Die Bewegung «Out in Church» hat in Deutschland eine Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht erreicht.
Schweiz

Sexualität und Missio entkoppeln: Die Bistümer wollen nicht

Bistümer diskriminieren Seelsorgende, deren Privatleben nicht der katholischen Sexuallehre entspricht. Damit soll Schluss sein, fordert die RKZ seit letztem September. In Deutschland ist die Entkopplung von Missio und Privatleben bereits Realität. Die Schweizer Bischöfe wollen «die deutsche Lösung» nicht. Der dritte Teil der kath.ch-Serie «Wo stehen wir?»

Barbara Ludwig und Annalena Müller

Ein offener Brief von Seelsorgenden an die Luzerner Synode sorgt im November 2023 für Aufsehen. Verfasst haben ihn sechs Theologinnen und Theologen, die wegen ihrer «irregulären Situation» keine Stelle erhalten haben oder jahrelang ihre Partnerin oder ihren Partner verleugnen mussten. In dem Schreiben fordern sie von den Schweizer Bischöfen, Missio und private Lebenssituation endlich zu entkoppeln.

In Deutschland wird dies bereits praktiziert. Ob die Schweizer Bistümer den gleichen Weg einschlagen, ist fraglich. Aus informierten Kreisen heisst es: Das Thema sei emotional und die Bischöfe wollten «die deutsche Lösung» nicht.

Kommission soll Grundlage erarbeiten

In der Schweiz fordern nicht nur die Luzerner Seelsorgenden die Entkopplung. Auch die RKZ sagt: Die Kirche solle bei Anstellungen das Beziehungsleben aussen vorlassen. Damit soll der Einfluss der kirchlichen Sexualmoral reduziert werden, welche Missbrauch begünstige. RKZ-Generalsekretär Urs Brosi präzisiert: «Die Forderung der RKZ bezieht sich nur auf jene kirchlichen Mitarbeitenden, die sich nicht aufgrund von Weihe oder Ordensgelübde zum enthaltsamen Leben verpflichtet haben.»

Urs Brosi stellte im September 2023 im "SRF-Club" die RKZ-Forderungen vor. Darunter auch die Entkopplung von Missio und Lebensführung.
Urs Brosi stellte im September 2023 im "SRF-Club" die RKZ-Forderungen vor. Darunter auch die Entkopplung von Missio und Lebensführung.

kath.ch fragt bei den Bistümern nach. Diese verweisen auf die Bischofskonferenz. Dort erfährt man: Die Bistümer würden sich, «unabhängig vom Wunsch der RKZ», schon länger mit der Thematik befassen. «Die Bischöfe streben eine einheitliche Vorgehensweise an», so SBK-Sprecherin Julia Moreno.

Moraltheologie

Dafür hätten die Bischöfe der «Kommission für Theologie und Ökumene» den Auftrag erteilt, einen Text zu erarbeiten. Dieser soll den Personen, die «in sogenannt irregulärer Situation leben» und als Seelsorgerinnen oder Seelsorger tätig sein wollen, gerecht werden, schreibt Julia Moreno.

Julia Moreno ist die Kommunikationsverantwortliche der Schweizer Bischofskonferenz.
Julia Moreno ist die Kommunikationsverantwortliche der Schweizer Bischofskonferenz.

Mit anderen Worten: Die Kommission solle schauen, ob es möglich ist, Homosexualität moraltheologisch anders, nämlich positiv, zu deuten. Denn für eine Trennung der Missio-Frage von der Moraltheologie seien die Bischöfe nicht bereit, heisst es aus Insiderkreisen.

Arbeitsrecht

Kirchenrechtler und Ethiker finden diese Bindung an die Moraltheologie problematisch, da sie sehenden Auges in eine Sackgasse führe. Seitens der RKZ heisst es: Eine Änderung der kirchlichen Sexualmoral sei zwar wünschenswert, aber die Forderung der RKZ bezöge sich auf das Arbeitsrecht. Solange die Missio eine Anstellungsvoraussetzung bilde, müsse diese arbeitsrechtlichen Massstäben genügen.  

Hanspeter Schmitt, Ethiker in Chur
Hanspeter Schmitt, Ethiker in Chur

Das Argument, dass die katholische Kirche ein Tendenzbetrieb im rechtlichen Sinne sei und deshalb Erwartungen an die partnerschaftliche Lebensgestaltung ihrer Angestellten stellen dürfe, verhebe nicht. Beziehungsleben und Intimsphäre gehörten nicht nicht ausreichend zur religiösen Identität der katholischen Kirche, als dass Bischöfe Auflagen für Seelsorgerinnen und Seelsorger rechtfertigen könnten, so der Standpunkt der RKZ.

Auch Hanspeter Schmitt, Ethiker an der Theologischen Hochschule Chur, argumentiert in diese Richtung. In einem Beitrag auf kath.ch schrieb Schmitt kürzlich: «Institutionenethisch ist es keine Frage, dass Institutionen Ansprüche an ihre Angestellten richten dürfen: Die Einhaltung verfassungs- und menschenrechtlicher Prinzipien und – spezifisch institutionell – das vertraglich geregelte Engagement sowie Loyalität zur Identität und Aufgabe der Institution und zu ihren Rollenträgern. Diese Ansprüche sind aber durch das Grundrecht auf Privatsphäre definitiv begrenzt. Dazu zählen Entscheidungen, die die freie Wahl intimer Partnerschafts- und Familienformen betreffen.»

Ein «kleiner Schritt»

Helena Jeppesen-Spuhler beschäftigt das Thema im Rahmen ihrer Synodenarbeit. Sie steht voll hinter der Forderung der RKZ und der Luzerner Seelsorgenden. Bereits bei der synodalen Versammlung des Bistums Basel im Januar 2022 habe man sich damit befasst. Aber: «Die Verantwortlichen des Bistum Basel haben noch immer nicht den Mut, sich hier von einer veralteten Sexualmoral zu distanzieren und sich an einer modernen Beziehungsethik zu orientieren», sagt Jeppesen. Dabei hätten sie «an der Kirchenbasis grossen Rückhalt dafür.»

Helena Jeppesen-Spuhler und Bischof
Felix Gmür in Rom.
Helena Jeppesen-Spuhler und Bischof Felix Gmür in Rom.

Eine Änderung sei «überreif. Zu viele begabte Seelsorgende sind verletzt und vertrieben worden, weil sie die Missio nicht bekamen.» Jeppesen findet, es wäre «ein relativ kleiner Schritt», den die Schweizer Bistümer gehen müssten. Die Kirche in Deutschland habe hier Vorarbeiten geleistet und die Schweiz solle sich daran orientieren.

Vorbild Deutschland

Deutschlands Bischöfe haben 2022 eine Neuordnung des kirchlichen Arbeitsrechtes beschlossen. Seit 1. Januar 2023 ist sie in allen Diözesen in Kraft. Wer bei der Kirche arbeitet und in zweiter Ehe oder in einer homosexuellen Partnerschaft lebt, muss nicht mehr mit einer Kündigung rechnen.

Regelbrüche, aus denen Segen hervorgeht: Out in Church beim Katholischen Medienpreis 2022 in Bonn.
Regelbrüche, aus denen Segen hervorgeht: Out in Church beim Katholischen Medienpreis 2022 in Bonn.

In Deutschland geschah diese Änderung auf öffentlichen Druck hin. Wie in der Schweiz, war auch in Deutschland kirchliches Arbeitsrecht an Moraltheologie gebunden. Und auch dort argumentierte die Kirche lange im Sinne des Tendenzbetriebs. Dies änderte sich nach dem Outing von 125 queeren Kirchenangestellten im Januar 2022 im Rahmen einer Aktion von #outinchurch.

Bistum Essen als Vorreiter

Das Bistum Essen reagierte: Im Februar 2022 richtete Bischof Franz-Josef Overbeck einen Brief an die Mitarbeitenden. Darin heisst es, man verzichte in der Diözese darauf, die Grundordnung für den kirchlichen Dienst «im Blick auf die sexuelle Orientierung sowie das Beziehungsleben bzw. den Familienstand anzuwenden». Es sei «jetzt aber an der Zeit, dass wir in der katholischen Kirche in Deutschland diesen Zustand verbindlich und rechtssicher beenden», schrieb Bischof Overbeck.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck

Binnen Jahresfrist schafften die Bischöfe Rechtssicherheit. Die Missio wird in Deutschland seit Januar 2023 unabhängig von der sexuellen Orientierung vergeben. In der Schweiz ist man noch nicht soweit.

Allein Taten zählen

Ende Januar 2024 haben sich vier der sechs Luzerner Seelsorgenden mit Bischof Felix Gmür getroffen. Felix Gmür habe für ihre Erfahrungen Verständnis gezeigt, teilt Herbert Gut im Namen der Gruppe mit. Bischof Gmür, der auch der SBK vorsteht, habe ihnen zudem versichert, er wolle dazu beitragen, dass Seelsorgende solch schlimme Erfahrungen in Zukunft nicht mehr machen müssten. «Dies hat uns sehr gefreut», so Herbert Gut.

Herbert Gut, Theologe und Seelsorger.
Herbert Gut, Theologe und Seelsorger.

Weil Taten aber wichtiger seien als Worte, warte man nun auf die konkrete Änderung des Umgangs mit dem kirchlichen Personal, damit künftige Seelsorgende solche «Diskriminierungen und Verletzungen der persönlichen Integrität» nicht mehr erleben müssten, sagt Herbert Gut.

Warten auf eine konkrete Entscheidung der Bischöfe, das tun wohl auch zahlreiche andere Seelsorgende in der Schweiz, die sich mit ihrem Privatleben nicht öffentlich outen wollen. Gefragt, ob die deutschen Bistümer ein Vorbild sein könnten, wiegelt die SBK-Sprecherin ab: «Ein anderes Land als Vorbild zu nehmen (selbst wenn es sich um Deutschland handelt), ist immer extrem vereinfachend und heikel, da die Strukturen und rechtlichen Hintergründe von Land zu Land sehr unterschiedlich sind.» Aus Insiderkreisen heisst es klarer: Die Bischöfe wollten «die deutsche Lösung» nicht.

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04.03.2024     Wenn die Kirche will, ist eine Nationale Meldestelle bis Ende 2024 möglich

11.03.2024     Sexualität und Missio entkoppeln: Die Bistümer wollen nicht

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Die Bewegung «Out in Church» hat in Deutschland eine Anpassung im kirchlichen Arbeitsrecht erreicht. | © screenshot
11. März 2024 | 11:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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