Silvia Huber
Schweiz

Silvia Huber: «Wir Frauen werden nicht für voll genommen in der katholischen Kirche»

Erstmals beleuchtet eine Studie Frauen, die in der römisch-katholischen Kirche der Deutschschweiz eine Leitungsfunktion in Pfarreien ausüben. Im Podcast «Laut + Leis» sprechen die Autorin Nadja Waibel und die ehemalige Gemeindeleiterin Silvia Huber darüber, weshalb Frauen trotz struktureller Diskriminierung für die Kirche arbeiten. Und über den Zwiespalt, in dem Gemeindeleiterinnen stecken.

Sandra Leis

Die Gemeindeleiterinnen, die Nadja Waibel für ihre Dissertation interviewt hat, treten alle anonym auf. «Es war schwierig, Frauen zu finden für Interviews. Es kamen oft Bedenken wegen beruflicher Konsequenzen», sagt die Autorin.

Beim Beenden ihrer Arbeit habe sie nochmal überlegt, ob sie die Namen nennen solle, denn die Frauen seien ja auch historische Persönlichkeiten. «Doch dann bin ich bei der Anonymität geblieben, denn man weiss nicht, was so ein Buch bewirkt, welcher Satz aus dem Kontext gerissen wird.» Es gehe darum, die Frauen zu schützen, «weil sie in einem Machtgefälle sehr abhängig sind».

Silvia Huber und Nadja Waibel
Silvia Huber und Nadja Waibel

Kultur der Angst

Silvia Huber, langjährige Gemeindeleiterin in der Stadt Luzern und heute Coach und Supervisorin, kann gut nachvollziehen, dass die Frauen anonym bleiben wollen. Ein ihr bekannter Gemeindeleiter habe zwar nur den Kopf geschüttelt. Doch Frauen seien sich sehr bewusst, dass ihre Position nicht gefestigt sei. «Es herrscht eine Kultur der Angst», sagt Huber.

Das Kirchenrecht regelt die Meldepflicht eindeutig: Missbrauchsfälle, die Minderjährige betreffen, müssen in Rom gemeldet werden.
Das Kirchenrecht regelt die Meldepflicht eindeutig: Missbrauchsfälle, die Minderjährige betreffen, müssen in Rom gemeldet werden.

Wenn ein neuer Priester oder Bischof ins Amt kommt, kann es durchaus passieren, dass die Gemeindeleiterin in ihren Kompetenzen zurückgestuft wird. Denn kirchenrechtlich hat der Priester das letzte Wort.

Plötzlich durfte sie nicht mehr taufen

Silvia Huber, auch bekannt durch ihre Radiopredigten auf SRF, erinnert sich: Als sie die Stelle als Gemeindeleiterin antrat, war es im Bistum Basel üblich, dass die Gemeindeleiterinnen und -leiter die ausserordentliche Taufvollmacht bekommen. «Doch kaum war ich da, hiess es, es gibt ja noch einen Priester in der Pfarrei, und eigentlich könnte doch er die Taufen machen. Das war für mich so frustrierend – ich hätte beinahe wieder gekündigt.»

Bei der Taufe zeichnet der Priester mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn des Kindes.
Bei der Taufe zeichnet der Priester mit Wasser ein Kreuz auf die Stirn des Kindes.

Und: «Es war für mich nicht eine Frage der Macht, sondern der Seelsorge. Weshalb soll ein Priester, der kurz vor der Pensionierung steht und den man nur in der Liturgie sieht, die Taufen machen, einzig weil er geweiht ist?» Die Vorbereitung auf die Taufe sei ein Schlüsselmoment, bei dem man mit jungen Familien in Kontakt komme und Gemeindearbeit leiste. Zum Glück habe sich die Situation schliesslich zum Guten gewendet. Silvia Huber durfte wieder taufen.

Am kürzeren Hebel

Nadja Waibel hat mit 21 Gemeindeleiterinnnen biografische Interviews geführt und sagt über die Zusammenarbeit mit den Priestern: «Es ist oft eine sehr kollegiale und wertschätzende Zusammenarbeit, in der es vor allem darum geht, wie man das Pfarreileben aufrechterhalten kann und wer was am besten macht. Doch wenn es Konflikte gibt, wird es für die Frauen schwierig, weil sie am kürzeren Hebel sind.»

Vier Frauen-Typen

Weshalb studieren Frauen römisch-katholische Theologie, obwohl sie wissen, dass sie nicht zur Priesterin geweiht werden? Waibel nimmt in ihrer gut lesbaren Dissertation eine Typologie vor und stellt vier Kategorien auf:

Die Frau des Typs A ist im katholischen Milieu aufgewachsen und hat darin ihre Berufung gefunden. Typ B wurde in der katholischen Jugendgruppe sozialisiert, Typ C stellte sich die Frage nach Gott in Krisen, im Leid und im Sterben. Typ D erlernte zunächst einen bürgerlichen Beruf, erlebte diesen als zu wenig sinnstiftend, fand schliesslich den Weg zur Kirche und hat dann Theologie studiert.

Rita Bausch als Vorbild

Silvia Huber war ein begeistertes Blauring-Mädchen und ordnet sich klar dem zweiten Typus zu: «Ich war sehr engagiert in der Jugendarbeit.» Und über ihre spätere Arbeit als Gemeindeleiterin sagt sie: «Ich fühlte mich wie ein Fisch im Wasser und habe vor allem die Gestaltungsmöglichkeiten sehr geschätzt.»

Rita Bausch
Rita Bausch

Ausschlaggebend für ihr Theologiestudium war ein Film im Fernsehen: «Ich sah Rita Bausch, die erste Gemeindeleiterin der Schweiz, durch das Priesterseminar in Chur schreiten und wusste: Das kann ich auch. Ich hatte endlich ein Frauen-Vorbild und machte mich auf den Weg.»

Titel nimmt Bezug auf Emilie Lieberherr

Der Buchtitel «Vertrauen mit den Frauen» nimmt Bezug auf die Rede von Emilie Lieberherr, mit der sie 1969 auf dem Bundesplatz in Bern für das Frauenstimmrecht in der Schweiz kämpfte. Stichwort Vertrauen: Nadja Waibel ist erstaunt darüber, wie häufig die interviewten Frauen davon sprachen. «Für die Gemeindeleiterinnen war es enorm wichtig, dass Priester und Gläubige ihnen Vertrauen schenkten.» Sie erlebten in ihrem Beruf oft einen Vertrauensvorschuss von Seiten der Gemeinde.

Und Silvia Huber ergänzt: «Wir Frauen tragen eine Grundverletzung mit uns, weil wir nicht für voll genommen werden in der katholischen Kirche.»

Frauen machen einen Dauerspagat

Einerseits sorgen Gemeindeleiterinnen mit ihrer Arbeit für den Fortbestand der Pfarreien, andererseits stützen sie ein System, das Frauen diskriminiert. Desillusioniert zieht eine der interviewten Frauen im Buch Bilanz: «Jetzt muss ich feststellen, man kann sich einsetzen, wie man will, es hat in meiner Lebenszeit überhaupt nichts gebracht, eher im Gegenteil, es hat das System noch verfestigt.»

Nadja Waibel
Nadja Waibel

Silvia Huber widerspricht und sagt, das System bröckle durchaus. Klar aber sei, dass man als Frau einen Dauerspagat mache. «Es braucht eine hohe Frustrationstoleranz und ein gewisses Grad an Schizophrenie, diesen Spagat auszuhalten. Retten kann mich dabei der Gedanke, dass es um die Menschen vor Ort geht.»

Zugang zu Ämtern

Silvia Huber und Nadja Waibel sind gläubige Katholikinnen und überzeugt, dass sich die Institution Kirche verändern wird, weil sich die Gesellschaft verändert. Eine tiefgreifende Erneuerung sei insbesondere dann möglich, wenn Frauen Zugang zu allen wichtigen Ämtern erhalten. Voraussetzung sei die «völlige Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen in der Kirche auf allen Ebenen», schreibt Waibel in ihrem Buch.

Das Buch:
Nadja Waibel: «Vertrauen mit den Frauen». Eine biografisch empirische Studie zu Gemeindeleiterinnen in katholischen Pfarreien der deutschsprachigen Schweiz. Theologischer Verlag Zürich 2023, 292 Seiten.


Silvia Huber | © Sandra Leis
8. September 2023 | 09:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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