Patient in der Palliativstation in einem Krankenhaus.
Theologie konkret

Sterbehilfe in Walliser Heimen: Was heisst das genau?

Mit über 76 Prozent haben die Walliserinnen und Walliser das Gesetz über die Palliative Care und die Sterbehilfe in Pflegeheimen angenommen. Doch was bedeuten die neuen Bedingungen und wann treten diese in Kraft?

Sarah Stutte

Ende November stimmte das Wallis über die umstrittene Sterbehilfe-Vorlage ab. Die Linke und die FDP gehörten zu den Befürwortern des assistierten Suizids in Heimen, während sich die SVP und die katholische Kirche dagegen aussprachen. In der Mitte Partei gab es geteilte Meinungen.

Die Bevölkerung sollte das letzte Wort haben. Deshalb wurde die Gesetzesänderung, die das Walliser Kantonsparlament im letzten Frühling verabschiedete, dem obligatorischen Referendum unterstellt. Die Überraschung: Mit 76,6 Prozent Ja-Stimmen zu 23,4 Prozent Nein-Stimmen wurde die Vorlage sowohl vom Unter- wie auch vom Oberwallis deutlich angenommen.

Freitod soll möglich sein

«Die wesentliche Änderung des neuen Gesetzes: Neu müssen alle öffentlichen Pflegeinstitutionen wie Spitäler, Alters- und Pflegeheime sowie soziale Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, die Sterbehilfe zulassen. Bis jetzt konnten die Heimleitungen sie auch verbieten», erklärt Dieter Stoessel, Arzt in Zermatt und Walliser Grossrat in der Kommission für Gesundheit, Sozialwesen und Integration.

Einsame Stunden im Heim.
Einsame Stunden im Heim.

Unheilbar kranken und sterbenden Menschen, die unter den Schmerzen ihrer Erkrankung leiden, soll nun beispielsweise in ihren Alters- und Pflegeheimen der Freitod ermöglicht werden. Dies unter Aufsicht und mithilfe von Personen, die diese Art von Hilfe anbieten.

Sterben am Lebenswohnort

Bewohnerinnen und Bewohner dieser Einrichtungen können folglich nicht mehr dazu gezwungen werden, die Institution bei einem Sterbewunsch zu verlassen, wenn es sich dabei um ihren gewohnten Lebensraum handelt. «Sie können jetzt in ihrer vertrauten Umgebung in einem würdigen Rahmen sterben», führt der Arzt weiter aus.

Seniorin in einem Altersheim.
Seniorin in einem Altersheim.

Tatsächlich erlaubten seit 2021 und mittels einer Reglementsänderung in den eigenen Statuten nur zwei Pflegeheime im deutschsprachigen Wallis ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Das Alters-, Pflege- und Behindertenheim St. Josef in Susten und das Alters- und Pflegeheim Englischgruss in Brig. Im Unterwallis waren es bis anhin viel mehr.

Pflegepersonal nicht involviert

Für das Oberwallis ändert sich also nun viel. Mit allen Einrichtungen sind auch wirklich alle gemeint, denn im Wallis werden sämtliche Institutionen subventioniert. Offiziell gilt das neue Gesetz, das die Voraussetzungen für die Beihilfe zum Suizid regelt, seit dem 1. Januar 2023. Jedoch wird der Wechsel dauern.

Wenn das Leben dem Ende entgegengeht.
Wenn das Leben dem Ende entgegengeht.

Die meisten kantonalen Gesundheitseinrichtungen benötigen nämlich noch Zeit, um die individuellen Richtlinien für die Sterbehilfe in ihren Räumlichkeiten auszuarbeiten und festzulegen. Wichtig zu wissen sei dabei, so Stoessel, dass das hauseigene Pflegepersonal nicht involviert werde, da externe Sterbehilfe-Organisationen den assistierten Suizid begleiteten.

Belastungen nicht absehbar

Das Gesetz sieht im Weiteren spezielle Modalitäten für sozialpädagogische Einrichtungen vor. Hier kann die Beihilfe zum Suizid ausnahmsweise an einem anderen Ort als dem Lebensort der jeweiligen Person geleistet werden. Damit soll verhindert werden, dass ein assistierter Suizid andere Bewohnerinnen und Bewohner beeinträchtigt, die unter psychischen Erkrankungen oder Behinderungen leiden.

Die Gedanken und Gefühle teilen - die Spitalseelsorgerinnen und -Seelsorger hören zu.
Die Gedanken und Gefühle teilen - die Spitalseelsorgerinnen und -Seelsorger hören zu.

Ganz ausgeschlossen werden kann eine solche Belastung im Einzelfall in der Praxis jedoch nicht. Ob Seelsorgerinnen und Seelsorger im Spital durch das Angebot der Sterbehilfe künftig dadurch nicht stärker in ihrer Arbeit um geistliche Begleitung und Unterstützung jener Menschen gefordert sind, wird sich ebenfalls noch zeigen.

Spitalseelsorge gefordert

Der Berufsverband für Seelsorge im Gesundheitswesen setze sich jedenfalls dafür ein, dass qualifizierte Seelsorge in den Gesundheitsinstitutionen zur Verfügung stehe, sagt Renata Aebi, Geschäftsführerin des Berufsverbands Seelsorge im Gesundheitswesen (BSG).

Spirituelle Angebote der Spitalseelsorge.
Spirituelle Angebote der Spitalseelsorge.

«Gerade auch in Fragen, die sich im Zusammenhang mit Suizidbeihilfe stellen», meint sie. Spirituell-religiöse Aspekte könnten dabei eine wesentliche Rolle spielen, weshalb es wichtig sei, solche Themen, «wo gewünscht auch mit einem Seelsorger oder einer Seelsorgerin zu besprechen».

Klare Definition

Die Voraussetzungen für die Suizidbeihilfe sind klar definiert. Neben der Unheilbarkeit infolge einer Erkrankung oder eines Unfalls, wurde die Urteilskraft der volljährigen Person zuvor von einem Arzt überprüft. Die Patientin oder der Patient muss zudem über mögliche Behandlungsmethoden, insbesondere Palliative Care, informiert worden sein und dazu Stellung genommen haben.

Der Entscheid ist zudem langanhaltend und gut überlegt. Bei einer Vermutung, dass der Todeswunsch durch eine psychische Störung oder Druck von aussen beeinflusst wurde, kann die Beurteilung eines Psychiaters eingeholt werden.

Gegenmodell Palliativpflege

Neben dem Ziel, die Praxis der Suizidbeihilfe in Institutionen zu regeln, soll mit dem neuen Gesetz auch die Palliativpflege gefördert werden. Diese hat – quasi als Alternative zur Sterbehilfe – die Verbesserung der Lebensqualität von lebensbedrohlich erkrankten Patientinnen und Patienten im Blick, deren Schmerzlinderung und damit auch Entlastung ihrer Angehörigen. Die Lebensverlängerung und Pflege bis zum Tod steht hierbei im Vordergrund.

Die Würde des Menschen ist in der Palliative Care zentral.
Die Würde des Menschen ist in der Palliative Care zentral.

Die Palliative Care war bereits im Walliser Gesundheitsgesetz von 2020 aufgeführt. Dort wurde festgeschrieben, dass Palliative Care ein Patientenrecht darstellt. Das angepasste Gesetz regelt nun detaillierter die Umsetzung des kantonalen Konzepts in diesem Bereich. Die Rollen des Staates, der Gesundheits- und Sozialeinrichtungen und der Gesundheitsfachleute werden darin präzisiert.

Stärkung und Ausbau

So heisst es unter anderem im Gesetzestext, dass sich der Kanton dazu verpflichtet, das Personal sozialer Einrichtungen im Bereich Palliative Care zu sensibilisieren und für die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachkräften zu sorgen.

Bereits wurden Anstrengungen in diese Richtung unternommen, beispielsweise mit mobilen Palliative Care-Teams. Zudem müssen Alters- und Pflegeheime ein Palliative Care-Konzept vorlegen und eine dafür zuständige Person angeben, um eine Betriebsbewilligung zu erhalten.


Patient in der Palliativstation in einem Krankenhaus. | © KNA
15. Januar 2023 | 05:00
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