Sternenhimmel
Radiopredigt

Sterne vom Himmel: Wie im Märchen, so auch im Leben

Radiopredigerin Susanne Cappus spricht über Märchenerzählungen, und was diese mit unserem Leben und Glauben zu tun haben. Im Selbsttest ahmte sie das «Mädchen mit den Sterntaler» nach und befand das Märchen für realitätsfremd. Erst Jahre später beeindruckte sie «die Haltung des Mädchens am absoluten Nullpunkt seines Lebens».

Susanne Cappus*

Liebe Hörerin, lieber Hörer! Märchen faszinierten mich schon als Kind. Stundenlang lag ich auf dem Bauch auf dem Bett, begegnete Drachen, schob mit Gretel eine Hexe in den Ofen oder zog dem Teufel seine drei goldenen Haare aus. Aber leider waren nicht alle Märchen so spannend, ja es gab auch richtige Ablöscher. Mit den «Sterntalern» der Gebrüder Grimm etwa bin ich als Kind nie warm geworden. Da ist dieses arme Mädchen. Seine Eltern sind gestorben. Es hat kein Kämmerchen, kein Bettchen, nur noch gerade die Kleider, die es trägt und ein Stückchen Brot in der Hand.

Von Bettchen, Kämmerchen et cetera

Allein schon die Häufung der Verkleinerungsformen, also Bettchen, Kämmerchen et cetera mochte ich nicht, und das Mädchen selbst fand ich sowas von lahm. Es ist gut und fromm und geht dann einfach im Vertrauen auf Gott aufs Feld. Kein Versuch, sich aus der misslichen Lage zu befreien, kein Plan, einfach gar nichts. Ja, das Mädchen schenkt sogar das Wenige, das es hat, an noch Ärmere weg: Leibchen, Röcklein und Hemdlein.

Schliesslich steht es völlig nackt und alleine mitten in der Nacht im dunklen Wald. Und dann tritt auch prompt das Wunder ein. Ich lese vor: «Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war von allerfeinstem Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.»

Sternenhimmel bei Nacht
Sternenhimmel bei Nacht

Ein Selbstversuch

Obwohl ich das Märchen der Sterntaler nicht mochte, liess es mich auch nicht los. Ich dachte nach. Wenn man also etwas haben wollte, dann musste man grosszügig sein und erst alles weggeben. Dann würde man mit dem, was man wollte, überhäuft werden. Das wollte ich ausprobieren. Und so setzte ich das mit kindlichem Eifer in die Tat um. Wenn jemand etwas von mir wollte, dann gab ich es. Immer wieder. Ich wartete. Und ich gab wieder. Aber da kam nichts zurück: weder Süssigkeiten, Spielzeug, Geld oder gar ein prickelndes Wunder. Ich hatte einfach immer weniger. Und so stoppte das Experiment. Als Teenager war ich dann im Religionsunterricht noch einmal sehr irritiert, als wir eine Aussage von Jesus vorgelegt bekamen. Jesus sagt da in seiner Bergpredigt:

«Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfliessendes Mass wird man in euren Schoss geben; denn eben mit dem Mass, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.» Sterntaler pur also. Aber ich wusste ja: Das mit dem Geben, das stimmt nicht. Ich hatte es schliesslich ausprobiert.

Geben und Nehmen
Geben und Nehmen

Am Nullpunkt

Es dauerte viel Jahre, bis ich ahnte, dass das Märchen von den Sterntalern und die Aussage von Jesus keine Anleitungen für gewinnbringendes Investieren sind. Beide haben eine Tiefe, die weit über das Materielle hinausgeht.

Heute, als Erwachsene, berührt mich die Haltung des Mädchens. Da heisst es: «Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel.» Dieses Mädchen ist buchstäblich am Nullpunkt. Und da ist keine Klage, kein Wutanfall. Das Mädchen hält das Nichts einfach aus. Es ist offen und es ist da. Und dann wird alles möglich, die Sterne fallen vom Himmel.

Fülle nach dem Nichts

Die Fülle nach dem Nichts, wenn Ansprüche aufgegeben werden, das ist etwas, was ich bei mir selber beobachten kann. Wenn gar nichts mehr geht und ich dann irgendwann einmal die Situation annehme, zeigen sich mir oft ungeahnte Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten sind zwar nicht immer die, die ich mir idealerweise gewünscht hätte.

Als ich vor Jahren einmal verzweifelt auf Wohnungssuche war und nichts fand, bot sich schliesslich eine letzte Möglichkeit. Ich konnte in ein Haus mit Garten ziehen, weil die Besitzerin meistens weg war. Nicht gerade das Übliche, aber es war eine gute Zeit und ich denke gerne daran zurück.

Sternenhimmel
Sternenhimmel

Offen sein

Die zweite Fähigkeit, die das Mädchen auszeichnet, ist Offenheit. Es steht da und es ist offen für das, was kommt. Ja, es vertraut darauf, dass etwas kommt. Und das sagt eigentlich auch Jesus mit seiner Aussage, die ich vorher erwähnte. Ich lese sie nochmals vor: «Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfliessendes Mass wird man in euren Schoss geben; denn eben mit dem Mass, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.»

Hier geht es nicht um einen Warenfluss, einen Warenaustausch im Sinne von «Was ich ins System reingebe, das kommt auch wieder raus». Das habe ich als Teenager falsch verstanden. Nein, hier geht es ganz zentral um Offenheit. Wer gibt, ist offen, offen für die Bedürfnisse des anderen. Das zeigt sich auch rein physisch. Wenn ich zum Beispiel einen Apfel verschenke, muss ich ihn loslassen. Dazu mache ich die Hand auf.

«Offenheit, Freude und Fülle sind göttliche Eigenschaften. Sie gehören zum Wesen Gottes.»

Geben ist immer Offenheit. Und nur wer offen ist, dem kann man dann auch etwas geben. Wenn wir beim Apfel bleiben. Ich kann ihn nicht nehmen, wenn meine Hand geschlossen bleibt. Das meint auch Jesus. «Gebt, so wird euch gegeben.» Seid offen für einander, dann hat jede und jeder genug und sogar noch mehr. Je offener ihr seid, desto mehr Fülle ist unter euch, desto mehr könnt ihr einander schenken und desto mehr kann Gott Euch schenken! Offenheit, Freude und Fülle sind göttliche Eigenschaften. Sie gehören zum Wesen Gottes.

Susanne Cappus
Susanne Cappus

Ein altes Lied aus der Bibel macht mir da immer wieder Mut, wenn ich in meinen Ängsten stecke und den Schritt in die Offenheit nicht machen mag. In Psalm 16 da heisst es von Gott: «Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.» Gott ist Leben, Freude und Fülle, und das will er oder sie auch für uns Menschen. Was es von mir her dazu braucht, sind Offenheit und Vertrauen.

Beeindruckende Haltung

Liebe Hörerin, lieber Hörer, das Märchen von den Sterntalern gehört immer noch nicht zu meinen Lieblingsmärchen. Zu viele Verkleinerungsformen, wie gesagt, und das gute, fromme Kind finde ich immer noch langweilig. Drachen und Hexen gefallen mir einfach besser. Aber die Haltung des Mädchens am absoluten Nullpunkt seines Lebens, die beeindruckt mich. Für dieses Mädchen wird Gutes möglich, weil es anderen gibt und damit offen wird, selber reich zu empfangen.

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Liebe Hörerin, lieber Hörer, von Herzen wünsche ich uns Offenheit, in welcher Situation wir uns auch immer befinden. Und ja, manchmal ist das schwer und manchmal auch gar nicht mehr möglich. Aber gerade deshalb mein zweiter und auch letzter Wunsch: Möge für Sie, für uns, immer wieder der eine oder andere Stern vom Himmel fallen. Amen.

*Susanne Cappus ist christ-katholische Diakonin und arbeitet als Spitalseelsorgerin in Dornach.

Bibelstellen: Lk 6, 38, Ps 16, 11

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Sternenhimmel | © Pixabay
12. Mai 2024 | 10:00
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