Created with GIMP
Schweiz

Sind Persönlichkeitstests für Priesteramtskandidaten die Patentlösung?

Psychologische Auswahltests für Priesteramtskandidaten und Seelsorger sollen bald standardmässig zum Werkzeugkasten der kirchlichen Missbrauchsprävention gehören. Die Dübel sind aber nur so gut, wie die Wand, in die sie gebohrt werden, warnt ein Fachmann. Der vierte Teil der kath.ch-Serie «Wo stehen wir?».

Magdalena Thiele

Neben der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche Schweiz ist die zweite grosse Baustelle von Bischöfen und Landeskirchen die Prävention. Eine Massnahme dafür sind psychologische Tests, wie SBK, RKZ und KOVOS im Rahmen der Veröffentlichung der Studienergebnisse im September ankündigten. Dadurch sollen keine potenziellen Täter mehr in die kirchlichen Reihen gelangen.

Experte drängt auf Strukturwandel

Grundsätzlich eine gute Idee, findet einer, der sich mit Tätern auskennt. Marc Graf ist Psychiater und Direktor der Klinik für Forensik der Uniklinik Basel. «Solche Tests können heute schon sehr präzise Ergebnisse liefern», erklärt Graf. «Allerdings sind sie nur ein Sieb von mehreren, das es braucht, um vulnerable Personen sicher herausfiltern zu können.»

Marc Graf, Forensischer Psychiater
Marc Graf, Forensischer Psychiater

Er warnt deshalb davor, die Tests als Umgehung eines nötigen Strukturwandels innerhalb der Katholischen Kirche zu missbrauchen. Denn auch Strukturen könnten Menschen zu Tätern werden lassen. Konkret gesagt: «Tabuisierung und Pervertierung von Sexualität, wie sie in der Katholischen Kirche stattfinden, können problematische Lösungen zu Tage fördern.»

Bistümer sehen Versäumnisse in der Praxis

Auch die Bistümer sehen Versäumnisse bei der Kandidatenauswahl – allerdings andere. «In der Vergangenheit gab es oft eine Kultur des Schweigens und der Vertuschung innerhalb der Kirche. Schutz und Prävention waren noch vor gut 20 Jahren kaum ein Thema – teilweise in den Jugendverbänden und bei der Ministrantenbegleitung», erklärt die Sprecherin des Bistums St. Gallen, Isabella Awad.

Nicole Büchel
Nicole Büchel

Zudem habe der bereits länger spürbare Mangel an Seelsorgenden zu einem Druck geführt, neue Seelsorgende in ausreichender Anzahl auszubilden. «Dabei hat man die Zulassungsbedingungen nicht immer konsequent und hoch genug gehalten. Eine solche Haltung ist total kontraproduktiv, wie sich leider bereits gezeigt hat», erklärt Nicole Büchel, Sprecherin des Bistums Chur.

Ausgeglichenheit, Reife und gesunde Affektivität

Um als Seelsorger wirksam tätig sein zu können, brauche es neben theologischer Bildung und Spiritualität auch menschliche Werte wie Ausgeglichenheit, Reife und gesunde Affektivität. Werde nicht anfangs seriös abgeklärt, ob diese Charaktereigenschaften vorhanden sind, seien in der Folge alle Beteiligten fortlaufend überfordert und litten darunter, erklärt Büchel die Notwendigkeit der Einführung eines nationalen vertieften Assessment für alle Personen, die sich für eine Tätigkeit als Seelsorgende interessieren.

Urs Brosi, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ)
Urs Brosi, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ)

Ziel sei die frühzeitige Minimierung von Risiken im Zusammenhang mit jenen Personen, die dazu neigen könnten, die ihnen durch eine kirchliche Stellung zukommende Funktion und geistliche Autorität zu missbrauchen, erklärt hinzufügend der Generalsekretär der RKZ, Urs Brosi.

Weitere Information im Mai erwartet

Für die Umsetzung aller Präventionsmassnahmen haben SBK, RKZ und KOVOS für die Jahre 2024 bis 2026 Gelder im Umfang von 1,5 Mio. Franken für das Forschungsprojekt und 1 Mio. Franken für die weiteren beschlossenen Massnahmen bereitgestellt. Damit stünden ab nächstem Jahr zusätzliche finanzielle Mittel für Fachpersonen sowie für externe Beratung und Aufträge für die Umsetzung der beschlossenen Massnahmen bereit.

Stefan Loppacher
Stefan Loppacher

Das Geld ist also da. Wie die Zulassungsprüfungen genau ausgestaltet werden, darüber werde erst im Mai informiert – im Rahmen von Werkstattgesprächen über den Stand der Massnahmenumsetzung, sagt Stefan Loppacher vertretend für die Arbeitsgruppe, die von SBK, RKZ und KOVOS eingesetzt wurde.

Einige scheitern im bisherigen System

Die Arbeitsgruppe sollte sich aus Sicht des Forensikers neben dem Zuvor auch mit dem Danach der Priesterausbildung befassen. «Das Priesteramt in seiner derzeitigen Form stellt für unsichere Personen einen Ausweg dar, der eigenen Sexualität aus dem Weg zu gehen», meint Marc Graf. «Die Leute hadern mit sich und ihrer Sexualität, wollen aber auch sozial akzeptiert sein. Die Kirche kann eine Lösung sein. Für viele funktioniert das. Manche scheitern aber an der Verführung. Die Kombination aus Macht und Schweigen kann einfach leicht missbraucht werden.»

Anzeige ↓ Anzeige ↑

Serie: Wo stehen wir?

26. 02.2024    Missbrauchsaufarbeitung: Wer hat die Schlüssel zum Archiv der Nuntiatur?

04.03.2024     Wenn die Kirche will, ist eine Nationale Meldestelle bis Ende 2024 möglich

11.03.2024     Sexualität und Missio entkoppeln: Die Bistümer wollen nicht

18.03.2024      Kirchenpersonal: Was bringen Eignungstest?

25.03.2024      Nationales Kirchengericht: Was ist realistisch?


Created with GIMP | © SRF
18. März 2024 | 12:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!