Frisch renovierte Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven vor blauem Himmel in Bonn am 12. Juli 2022.
Religion anders

So göttlich ist Musik – oder: Wie wohl Musik im Paradies tönt

Seit 200 Jahren tönt die Neunte Sinfonie von Beethoven durch die Welt. Nicht nur wegen den «Götterfunken» im weltbekannten Lied «Ode an die Freude« stellt sich die Frage, ob Musik tatsächlich göttlich sein kann. Mario Pinggera, Pfarrer, Musikwissenschaftler und Kirchenmusiker, kennt sich in der Welt der Töne bestens aus. Im Interview mit kath.ch tönt er auch an, wie die Musik im Paradies klingen könnte.  

Wolfgang Holz

Herr Pinggera, «Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum» – so beginnt der Schillersche Text in Beethovens «Lied an die Freude» aus der 9. Sinfonie. Diese hat jüngst ihr 200-Jahr-Jubiläum gefeiert. Für Sie ein Beispiel für göttliche Musik?

Mario Pinggera: Selbstverständlich. Das ist eine Musik von einer solchen Grösse, dass sie in der Lage ist, alle Grenzen zu überwinden. Es ist natürlich auch die Machart und die Instrumentalisierung, wie Beethoven diese grossartige Sinfonie komponiert hat – was ihr eine Art Göttlichkeit verleiht.

Mario Pinggera ist Dozent für Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule Chur.
Mario Pinggera ist Dozent für Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule Chur.

Wobei seine Zeitgenossen überzeugt waren, dass er die Gattung der Sinfonie gesprengt hat, indem er einen Vokalteil eingebaut hat. Beethovens «Neunte» war tatsächlich eine musikalische Revolution.

«Mit göttlich meint es tatsächlich eine Musik, die sich dem Rationalen entzieht.»

Die Verbindung zwischen «göttlich» und «Musik» wird häufig getroffen im Sprachgebrauch – auch weil es offenbar schwer für uns Zuhörerinnen und Zuhörer ist, die passenden Worte für schöne und beeindruckende Musik zu finden. Sehen Sie das auch so?

Pinggera: Genauso wie «höllisch» oder «teuflisch» wird auch das Attribut «göttlich» mit Musik zusammen erwähnt. Das hat sich im Sprachgebrauch so gefestigt. Mit göttlich meint es tatsächlich eine Musik, die sich dem Rationalen entzieht. Das Attribut göttlich in punkto Musik kommt natürlich auch häufig zur Anwendung, weil Musik uns irgendwie sprachlos machen kann. Womit wir bei «Stille Nacht» wären.

Lied "Stille Nacht"
Lied "Stille Nacht"

«Stille Nacht» ist mit Sicherheit ein göttliches Musikstück, weil es Menschen wie auf Knopfdruck zu Emotionen und zu Tränen rühren kann.»

«Stille Nacht»?!

Pinggera: Ja, «Stille Nacht» ist mit Sicherheit ein göttliches Musikstück, weil es Menschen wie auf Knopfdruck zu Emotionen und zu Tränen rühren kann. Bei «Stille Nacht» werden viele auf eigenartige Weise an ihre Kindheit erinnert. Und selbst die härtesten Burschen gehen bei «Stille Nacht» in die Knie. Würde der österreichische Pfarrer Joseph Mohr, der Komponist, heute noch leben, wäre er steinreich. Dabei ist er völlig verarmt gestorben.

Johann Sebastian Bach – Denkmal vor der Leipziger Thomaskirche.
Johann Sebastian Bach – Denkmal vor der Leipziger Thomaskirche.

Gibt es denn Beispiele für Sie persönlich in der Musik, für die Sie das Adjektiv «göttlich» verwenden würden, oder müssen Sie als Pfarrer eine strikte Trennung zwischen «göttlich» und Musik vornehmen, weil Gott eben einzigartig ist?

«Bach schrieb einmal, seine Musik diene der Ehre Gottes und der Erquickung des Gemüts.»

Pinggera: Nehmen wir zum Beispiel die Es-Dur Messe von Franz Schubert, genauer das «Et in carnatus est», da vernehme ich tatsächlich die Stimme Gottes. Göttliche Musik vermag grosse Freude und Emotionen auszulösen. Johann Sebastian Bach schrieb einmal, seine Musik diene der Ehre Gottes und der Erquickung des Gemüts. Wenn man sich beispielsweise das Kyrie aus der h-Moll-Messe (BWV: 232) zu Gemüte führt, können einem auch die Tränen kommen.

Könnte man sagen, religiöse Musik wie Kirchenlieder, Oratorien, Requieme  – etwa das absolut unerreichte, sphärische Requiem von Mozart – und so weiter ist göttlich? Oder ist und bleibt Gott Gott und Mensch Mensch – egal, wie genial ein Komponist ist?

«Gott und Mensch zu trennen, geht eben nicht. Das wäre die Trennung zwischen Schöpfer und Geschöpf.»

Pinggera: Komponierende sind ein Medium, deren sich Gott durchaus bedient, um seine Stimme zum Klingen zu bringen. Gott und Mensch zu trennen, geht eben nicht. Das wäre die Trennung zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Konzert der Engel, Detail des Isenheimer Altars am 16. Oktober 2022 im Museum Unterlinden in Colmar (Frankreich).
Konzert der Engel, Detail des Isenheimer Altars am 16. Oktober 2022 im Museum Unterlinden in Colmar (Frankreich).

Im Himmel gibt es ja laut Bibel auch viel Musik: Engel spielen da auf Harfen. Und laut Psalm 150, Verse 3-5, ist festgehalten: «Lobt ihn mit dem Klang der Posaune, lobt ihn mit Harfe und mit Zither! Lobt ihn mit Tanz und Tamburin, lobt ihn mit Saiteninstrumenten und Flöten! Lobt ihn mit klingenden Zimbeln, lobt ihn mit dem Klang lauter Zimbeln.» Ist Musik im Paradies eher gesellige Hausmusik?

Pinggera: Nein, das lässt sich nicht eingrenzen. Die Bibelautoren waren eben auch Kinder ihrer Zeit. Voluminöse Besetzungen im Stile von Symphonieorchestern waren damals eben noch nicht bekannt. Auch keine Orgel.

«Ich denke, himmlische Musik strahlt Geborgenheit aus.»

Andererseits sind ja Posaunen nicht gerade leise Musikinstrumente. Ich denke, himmlische Musik strahlt Geborgenheit aus. Nach dem Motto: Das irdische Leben der Menschen ist beendet. Die im Paradies Angekommenen können sich zurücklehnen und den Wohlklang einer neuen Welt geniessen.

Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.
Adam und Eva im Paradies: Glasfenster der Kapelle am Zürcher Unispital.

Wow! Das tönt schön. Wie stellen Sie sich es als Pfarrer vor: Welche Art von Musik würde Gott selbst aus Ihrer Sicht komponieren: Eher E- statt U-Musik?

Pinggera: Göttliche Musik eben. Das lässt sich nicht präzisieren. Das wäre rein spekulativ. Wahrscheinlich würde Gott eine Musik komponieren, die uns Menschen guttut. Es gibt ja Experimente, die ergeben haben, dass Pflanzen, wenn sie mit Hardrock beschallt werden, innerhalb kürzester Zeit eingehen.

«Bei Hardrock fangen Kleinkinder an zu weinen, bei einem Adagio von Beethoven beruhigen sie sich.»

Pflanzen, die dagegen Mozart zu hören bekamen, sind dagegen nachweislich gewachsen und gediehen. Ähnliche Effekte lassen sich bei Kleinkindern beobachten: Bei Hardrock fangen sie an zu weinen, bei einem Adagio von Beethoven beruhigen sie sich. Ich denke mir, die von Gott selbst komponierte Musik würde ähnliche Wirkungen erzielen.

Statue von Wladimir Iljitsch Lenin im Budapester Szobor-Park.
Statue von Wladimir Iljitsch Lenin im Budapester Szobor-Park.

Noch zu Beethoven: Dietrich Bonhoeffer hat mal gesagt, dass die Welt eine bessere wäre, wenn wir mehr Beethoven hören würden. Andererseits meinte Lenin irgendwann, er müsse jetzt aufhören, Beethovens «Appassionata» anzuhören – sonst könnte er die russische Revolution nicht durchziehen.

Damals gab es eben AC/DC noch nicht. Was meinen Sie: Dürfen die Hardrocker die Himmelspforten des Paradieses jemals passieren mit ihrem göttlichen «Highway to hell»?

Michael Jackson - wie man ihn kannte.
Michael Jackson - wie man ihn kannte.

Pinggera: Wieso nicht?! AC/DC haben schliesslich Musikgeschichte geschrieben und sind eine nachhaltige Musikformation. Ich persönlich stehe nicht so auf Hardrock.

«Der Song «Heal the world» von Michael Jackson ist ein absolut prophetisches Musikstück.»

Dagegen würde ich sagen, dass der Song «Heal the world» von Michael Jackson ein absolut prophetisches Musikstück ist. Das lässt sich gut hören, wenn man auf einer Wiese liegt und über den Lauf der Dinge philosophieren möchte. Wenn ich übrigens in der Kirche auf der Orgel zum Schluss der Messe Rheinberger spiele, einen liechtensteinischen Komponisten aus dem 19. Jahrhundert, dann bleiben die Leute auch noch gerne sitzen.

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Letzte Frage: Ist Musik wahrscheinlich die grösste Annäherung an Gott oder gibt es aus Ihrer Sicht noch andere Annäherungen: Mutter Teresa, die Rückhand von Roger Federer, Michelangelo…

«Gott ist nichts anderes als die Liebe selbst.»

Pinggera: Musik ist und bleibt – zusammen mit menschlicher Liebe – wohl die grösstmögliche Annäherung an Gott. Aber die Rückhand von Roger Federer war durchaus genial, aber nicht unbedingt göttlich. Das Göttliche wird ausschliesslich darin wahrnehmbar, wie und durch wen Göttliches weitergetragen wird. Gott ist nichts anderes als die Liebe selbst.


Frisch renovierte Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven vor blauem Himmel in Bonn am 12. Juli 2022. | © KNA
18. Mai 2024 | 06:00
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