Studie: Jeder dritte Gottesdienstbesucher geht in eine Freikirche

Schweiz:

Bern, 15.9.11 (Kipa) Jeder dritte Gottesdienstbesucher in der Schweiz geht in eine Freikirche: In den Freikirchen versammeln sich jedes Wochenende doppelt so viele Gläubige wie in reformierten Kirchen und nur ein Viertel weniger als in katholischen Kirchen – obwohl offiziell nur zwei Prozent der Schweizerinnen und Schweizer einer Freikirche angehören. Dies ist das Ergebnis einer Nationalfonds-Studie. Den Erfolg der Freikirchen führt die Untersuchung auf das aktive Missionieren dieser Kirchen zurück.

Religionssoziologen um Jörg Stolz von der Universität Lausanne haben erstmals gezählt, wie viele lokale religiöse Gemeinschaften aller Glaubensrichtungen in der Schweiz existieren, teilte der Schweizerische Nationalfonds zur Föderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) am Donnerstag mit. Gemeint sind damit alle Gruppen, die sich regelmässig an einem bestimmten Ort zu religiösen oder spirituellen Zwecken versammeln.

Zahlreiche freikirchliche Gruppierungen

Die Wissenschaftler identifizierten 5.734 Gemeinschaften und führten mit Verantwortlichen von 1.040 Gemeinschaften Interviews. Rund die Hälfte der Gemeinschaften gehört der römisch-katholischen (30,5 Prozent) oder der evangelisch-reformierten Kirche (19,1 Prozent) an. Deutlich mehr Gruppierungen als die Reformierten stellen aber die evangelischen Freikirchen mit 24,8 Prozent. Das sei erstaunlich, da gemäss der Volkszählung vom Jahr 2000 nur etwa zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung einer Freikirche angehören.

Während die Mitgliederzahl einer durchschnittlichen Gemeinde der beiden offiziellen Landeskirchen bei etwa 1.750 (römisch-katholisch) respektive 2.200 (evangelisch-reformiert) liegt, gehören einer mittleren Freikirche gerade einmal 72 Menschen an. Doch diese gehen alle regelmässig zur Kirche. Bei der Befragung gaben die Verantwortlichen der freikirchlichen Gemeinschaften an, dass sogar mehr Gläubige als Mitglieder (Quote von 111 Prozent) am letzten Gottesdienst teilgenommen hätten. Bei den Katholiken lag die Teilnahmequote dagegen bei 4 Prozent, bei den Reformierten sogar nur bei 3 Prozent.

Aktive Mitglieder der Freikirchen

Aufgrund dieser Zahlen schätzen die Forschenden, dass sich an einem gewöhnlichen Wochenende in der Schweiz 690.000 Menschen (jeder elfte Einwohner) versammeln, um ein religiöses Ritual durchzuführen: 38 Prozent in katholischen Kirchen, 29 Prozent in evangelischen Freikirchen, 14 Prozent in reformierten Gotteshäusern und knapp 11 Prozent in muslimischen Gemeinschaften.

Jedes Wochenende stellen die Freikirchen also bloss etwa 25 Prozent weniger Gottesdienstbesucher als die katholische Kirche und sogar mehr als das Doppelte der reformierten Kirchgänger, obwohl die Katholiken 30 Mal und die Reformierten 24 Mal mehr offizielle Mitglieder aufweisen als die evangelischen Freikirchen, heisst es in der Mitteilung weiter.

Die Studie bestätigt laut der Mitteilung, dass die etablierten Kirchen tendenziell kleiner werden. Bei den evangelischen Freikirchen gibt es klare Unterschiede: Während konservative Gemeinschaften (etwa der Brüderverein oder die Action Biblique) ebenfalls schrumpften, blieben klassische Gemeinschaften stabil (etwa Chrischona, Freie Evangelische Gemeinden). Charismatische Gemeinschaften wie Pfingstgemeinden oder der International Christian Fellowship (ICF) würden dagegen deutlich wachsen und hätten zudem ein deutlich jüngeres Publikum als die Volkskirchen.

Missionieren lohnt sich

Die religiöse und moralische Striktheit der Freikirchen spiele entgegen bisheriger Vermutungen keine entscheidende Rolle bei ihrem Erfolg, schreibt der SNF. Freikirchen gäben ihren Mitgliedern zwar klare Verhaltensvorschriften, doch dies begründe ihren Erfolg nicht. Als wichtigen Grund für das Wachstum macht die Studie vielmehr die aktive Suche nach neuen Mitgliedern aus. Fast alle Freikirchen ermutigen demnach ihre Mitglieder, neue Personen einzuladen, und viele schalten Inserate in Zeitungen.

Erhöht werden die Wachstumschancen laut der Studie auch, wenn eine Gemeinschaft Anstrengungen unternimmt, die Kinder der Angehörigen in ihrer religiösen Tradition aufzuziehen. Einige Glaubensrichtungen würden zudem profitieren von der Immigration. Das trifft auf die Muslime zu, aber auch auf die Lutheraner.

Die Untersuchung wurde im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» (NFP 58) durchgeführt.

(kipa/com/bal)

15. September 2011 | 10:57
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