderbares Herbstwetter.

«Die Kirche steht in einer schweren Krise und der Chef will über Stilfragen reden. Das ist kurzsichtig.»

Papst Franziskus appelliert an die Journalisten und Kommunikatoren, genau hinzuhören. «Es soll vermittelt werden, dass das Zuhören auch in der Kirche wichtig ist.» Mit Verlaub: Die Kirche steht in einer schweren Krise und der Chef will über Stilfragen reden. Das ist kurzsichtig.

Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI. im Vatikan
Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI. im Vatikan

Aus der Schweiz gibt es konkrete Reformanliegen: Die Rolle der Frauen in der Kirche muss neu verhandelt werden. Die Macht von Bischöfen und Klerikern soll durch Gewaltenteilung kontrolliert werden. Ein neuer Umgang mit Missbrauchsbetroffenen ist dringend notwendig. Aus Prag gibt es zudem die starke Erwartung einer «radikalen Inklusion» als europäisches Anliegen, das heisst ein neuer Umgang mit queeren Menschen.

Diese Themen sind nicht nur in der Schweiz oder Europa auf der Liste der Anliegen. Auch auf anderen Kontinenten wurden Stimmen für rasche Reformumsetzungen laut.

«Papst Franziskus erteilt Reformanliegen eine Absage. Das ist gefährlich.»

Diesen Reformanliegen erteilt Papst Franziskus aber bereits am Anfang der Synode eine Absage. Er will nicht über diese Themen sprechen. Es geht ihm um den Stil der Kommunikation. Es geht ihm also um das «Wie» und nicht um das «Was». Das ist legitim, wenn es Papst Franziskus um eine kulturelle Veränderung in der Kirche geht. Aber es ist auch gefährlich. Denn das Resultat dieser Synode dürfte viele Katholikinnen und Katholiken enttäuschen.

«Der Reformstau schlägt voll durch.»

Aus der Organisationsentwicklung ist bekannt, dass kulturelle Veränderungen sehr schwer durchzuführen sind. Veränderung braucht viel Zeit. Aber diese Zeit hat die Kirche in Europa – und darüber hinaus auch in vielen anderen Ländern der Welt – nicht mehr. In Deutschland sind die Kirchenaustritte gewaltig angestiegen. In der Schweiz gibt es eine vergleichbare Entwicklung. Der Reformstau schlägt voll durch.

In dieser Situation über Kommunikation und Stilfragen zu sprechen ist reiner Luxus. In welcher Welt leben der Papst und die Kurie? Wenn die Begriffe «Synodalität» und «Heiliger Geist» dazu dienen, die Augen vor dem Reformstau zu verschliessen, ist die Kirche wohl auf dem Holzweg.

«Im Auge des Sturmes lebt es sich ruhig und schön, auch wenn die Welt auseinanderbricht.»

Papst Franziskus betonte in seiner Eröffnungsrede im Vatikan: «Wenn der Heilige Geist der Protagonist ist, dann wird es eine schöne Synode sein.» Das ist von aussen gesehen kaum nachvollziehbar. Im Auge des Sturmes lebt es sich ruhig und schön, auch wenn die Welt rund herum auseinanderbricht.


Papst Franziskus bei seiner Eröffnungsrede an der Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI. | © Vatican News
4. Oktober 2023 | 17:56
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