Simon Brechbühl ist Geschäftsführer von CSI Schweiz
Schweiz

Simon Brechbühl: «Wir befreien Menschen aus der Sklaverei»

Simon Brechbühl ist Geschäftsführer von CSI Schweiz. Im Südsudan traf er auf 300 Menschen, die CSI zuvor aus sudanesischer Sklaverei befreit hat – im Tausch gegen Impfdosen für Weidevieh. Das Engagement von CSI sei wichtig, auch wenn er in der Schweiz das christlich motivierte Engagement zunehmend erklären muss, so Brechbühl.

Annalena Müller

Herr Brechbühl, Sie sind gerade aus dem Südsudan zurückgekommen. Zuvor hat CSI 300 versklavte Menschen im Sudan freigekauft. Unterstützt CSI indirekt Menschenhandel?

Simon Brechbühl*: Wir kaufen keine Menschen frei. Wir befreien versklavte Menschen und bieten den Sklavenhaltern dafür Viehimpfungen an. Es fliesst kein Geld an Sklavenhalter. Im Sudan sind es vor allem Grossgrundbesitzer, die Sklaven arbeiten lassen. Im Austausch gegen die gefangenen Menschen erhalten die Landbesitzer Viehimpfungen. Diese sind vor Ort meist nicht erhältlich und daher sehr begehrt.

Wie viele Impfungen ist ein Mensch wert?

Brechbühl: Das ist eine gute Frage. Ich weiss, dass die Impfdosen für mehrere Rinder, Schafe, Ziegen eingesetzt werden können, wie viele da im Tausch gegen eine Person geimpft werden können, weiss ich hingegen nicht. Das dürfte von Fall zu Fall unterschiedlich sein.

Wie sind die Menschen, die Sie im Sudan befreit haben, in die Sklaverei gelangt?

Brechbühl: Das hat eine politische Dimension. Der Sudan war seit den 1950er-Jahren bis 2005 von Bürgerkriegen gezeichnet. Dann wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet und 2011 wurde der Südsudan unabhängig. Der Sudan und der Südsudan unterscheiden sich sowohl ethnisch als auch religiös. Der Sudan ist muslimisch geprägt und die Menschen sehen sich als Araber.

Papst Franziskus und der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit verabschieden sich.
Papst Franziskus und der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit verabschieden sich.

Der Südsudan ist christlich geprägt und dort leben schwarzafrikanische Völker wie zum Beispiel die Dinka. Bis 2005 gab es immer wieder Überfälle aus dem Norden auf Dörfer im Süden, bei denen Menschen verschleppt und versklavt wurden. Im Sudan werden leider viele Südsudanesen immer noch von Grossgrundbesitzern als Leibeigene gehalten und in der Land- und Viehwirtschaft eingesetzt.

Wie stellt CSI den Kontakt vor Ort her und wie gelingen die Verhandlungen mit den Grossgrundbesitzern?

Brechbühl: Wie arbeiten eng mit örtlichen Netzwerken zusammen. Der Sudan ist flächenmässig ein riesiges Land und unsere Kontakte kennen sich vor Ort gut aus. Sie hören sich um und finden heraus, wo es potentiell Sklaven gibt. Sie suchen den Kontakt zu den Betroffenen oder direkt mit den Grundbesitzern. Und dann wird verhandelt.

Erhalten die Netzwerke vor Ort Geld für diese Tätigkeiten?

Brechbühl: Sie erhalten Nahrungsmittel, Kleidung und auch Viehimpfungen.

«Die 33-jährige Ater wurde mit 13 Jahren entführt, vergewaltigt und zwangsverheiratet.»

Unter welchen Bedingungen lebten die Menschen, bevor sie befreit wurden?

Brechbühl: Für uns ist das nur schwer vorstellbar. Die Geschichten sind oft ähnlich. Ich konnte vor einigen Tagen mit mehreren befreiten Menschen sprechen. Sexuelle Gewalt erleben vor allem Frauen. Zum Beispiel Ater. Sie ist heute 33 Jahre und wurde mit 13 versklavt. Sie wurde in den Norden entführt, als sie zu Fuss auf dem Weg zu ihrer Tante war. Dort wurde sie vergewaltigt und zwangsverheiratet. Aus dieser Zwangsehe ist eine Tochter hervorgegangen, die heute acht Jahre alt ist. Bevor Ater freigelassen wurde, hat man ihr die Tochter entrissen.

Ater (33) erhält von Simon Brechbühl ein Überlebenspaktet. Als 13-jährige wurde sie entführt und versklavt.
Ater (33) erhält von Simon Brechbühl ein Überlebenspaktet. Als 13-jährige wurde sie entführt und versklavt.

«Dhieu wurde 1994 als 14-jähriger entführt und lebte 30 Jahre in Leibeigenschaft.»

Männer, wie Dhieu, werden vor allem dafür eingesetzt, um nach dem Vieh zu schauen. Dhieu wurde 1994 als 14-jähriger entführt und lebte 30 Jahre in Leibeigenschaft. Er hat mir erzählt, dass er auf dem Boden schlief, oft hungerte und Gewalt ausgesetzt war, wenn er in den Augen seines «Masters» einen Fehler machte. Mit den anderen Sklaven auf der Farm durfte er nicht reden. Durch die Isolation der Männer wollte der Sklavenhalter verhindern, dass sie sich austauschen und gegebenenfalls zusammenschliessen. Auch Versuche von Zwangsislamisierung sind häufig.

Engagiert sich CSI nur für Christen und Christinnen?

Brechbühl: Nein. Nicht alle befreiten Sklaven sind Christen. Wir helfen einerseits denjenigen des weltweiten Leib Christi, die unterdrückt werden und in einer feindlich gesinnten Umgebung leben. Andererseits helfen wir den Schwächsten und Verletzlichsten der Gesellschaft, unabhängig ihres ethnischen oder religiösen Hintergrundes. Wir leisten auch humanitäre Nothilfe, so geschehen bei Überschwemmungen in Pakistan oder beim Erdbeben in der Südosttürkei/Syrien Anfang letzten Jahres. Da fragen wir doch nicht nach ethnischen oder religiösen Hintergründen, sondern einfach danach, was die Betroffenen brauchen.

Die befreiten Menschen erhalten Überlebenspakete, Getreide und eine Milchziege zur Selbstversorgung.
Die befreiten Menschen erhalten Überlebenspakete, Getreide und eine Milchziege zur Selbstversorgung.

Man hört immer wieder, dass Gewalt gegen Christen und Christinnen weltweit zunimmt. Der Widerhall in den Schweizer Medien bleibt relativ überschaubar. Woran liegt das Ihrer Meinung?

Brechbühl: Das ist eine Frage, die wir uns auch immer wieder stellen. Ich denke, es liegt daran, dass wir zwar in einer christlich geprägten Gesellschaft leben, aber die christliche Identität in einer zunehmend säkularisierten Welt eine geringere Rolle spielt. Als Organisation, die sich für Religionsfreiheit oder auch bewusst für unterdrückte Christen und Christinnen einsetzt, muss man sich schnell erklären: Warum christlich? Dass säkulare Menschenrechtsorganisationen wahrscheinlich seltener gefragt werden, warum sie säkular unterwegs sind, hat auch etwas mit Mehrheitsverhältnissen und Mehrheitsidentität zu tun.

Auch dieses Interview hinterfragt Ihre Motive. Da fällt mir ein, ein Motiv habe ich noch vergessen: Missionieren Sie die Leute, die Sie befreien?

Brechbühl: (lacht) Nein, wir missionieren nicht. Das ist übrigens ein wichtiger Punkt. CSI versteht sich als Menschenrechtsorganisation, die sich für Religionsfreiheit einsetzt, gemäss Artikel 18 der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte». Wir engagieren uns im humanitären Bereich durch Hilfsprojekte und auf politischer Ebene durch unsere Menschenrechtsarbeit.

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Frustriert Sie dieses ständige Hinterfragwerden?

Brechbühl: Nein, die Nachfragen frustrieren mich nicht. Wenn man in diesem Kontext arbeitet und ob kritischer Fragen frustriert wäre, dann wäre man wahrscheinlich am falschen Ort. Mir geht es vielmehr darum, gewisse Dinge klarzustellen, zu erklären, ein Verständnis zu vermitteln. Und die Erfahrung zeigt, dass das eigentlich sehr geschätzt wird.

*Simon Brechbühl (40) arbeitet seit 2020 für die Stiftung CSI Schweiz. Seit Sommer 2022 ist er deren Geschäftsführer. Brechbühl lebt mit seiner Familie bei Thun und hat einen evangelisch-freikirchlichen Hintergrund.

Christian Solidarity International

Christian Solidarity International finanziert sich durch Spenden. Diese erhält die Organisation von Privatpersonen, Stiftungen, Unternehmen, aber auch reformierten, katholischen und freikirchlichen Kirchgemeinden.

Informationen zu den Projekten und dem Engagement von CSI finden Sie hier.


Simon Brechbühl ist Geschäftsführer von CSI Schweiz | © Annalena Müller
28. März 2024 | 17:30
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