Schwester Alessandra Smerilli ist die höchste Frau im Vatikan
Vatikan

Sr. Alessandra Smerilli: «Papst Franziskus zerschlägt Scheiben»

Die Ordensschwester Alessandra Smerilli ist die mächtigste Frau im Vatikan. Sie ermutigt Frauen sich nicht zu verstecken. Dennoch würden Frauen im Priesteramt zum jetzigen Zeitpunkt den von Papst Franziskus kritisierten Klerikalismus aufrechterhalten. Ein Interview über Wirtschaft, Wandel in der Kirche und Frauen in Führungspositionen.

Jacqueline Straub

Derzeit findet die Synode in Rom statt. Wie schauen Sie auf diese?

Alessandra Smerilli*: Mit viel Hoffnung. Ich glaube, dass die Synode eine Erfahrung der christlichen Hoffnung sein kann. Zudem hoffe ich, dass sie vom Heiligen Geist erfüllt sein wird, so dass wir uns in das verwandeln lassen, was Jesus Christus von der Kirche und vom ganzen Volk Gottes heute verlangt.

«Nun steht er auf der Weltbühne.»

Welche Hoffnungen und Erwartungen haben Sie an die Synode?

Smerilli: Es wird nicht einfach nur die Versammlung sein. Die Synode ist eine Reise der Kirche. Der synodale Prozess hat auf der lokalen Ebene begonnen. Nun steht er auf der Weltbühne. Danach wird es weitergehen. Ich hoffe, dass die Synode ein echter Moment der Unterscheidung sein wird.

Wie zeigt sich das?

Smerilli: Unterscheidung zeigt sich darin, dass Menschen mit Ideen hineingehen und mit anderen Ideen wieder herauskommen können. Wenn es eine Zeit der Unterscheidung ist, dann ist alles, was dabei herauskommt, ein Weg und ein Zeichen für die Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche.

Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI. im Vatikan
Synode 2023 in der Audienzhalle Paul VI. im Vatikan

Was sind Ihre Ängste?

Smerilli: Dass sich die verschiedenen Positionen nicht genügend gut miteinander austauschen.

Denken Sie, dass die Synode strukturelle Veränderungen in der katholischen Kirche bringen wird?

Smerilli: Veränderungen geschehen, wenn es eine kritische Masse von Menschen gibt, die diese Veränderung wollen. Wenn es der Synode also gelingt, uns auf diesen Weg der Umkehr zu bringen, kann sie, wie Papst Franziskus sagt, einen Prozess einleiten, der zu Veränderungen führen kann.

«Ich freue mich, dass ich hier einen Beitrag leisten kann.»

Sie waren Teilnehmerin bei der Jugendsynode im Jahr 2018. Was hat sich geändert?

Smerilli: In der jetzigen Synodenversammlung sind mehr Frauen eingeladen als in anderen Synoden. Frauen sind nicht nur Zuhörerinnen, sondern äussern auch ihre Meinung. Schon bei der Jugendssynode gab es die Forderung nach mehr Gleichberechtigung – und jetzt auch wieder. Das ist gut.

Sie sind die Nummer zwei im Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Wie ist das für Sie?

Smerilli: Es ist sehr schön, sehr faszinierend und auch sehr anspruchsvoll, denn es gibt Handlungsfreiheit und gleichzeitig gibt es viel Arbeit in unserer Abteilung und deshalb ist es auch notwendig, gut mit allen anderen zusammenzuarbeiten. Ich freue mich, dass ich hier einen Beitrag leisten kann.

Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen
Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen

Sie sind die höchste Frau im Vatikan. Welche Botschaft möchten Sie an andere Frauen geben?

Smerilli: Alles oder fast alles möglich ist. Frauen sollen sich nie entmutigen lassen. Zudem: Frauen müssen die eigenen Fähigkeiten nicht versteckt. Frauen verstecken sich manchmal etwas. Doch die Kirche braucht die Begabungen der Frauen.

Als eine von wenigen Frauen in führenden Positionen im Vatikan, sind Sie sicher auch eine Projektionsfläche.

Smerilli: Ich bin sehr sichtbar im Vatikan – eben, weil es momentan noch so wenig Frauen in wichtigen Entscheidungspositionen gibt. Aber ich bin mir sicher: Es ist nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft noch viele andere Frauen an solchen Stellen wirken.

«Aber gleichzeitig sehen wir, dass unsere Arbeit, die Ortskirchen zu begleiten, Hoffnung gibt.»

Seit zwei Jahren sind Sie Kurienmitarbeiterin. Haben Sie heimlich von solch einem Posten geträumt?

Smerilli: Ich war zuvor als Wirtschaftswissenschaftlerin tätig und war nicht interessiert im Vatikan zu arbeiten. Ich hätte es mir auch nicht vorstellen können. Doch dann habe ich einen Anruf von Papst Franziskus erhalten. Da war mir klar, dass ich nicht ablehnen kann. Dass ich eine Verpflichtung gegenüber der Kirche, gegenüber den Menschen habe.

Bunte Plakate im Entwicklungsdikasterium
Bunte Plakate im Entwicklungsdikasterium

Sie arbeiten im Entwicklungs-Dikasterium. Was genau sind Ihre Aufgaben?

Smerilli: Unser Dikasterium hat einen breiten Auftrag. Unsere Aufgabe ist es im Dialog zu sein mit den Ortskirchen und den verschiedenen Amtsträgern, die im Rahmen ihrer Tätigkeit die Entwicklung fördern. Wir suchen Antworten auf die Herausforderungen. Dabei greifen wir auf die Sozialehre der Kirche zurück. Unser Ziel ist es, dass sich Personen oder Gemeinschaften gut entwickeln können. Wir haben immer das Gefühl, dass wir nicht genug tun. Aber gleichzeitig sehen wir, dass unsere Arbeit, die Ortskirchen zu begleiten, Hoffnung gibt.

Präsentation des apostolischen Schreibens «Laudate Deum» in den Vatikanischen Gärten: Luisa Neubauer, Jonathan Safran Foer, Giorgio Leonardo Parisi, Matteo Bruni.
Präsentation des apostolischen Schreibens «Laudate Deum» in den Vatikanischen Gärten: Luisa Neubauer, Jonathan Safran Foer, Giorgio Leonardo Parisi, Matteo Bruni.

Papst Franziskus hat am 4. Oktober «Laudate Deum» veröffentlicht. Freuen Sie sich darüber?

Smerilli: Die Dringlichkeit unseren Planeten zu schützen, besteht nach wie vor. Daher freue ich mich, dass Papst Franziskus dieses Thema erneut in den Fokus seiner Verkündigung stellt.

Braucht es «Laudate Deum»?

Smerilli: Es gibt viele Bemühungen von Seiten der Kirche – und auch der Gesellschaften und Politik – für eine echte ökologische Umkehr. Aber es gibt noch viel zu tun. Das nun erschienene päpstliche Schreiben will ein Neubeginn unseres Weges sein, indem es alles hervorhebt, was sich seit 2015 verändert hat. Deshalb denke ich, dass wir dieses Schreiben brauchen, vor allem, um den Weg, auf dem wir uns befinden, neu zu beleben.

«Die Worte von Papst Franziskus sind daher wahrer als je zuvor.»

Sie waren Wirtschaftsprofessorin und sind Expertin auf diesem Gebiet. Wie finden Sie die Aussage von Papst Franziskus «Wirtschaft tötet»?

Smerilli: Ich glaube, dass wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, dass das derzeitige Wirtschaftssystem Ausgrenzung erzeugt. Die Ungleichheiten in der Welt nehmen auf allen Ebenen zu. Die Worte von Papst Franziskus sind daher wahrer als je zuvor. Das bedeutet nicht, dass wir die Wirtschaft oder die Märkte ablehnen, sondern dass wir die Märkte und die Wirtschaft zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückführen wollen.

Weltwirtschaftsforum in Davos
Weltwirtschaftsforum in Davos

Und das wäre?

Smerilli: Eine Wirtschaft, die nur den Profit in den Mittelpunkt stellt, stellt ein Problem dar. Denn dann geht das auf Kosten so vieler Dimensionen und so vieler Bedürfnisse der Menschen, vor allem der Schwächsten. Denken Sie nur an den Gesundheitsbereich. Wenn dort der Profit den Ton angibt, wird nicht mehr nach Medikamenten für Krankheiten geforscht, die nicht profitabel sind. Das ist ein Drama, das wir heute erleben. Daran müssen wir arbeiten.

Papst Franziskus prangert diese Ausgrenzung immer wieder an.

Smerilli: Genau. Er hat konkrete Situationen, Gesichter, Namen vor Augen. Ich glaube, dass dies ein kollektiver Schrei aus fast allen Teilen der Welt ist. Es gibt Ausgrenzung, es gibt Menschen, die wegen der Wirtschaft sterben. Denken wir an all die Ausbeutung, auch der natürlichen Ressourcen.

Sitzungszimmer im Entwicklungsdikasterium
Sitzungszimmer im Entwicklungsdikasterium

Papst Franziskus prangert nicht nur falsche Züge in der Wirtschaft an, sondern kritisiert innerhalb der katholischen Kirche ungute Eigenschaften, etwa den Klerikalismus.

Smerilli: Ich glaube, der erste Schritt, der in der Kirche getan werden muss, besteht darin, das Priestertum zu seiner ursprünglichen Berufung zurückzubringen. Das Priestertum darf kein diskriminierender Faktor sein.

Es braucht also einen Kulturwandel.

Smerilli: Bis Papst Franziskus mich zur Sekretärin des vatikanischen Entwicklungsdikasteriums gemacht hatte, stand mein Amt Frauen nicht offen. Es musste immer ein Bischof sein. Der erste Schritt besteht also darin, diese Kultur und diese Normen zu ändern, nach denen nur Priester etwas tun können.

Gleichberechtigung. Punkt. Amen.
Gleichberechtigung. Punkt. Amen.

Und wie sieht der zweite Schritt aus?

Smerilli: Die Rückgewinnung der gleichen Würde, die wir als Getaufte in der Kirche haben. Das heisst eben, anzuerkennen, dass es eine Vielfalt von Ämtern gibt, aber das bedeutet keine Ungleichheit oder Ausgrenzung von irgendjemandem.

Bedeutet das eine Öffnung für Frauen zu den Weiheämtern?

Smerilli: Wenn eine Frau heute Priesterin werden würde, würde dies die Struktur des Klerikalismus nicht verändern und somit die Merkmale der Privilegien des Priestertums aufrechterhalten. Und das bedeutet, dass das Priestertum wieder über andere Ämter gestellt wird.

«Deshalb ist es auch unsere Verantwortung, den Wandel in die Hand zu nehmen.»

Spüren Sie Wandel in der Kirche?

Smerilli: Papst Franziskus geht es darum, Fenster zu öffnen. So lese ich sein ganzes Pontifikat. Ein Wirtschaftswissenschaftler brachte mal ein Beispiel: In einem verlassenen Gebäude gibt es viele intakte Glasscheiben. Wenn jemand anfängt, Steine in die Scheiben zu werfen, werden innert kürzester Zeit alle Scheiben zerbrochen sein. Ich denke, dass Papst Franziskus das tut. Deshalb ist es auch unsere Verantwortung, den Wandel in die Hand zu nehmen.

*Sr. Alessandra Smerilli (49) ist Don-Bosco-Schwester und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie ist Professorin an der Päpstlichen Universität Auxilium für Politische Ökonomie und Statistik. Papst Franziskus ernannte sie im März 2021 zur Untersekretärin des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschens. Im August 2021 wurde sie vorläufige Sekretärin des Dikasteriums und wurde im April 2022 bestätigt.


Schwester Alessandra Smerilli ist die höchste Frau im Vatikan | © Jacqueline Straub
12. Oktober 2023 | 17:30
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