In der Schweiz funktioniert Kirche wegen des dualen Systems anders.
Kommentar

SVP gewinnt Wahlen haushoch: Kirche muss jetzt aufwachen und für Migranten einstehen

Die katholische Kirche in der Schweiz ist eine Migrationskirche. Sie besteht zu 40 Prozent aus Menschen, die aus dem Ausland kommen. Jetzt gewinnt die SVP die nationalen Wahlen. Sie hat vor der «10-Millionen-Schweiz» gewarnt und fremdenfeindliche Plakate eingesetzt. «Wir müssen in der Kirche über die Migrationspolitik streiten», sagt Charles Martig im Kommentar. «Sonst knallt es in Zukunft in der Kirche und im Schweizerland.»

Charles Martig

Die «Messerstecher-Plakate» sind in der Schweiz bekannt und berüchtigt. Auch im aktuellen Wahlkampf hat die SVP diese eingesetzt. Mit Wahlsprüchen wie «Messerstecherei in Asylantenheim. Wer das nicht will, wählt SVP», hat die Partei die Ängste gegenüber Flüchtenden geschürt. Und sie warnt vor der «10-Millionen-Schweiz». Die SVP ist offen fremdenfeindlich und hat damit Erfolg.

Ängste in der Bevölkerung – alles wird knapp

Was bedeuten die – gemäss Hochrechnungen – 29 Prozent der Stimmen für die SVP? Zuerst steht einmal mehr die Migrationspolitik im Zentrum. Die SVP hat davon profitiert, dass es eine Zuwanderung von 80’000 Menschen pro Jahr in der Schweiz gibt.

Jesus trifft auf SVP-Mann Bernhard Diethelm.
Jesus trifft auf SVP-Mann Bernhard Diethelm.

Gleichzeitig gibt es Ängste in der Bevölkerung. Viele Schweizerinnen und Schweizer fürchten sich vor Flüchtenden, vor sozialem Abstieg, vor einem Abrutschen in ein weniger wohlhabendes Leben, vielleicht auch Armut. In der politischen Deutung der SVP wird alles knapp: Wohnraum, Kaufkraft und Arbeitsplätze.

SVP-Sieg ist ein Problem für die Kirche

Zweitens ist der Gewinn für die SVP auch ein grosses Problem für die Kirchen. Gerade die katholische Kirche ist eine Migranten-Kirche. Es gibt Kantone, in denen bis zu 40 % der Kirchenmitglieder aus dem Ausland kommen. Sie pflegen ihre Sprache, ihre Kultur: Spanier, Italienerinnen, Portugiesen und Kroatinnen.

Gottesdienst mit Jugendlichen aus Spanien, Italien und Deutschland am 27. Juli 2023 in der Kirche Aguas-Boas in Oliveira do Bairro (Portugal) am Weltjugendtag 2023.
Gottesdienst mit Jugendlichen aus Spanien, Italien und Deutschland am 27. Juli 2023 in der Kirche Aguas-Boas in Oliveira do Bairro (Portugal) am Weltjugendtag 2023.

Viele Kulturkreise sind in der katholischen Kirche vertreten. Deshalb hat sich die Kirche immer gegen eine Verschärfung des Asylrechts eingesetzt. Deshalb haben viele Kantonalkirchen ihre Migrations-Seelsorge ausgebaut.

Über die Migrationspolitik streiten

Drittens ist aber auch ein Faktum, dass es in der katholischen Kirche starke Anteile von SVP-Wählerinnen und Wähler gibt. Das führt zu Spannungen. Wir können diesen Konflikt nicht mehr unter dem Deckel halten. Wir müssen in der Kirche über Migrationspolitik streiten.

Katholisch und SVP im Widerspruch

Wer sich als katholisch versteht, in einer Pfarrei engagiert und Mitglied einer katholischen Kirchgemeinde ist, muss sich bewusst werden: Katholische Kirche ist eine Migrations- und Migrantenkirche.

Bischof Joseph Bonnemain und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher.
Bischof Joseph Bonnemain und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher.

Wer SVP wählt und katholisch ist, lebt in einem Widerspruch. Und dieser Widerspruch wird immer grösser. Die Tendenz zur Migranten-Kirche steigt.

Aussitzen geht nicht mehr

Kirchenaustritte sind derzeit vor allem unter Schweizerinnen und Schweizern festzustellen. Die Zuwanderung federt den Verlust ab. Das heisst im Umkehrschluss, dass die katholische Kirche immer internationaler wird. Die Spannungen werden grösser: Aussitzen geht nicht mehr. 

Begegnung, Beteiligung und Migrations-Seelsorge sind wichtig

Was können Pfarreien, Kirchgemeinden und Kantonalkirchen tun? Die Begegnung zwischen Schweizerinnen und Migranten ist für die Kirche wichtig. Begegnung an gemeinsamen Anlässen sollte weiter gefördert werden. Das geht von Deutschkursen, über Rituale im Jahreskreis bis zu Vereinsanlässen.

Isabel Vasquez und ihr Team von Migratio in Freiburg
Isabel Vasquez und ihr Team von Migratio in Freiburg

Auch die Beteiligung von Migranten in Gremien wie Kirchenräten und Synoden ist entscheidend. Nur dort, wo es persönliche Begegnung und Diskussion gibt, kann gegenseitiges Verständnis wachsen.

Kirchgemeinden und Kantonalkirchen können ihre Angebote in der Migrations-Seelsorge ausweiten. Dabei ist es aber wichtig, dass das Verständnis zwischen Zugewanderten und Einheimischen gefördert wird. Sonst knallt es in Zukunft in der Kirche und im Schweizerland.


In der Schweiz funktioniert Kirche wegen des dualen Systems anders. | © kath.ch
22. Oktober 2023 | 16:43
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