Karin Iten (links) und Kathrin Staniul-Stucky arbeiten in der Präventionsarbeit.
Kommentar

Steht die Bistumsregion Deutschfreiburg einem Outing nicht unterstützend zur Seite?

Die Churer Präventionsbeauftragte Karin Iten hat am Verhaltenskodex für die Bistumsregion Deutschfreiburg mitgewirkt. Der Grossteil ist identisch. Doch Details sind unterschiedlich. So fehlt in Freiburg der Passus, wonach Seelsorgende einem Outing unterstützend zur Seite stehen sollen. Auf solche Nuancen komme es nicht an, argumentieren Karin Iten und Kathrin Staniul-Stucky in einem Gastkommentar.

Karin Iten und Kathrin Staniul-Stucky*

Im Artikel «Was den Verhaltenskodex in Chur und Freiburg unterscheidet» von Montag, 20. Februar 2023 fokussiert kath.ch auf Unterschiede und vermeintliche Weglassungen im Freiburger Verhaltenskodex gegenüber seinem Churer Vorbild. Dabei entsteht der Eindruck, im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg wolle man gewisse Qualitätsstandards «entschärfen» oder den Churer Kodex untergraben.

Grundhaltungen und Qualitätsstandards

Demgegenüber halten wir explizit fest, dass die beiden Verhaltenskodizes im gleichen Geist entstanden sind und es bei der Zusammenarbeit zwischen Chur und der Bistumsregion Deutschfreiburg in keinster Weise zu Polarisierungen gekommen ist. Weder bei den Grundhaltungen noch bei den Qualitätsstandards unterscheiden sich die Verhaltenskodizes von Chur und Deutschfreiburg substanziell.

Unsere Präventionsbemühungen zielen hier wie dort auf die Herbeiführung eines Kulturwandels im Umgang mit Macht und auf den Schutz der persönlichen Integrität eines jeden Menschen. Dass dabei unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet werden (Prävention von Missbrauch beziehungsweise von Ausbeutung) hat mit unterschiedlichen sprachlichen Sensibilitäten zu tun im Hinblick auf die bevorstehende französische Übersetzung, ändert aber nichts an der inhaltlichen Ausrichtung und an der Dringlichkeit unserer Präventionsbemühungen.

Auf Social Media diskutieren Userinnen und User die Unterschiede zwischen Chur und Deutschfreiburg.
Auf Social Media diskutieren Userinnen und User die Unterschiede zwischen Chur und Deutschfreiburg.

Die im Freiburger Verhaltenskodex vermeintlich vermisste «Haltung der Kritikfähigkeit» ist unter dem Titel «6. Macht und Besprechbarkeit» (S. 13 f.) verankert bzw. wird dort eingefordert: «Ich pflege eine Haltung der Offenheit und Kritikfähigkeit über alle Hierarchieebenen hinweg.» Auch das Zitat «Als Führungsperson umgebe ich mich auch mit kritischen Stimmen, um meine Macht zu begrenzen. Ich lasse Kritik an meinen Entscheidungen oder meinem Führungsstil zu und nehme diese ernst» steht in der Version von Deutschfreiburg einfach an anderer Stelle.

«Haltung der Kritikfähigkeit»

Klar ist: Auch müssen sich die Führungspersonen, Seelsorgenden und Katechetinnen und Katecheten der Bistumsregion Deutschfreiburg (in naher Zukunft auch des ganzen Bistums Lausanne, Genf und Freiburg) klar zu einer «Haltung der Kritikfähigkeit» bekennen beziehungsweise bereit sein, Kritik anzunehmen. Eine offene Diskussionskultur und Kritikfähigkeit erschweren Grenzverletzungen und Missbräuche. Sie gehören unbedingt in einen Verhaltenskodex. Die breite Konsultation und Vernehmlassung in Deutschfreiburg haben die Kritisierbarkeit in ihrer Notwendigkeit stets unterstrichen und gefördert.

Der direkte Vergleich zeigt: Die weiss unterlegten Punkte aus Chur fehlen im Deutschschweizer Verhaltenskodex.
Der direkte Vergleich zeigt: Die weiss unterlegten Punkte aus Chur fehlen im Deutschschweizer Verhaltenskodex.

Ein klarer Konsens besteht auch bei der sexuellen Selbstbestimmung, auch wenn die beiden Kodizes nicht in sämtlichen Qualitätsstandards deckungsgleich sind: Sowohl im Bistum Chur als auch in der Bistumsregion Deutschfreiburg (und in naher Zukunft im ganzem Bistum Lausanne, Genf und Freiburg) verpflichten sich die Seelsorgenden und katechetisch tätigen Personen dazu, die körperliche, seelische und sexuelle Integrität jedes Menschen zu respektieren und seine Würde und Autonomie zu schützen.

Unterschiede bedeuten keine Distanzierung

Unsere Qualitätsstandards haben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollen die Reflexion rund um Machtbeschränkung fördern. Junge Menschen zum Beispiel zu keinem Reinheits- bzw. Keuschheitsversprechen oder ähnlichem zu drängen, wie es im Churer Verhaltenskodex steht, kann auch aus der Grundhaltung abgeleitet werden, die dazu verpflichtet, spirituelle Selbstbestimmung zu achten und zu schützen. Bei einem genauen Vergleich der beiden Kodizes wird man feststellen, dass es weitere Punkte gibt, bei denen Chur oder Freiburg unterschiedlich explizit werden. Das heisst nicht, dass die Bistümer sich von diesen Punkten distanzieren oder diese anderes gewichten.

Gleiche Priorität wie im Bistum Chur

Was zählt ist die klare gemeinsame Ausrichtung der beiden Bistümer für eine achtsame und sorgfältig gestaltete Seelsorge. Das sind good News! Ein Blick in die Qualitätsstandards des Verhaltenskodex der Bistumsregion Deutschfreiburg zur Frage «Wie auf sexuelle Selbstbestimmung achten?» dürfte genügen, um sich darüber zu vergewissern, dass diese – mitgetragen und unterschrieben durch die Führungscrew im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg – genauso Priorität haben wie im Bistum Chur.

* Karin Iten ist Präventionsbeauftragte des Bistums Chur. Sie hat in ihrer Rolle als freie Mitarbeiterin der Fachstelle Limita am Verhaltenskodex von Deutschfreiburg beratend mitgewirkt. Kathrin Staniul-Stucky ist verantwortlich für das Projekt Verhaltenskodex in der Bistumsregion Deutschfreiburg.


Karin Iten (links) und Kathrin Staniul-Stucky arbeiten in der Präventionsarbeit. | © kath.ch
23. Februar 2023 | 18:01
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