Käufliche Liebe
Schweiz

Seelsorge für Sexarbeiterinnen: «Es geht recht oft um den Glauben»

Die Corona-Massnahmen bringen Sexarbeiterinnen in eine schwierige Lage. Seelsorgerin Brigitte Horvath Kälin hat mit ihren Klientinnen zurzeit nur über WhatsApp Kontakt.

Ueli Abt

Brigitte Horvath Kälin
Brigitte Horvath Kälin

Das BAG hat explizit ausgeführt: Der Besuch bei Sexarbeiterinnen ist nicht möglich. Halten sich die Freier daran?

Brigitte Horvath Kälin: Davon gehe ich aus. Viele Sexarbeiterinnen arbeiten in Bars oder Salons. Diese wurden geschlossen, entsprechend sind die Frauen dort nicht tätig. Die gute Gesundheit ist das Kapital der Frauen, dass es ihnen gut geht, ist enorm wichtig für ihr Geschäft. Sie wollen sich jetzt selbst schützen. Viele sind noch rechtzeitig in ihr Heimatland zurückgereist.

«Sie müssen die Miete weiter zahlen.»

Was macht eine Sexarbeiterin, wenn die Einkünfte wegen Corona stark zurückgehen oder gar ausbleiben?

Horvath Kälin: Jene, die in einem Atelier ein Zimmer mieten, müssen die Miete im Prinzip weiter zahlen, obwohl die Einnahmen ausbleiben. Die Beratungsstelle Aliena und die Leitung des runden Tisches Prostitution von Basel Stadt sind dabei, mit Vermietern zu sprechen und Lösungen für die Frauen zu finden, die noch da sind. 

In welchen Arbeitsverhältnissen stehen die Sexarbeiterinnen in Basel überhaupt?

Horvath Kälin: Jene, die in Salons arbeiten, werden vom Betreiber regulär beim Amt für Arbeit angemeldet mit einer Angabe, wie viele Tage sie pro Monat arbeiten. Diese Frauen arbeiten also legal. Es gibt aber auch jene, die privat eine eigene Wohnung mieten und nicht beim Amt für Wirtschaft angemeldet sind. Die Dunkelziffer ist hoch.

«Mir fällt auf, wieviele Wechsel es gibt.»

Was heisst die aktuelle Lage für Sie als Seelsorgerin im Tabubereich?

Horvath Kälin: Wir können im Moment nicht wie gewohnt arbeiten, die aufsuchende Seelsorge fällt derzeit weg. Unser letzter Rundgang durchs Milieu war Ende Februar. Ich bin aber mit einzelnen Frauen via Whatsapp im Austausch. Das Team der Beratungsstelle Aliena führt nach wie vor Beratungen durch.

Sie haben vor einem Jahr Ihre Arbeit als Seelsorgerin im Tabubereich aufgenommen. Zu Beginn sagten Sie, in einem ersten Schritt gehe es darum, überhaupt Kontakt aufzunehmen. Wo stehen Sie da heute?

Horvath Kälin: Es hat sich eine gewisse Routine ergeben. Regelmässige Besuche in den Quartieren sind normal. Einzelne Frauen treffe ich immer wieder an. Doch mir fällt auf, wie viele Wechsel es gibt. Immer wieder denke ich: «Diese Frau habe ich zuvor noch nicht gesehen.»

Somit ist es schwierig, langfristige Kontakte aufzubauen. Diese entstehen beispielsweise dann, wenn eine Frau aussteigen will und neue Kontakte sucht, um sich dem Einfluss des Milieus zu entziehen. Meine Kollegin von der Heilsarmee, die diese Arbeit schon seit Jahren macht, steht bis heute mit Frauen in Kontakt, die längst das Pensionsalter überschritten haben.

Gibt es in den Gesprächen mit Sexarbeiterinnen wiederkehrende Themen?

Horvath Kälin: Ganz häufig beschäftigt die Sexarbeiterinnen der Geldbeschaffungsstress. Sie müssen arbeiten, es muss Geld reinkommen. Viele von ihnen haben in ihrem Heimatland Familie oder mindestens Kinder, die bei den Grosseltern oder bei einer Tante leben, während die Mutter zur Arbeit ins Ausland reist. Viele Frauen sagen, dass die Arbeit für sie eigentlich nicht Okay sei. Sie würden lieber eine normale Arbeit machen. Doch sie sehen es als einzige Möglichkeit. Wegen der Angst, es könnte ihnen ein Kunde entgehen, dauern die Gespräche manchmal nicht besonders lang.

«Sie sind praktizierende Katholikinnen.»

Reden Sie in der Seelsorge auch über den Glauben?

Horvath Kälin: Es geht recht oft um den Glauben. Ich treffe beispielsweise viele spanischsprachige Frauen an und Frauen aus Osteuropa. Jene aus afrikanischen Ländern haben manchmal einen katholischen oder auch pfingstgemeindlichen Hintergrund. Die einen haben einen starken Glauben und sind für ein gemeinsames Gebet empfänglich. Andere sagen: «Oh nein, muss ich nicht haben.» Aus Gesprächen bekomme ich mit, dass die gelebte kirchliche Tradition wichtig ist für die Frauen. Beispielsweise sagen sie, dass sie an der Semana Santa oder sonst an einer Prozession teilnehmen. Zum Beispiel an Ostern: «Dann bin ich sicher nicht hier», sagen manche – wegen der Prozession zu Hause im Dorf. Sie sind also praktizierende Katholikinnen.

«Dorthin gehen, wo man die Ränder der Gesellschaft vermutet.»

Welches Ziel hat Ihre Arbeit?

Horvath Kälin: Mit dem Gesprächsangebot wollen wir zunächst einmal ein offenes Ohr anbieten. Wir gestalten auch Segensfeiern für die Frauen aus dem Sexgewerbe, die nächste – hoffentlich – nach Ostern. Wir machen mit Flyern auf andere Beratungsangebote aufmerksam, beispielsweise auf die Aidshilfe oder auf Aliena.

Die gegenseitige Vernetzung ist äusserst wichtig. Auf einem unserer letzten Rundgänge durchs Milieu haben wir den Sexarbeiterinnen etwas Kleines zum Valentinstag gebracht. Die Frauen haben es geschätzt, dass man an sie denkt. Ich folge damit dem Aufruf des Papstes und dem Bischof des Bistums Basel: Man soll dorthin gehen, wo man die Ränder der Gesellschaft vermutet. In Basel haben wir das Sexgewerbe mitten in der Stadt.


Käufliche Liebe | © Georges Scherrer
31. März 2020 | 07:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Seelsorge im Rotlichtmilieu

Die Römisch-Katholische Kirche Basel-Stadt und der Römisch-Katholische Landeskirche Baselland betreiben die Projektstelle «SiTa» (Seelsorge im Tabubereich) gemeinsam. Sie richtet sich an Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben und arbeiten. Dabei liegt der Schwerpunkt bei der Seelsorge im Rotlichtmilieu.
SiTa will Sexarbeitenden Raum bieten, in dem sie geschützt Seelsorge in Anspruch nehmen können. Das heisst: seelsorgliche Gespräche, gemeinsames Gebet und Gespräche über den Glauben und die Konflikte, die mit dem Glauben entstehen – auch und gerade im Zusammenhang mit dem Beruf im Sexgewerbe. Es geht um die Frage, wie der eigene Glaube lebensstützend gelebt werden kann – auch in herausfordernden Situationen.
SiTa arbeitet eng mit der Beratungsstelle Aliena zusammen, die Sexarbeiterinnen unter anderem zu den Themen Medizin und Rechtsberatung unterstützt. Aliena will sich für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen einsetzen, die im Sexgewerbe tätig sind. (uab)