Ein Benedikt-Schüler: Stefanos Athanasiou, Priester der griechisch-orthodoxen Kirche.
Schweiz

Stefanos Athanasiou: «Zeit in der Schweiz war gute Vorbereitung auf meine neue Aufgabe»

Der griechisch-orthodoxe Priester Stefanos Athanasiou wird Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er freut sich auf die «Pluralität von Sichtweisen» und das grosse interdisziplinäre Potential seiner Professur. Der Universität Freiburg möchte er dennoch erhalten bleiben.

Jacqueline Straub

Sie wurden zum 1. August auf die Ordentliche Professur für Systematische Theologie an der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen. Haben Sie sich schon gut eingelebt?

Stefanos Athanasiou*: Wir sind noch mitten in den Semesterferien. Ich konnte jedoch schon letztes Semester die Vertretungsprofessur für diesen Lehrstuhl an der LMU München übernehmen. Diese Phase der Vertretung war für mich sehr hilfreich, da ich zwar die Vorlesungen und Seminare halten und leiten durfte, institutionell jedoch von vielen Dingen befreit war und eher ein Beobachterstatus hatte. Dies ist nun im neuen Semester vorbei, und ich freue mich schon sehr, aktiv neben der Lehre und Forschung in der akademischen Selbstverwaltung mitwirken zu dürfen und meine Ideen mit einfliessen zu lassen.

München.
München.

Im Oktober beginnt das Semester. Sind Sie nervös vor Ihrer ersten Vorlesung als ordentlicher Professor? 

Athanasiou: Es ist ja nicht meine erste Vorlesung, in diesem Sinne hält sich die Aufregung in Grenzen. Ich darf schon seit mehr als dreizehn Jahren vor allem Seminare gestalten und Vorträge an Tagungen halten. Diese Zeit als Lehrbeauftragter vor allem an den Universitäten von Bern, Fribourg, Bonn und Tirana sowie an der Theologischen Hochschule in Chur und im Theologischen Studienjahr von Jerusalem waren für mich eine gute Vorbereitung auf diese neue Aufgabe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Herausfordernd und spannend ist es für mich vor allem, da sich die Hörerinnen und Hörer ändern werden.

Inwiefern?

Athanasiou: Ich hatte bis jetzt vor allem katholische und evangelische Studierende als Hörerschaft. Dies ändert sich nun, und im Hörsaal sitzen vor allem orthodoxe Studierende, die – wie ich gerne sage – zur westlichen Orthodoxie gehören und die wichtige Aufgabe für die Zukunft übernehmen werden, die orthodoxe Theologie als ein Teil der westeuropäischen Welt mit zu formen und zu gestalten.

«Diskussionen mit den Studierenden sind für mich bereichernd und horizonterweiternd.»

Sie werden also Denkimpulse für die Studierenden liefern.

Athanasiou: Das ist für mich eine besondere Ehre und Freude. Andererseits muss ich jedoch sagen, dass die Diskussionen mit den Studierenden für mich selbst immer sehr bereichernd und Horizont erweiternd sind. Dass die Studierenden in München einen panorthodoxen Hintergrund mitbringen und viele griechische, russische, rumänische, serbische, bulgarische, ukrainische, deutsche, österreichische, schweizerische Wurzeln haben, ist für die Seminare und Vorlesungen besonders interessant. Hier entsteht bei den Diskussionen nochmals eine Pluralität von Sichtweisen, die zwar einerseits auf dem gemeinsamen orthodoxen Glauben basiert, jedoch viele kulturelle Eigenarten und Interpretationen zum Vorschein kommen lässt.   

Christus-Ikone in Bern.
Christus-Ikone in Bern.

Auf welche Themen werden Sie als Professor Ihren Fokus legen?

Athanasiou: Die Professur hat ein breites Spektrum: Dogmatik, Ethik und ökumenische Theologie. Bislang existieren weitgehend nur Übersetzungen orthodoxer dogmatischer Lehrbücher und Monographien zu Einzelthemen, die als Grundlage für Lehre und Forschung dienen. Diese sind ohne Zweifel wichtige Quellen für die Darstellung und Auslegung des orthodoxen Dogmas, doch besteht meiner Ansicht nach die Notwendigkeit einer neuen systematisch-theologisch reflektierten orthodoxen Dogmatik auf Deutsch, die auf aktuelle west- und mitteleuropäische theologische Fragestellungen Bezug nimmt und diese aus der orthodoxen theologischen Perspektive zu beantworten versucht. Das Verfassen eines solchen Werkes, nicht zuletzt als Lehrbuch, möchte ich als Projekt beginnen.

«Grosses interdisziplinäres Potential der Professur möchte ich nutzen und ausbauen.»

Welchen Schwerpunkt legen Sie im Bereich der Ethik?

Athanasiou: Ich würde mich gerne mit der Formulierung ethischer Kriterien für die Nutzung von KI beschäftigen, die bisweilen aus orthodoxer kirchlicher wie auch aus wissenschaftlicher Perspektive noch keine hinreichende Aufmerksamkeit gefunden hat. Die schnelle technologische Entwicklung und ihre Ausbreitung in vielen Bereichen des menschlichen Lebens und der Gesellschaft zeigen jedoch, dass hier ein wichtiges Desiderat liegt. Inbegriffen in diesem Themenbereich ist natürlich auch ein grundlegendes anthropologisches Thema, nämlich wie sich das Menschenbild in Zukunft entwickeln wird und wie die Theologie darauf reagieren kann und sollte.

Haben Sie noch weitere Projekte?

Athanasiou: Darüber hinaus möchte ich die bestehenden Sozialethos-Dokumente der orthodoxen Kirche miteinander vergleichen und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Bereichen wie etwa Schöpfungsethik, Familienethik, Friedensethik, Verhältnis zwischen Kirche und Staat sowie das Verhältnis der Orthodoxie zur Nation analysieren. Besonders im Bereich der Ethik sehe ich ein grosses interdisziplinäres Potential der Professur, das ich gerne nutzen und ausbauen möchte.

Griechisch-Orthodoxe Kirche Zürich, Kuppel
Griechisch-Orthodoxe Kirche Zürich, Kuppel

Auch die ökumenische Theologie steht auf Ihrer Agenda. Was können wir dort von Ihnen erwarten?

Athanasiou: Neben gemeinsamen Projekten mit katholischen und evangelischen Kolleginnen und Kollegen, die sich ergeben werden, möchte ich nochmals die Trennungsgeschichte anschauen. Das Jahr 1054 gilt allgemein als das Jahr der Spaltung zwischen Ost und West. Durch Forschungsergebnisse wird jedoch in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer deutlicher, dass die fehlende kirchliche Koinonia zwischen Ost und West nicht auf ein einzelnes Ereignis zurückzuführen ist, sondern eher als Prozess der Entfremdung gesehen werden muss. Aus diesem Grund möchte ich einen Blick auf die historischen Ereignisse werfen, die zum Verlust der kirchlichen Gemeinschaft geführt haben und diese systematisch theologisch analysieren.

Was möchten Sie Ihren Studierenden vermitteln?

Athanasiou: Dass Theologie, das Reden über Gott und besonders systematische Theologie etwas Schönes und Bereicherndes sind und einen substanziellen Charakter für das Verstehen unseres Lebens haben.   

Barbara Hallensleben am Rednerpult, ganz links ist der Benedikt-Schüler Stefanos Athanasiou zu sehen.
Barbara Hallensleben am Rednerpult, ganz links ist der Benedikt-Schüler Stefanos Athanasiou zu sehen.

Zuletzt waren Sie als Dozent an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg in der Schweiz tätig. Was haben Sie dort gelernt, was Sie auch in München weitergeben möchten?

Athanasiou: Dass es eine Notwendigkeit gibt, dass man die orthodoxe Theologie, die oft falsch verstanden wird und die mit vielen «westlichen» Vorurteilen zu kämpfen hat, für die Menschen im Westen entschlüsseln muss, damit sie richtig verstanden wird. Meine Tätigkeit in Fribourg hat mir diese Notwenigkeit nochmals besonders nahegebracht. Wir leben und wachsen als Menschen jedoch auch durch gute Beispiele im Leben.

«Diese Erfahrung hat mich geprägt.»

In diesem Sinne nehme ich von Fribourg auch die erlebte Erfahrung mit, dass mir in schwierigen Zeiten Menschen, vor allem eine Professorin, mit Rat und Tat zur Seite standen. Diese Erfahrung hat mich geprägt und hat mir gezeigt, wie man als Hochschullehrer zu sein hat, nämlich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch ein Mensch, der auf die Sorgen und Ängste, aber auch Freuden des anderen zu schauen hat und so gut wie möglich eine stützende Hand sein sollte.  

Universität Freiburg (Schweiz) Miséricorde.
Universität Freiburg (Schweiz) Miséricorde.

Werden Sie der Universität Freiburg in irgendeiner Form erhalten bleiben?

Athanasiou: Ich hoffe, dass sich in Zukunft zwischen München und Fribourg eine gute Zusammenarbeit entwickeln wird und eventuell gemeinsame Projekte, Blockseminare, Studienreisen und Tagungen organisiert werden können.

Die Universität Freiburg hat einen Schwerpunkt auf die orthodoxe Theologie gelegt. Wie sieht es in Deutschland aus?

Athanasiou: Tatsächlich ist in Fribourg die orthodoxe Theologie fest verankert. Hier wird an der katholischen Fakultät eine sehr gute Arbeit geleistet und durch die Möglichkeit, dass Orthodoxe durch Lehraufträge hier mitwirken können, wird auch die orthodoxe Innenperspektive in der Lehre vermittelt.

«Es ermöglicht einen gleichberechtigten und ehrlichen Dialog.»

Was fehlt in der Schweiz, was es in Deutschland gibt?

Athanasiou: In Deutschland gibt es schon seit langem eine historische Tatsache, nämlich ein eigenständiges Departement beziehungsweise ein Institut oder eine Fakultät für Orthodoxe Theologie. An der LMU München existiert die Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie, die eine selbstständige universitäre Einrichtung ist und «jurisdiktionell» keiner anderen Fakultät unterstellt ist. Neben der Katholischen und Evangelischen Fakultät gibt es in München also auch die orthodoxe Theologie auf fast gleicher Augenhöhe, was einen gleichberechtigten und ehrlichen Dialog ermöglicht und der dort schon seit langem praktiziert wird und bis zu diesem Zeitpunkt einzigartig an einer westeuropäischen Universität ist.

Stefanos Athanasiou war seit 2011 für rund sieben Jahre als wissenschaftliche Assistenz am Departement für Christkatholische Theologie an der Universität Bern tätig. Später arbeitete er zusätzlich am Departement für Evangelische Theologie am Institut für Systematische Theologie. Ab 2018 lehrte er an der Universität Freiburg (Schweiz); parallel nahm er Lehraufträge an der Theologischen Hochschule in Chur und auf internationaler Ebene wahr. Athanasiou wurde in der Schweiz zum griechisch-orthodoxen Priester geweiht und kann für die Orthodoxe Metropolie der Schweiz (Ökumenisches Patriarchat) die Metropolie in verschiedenen Gremien vertreten, wie etwa im Rat der Religionen und der AGCK Schweiz. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Ein Benedikt-Schüler: Stefanos Athanasiou, Priester der griechisch-orthodoxen Kirche. | © Francesco Pistilli
6. September 2023 | 12:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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