Schweizerinnen konvertieren zum Islam: Männer, Museen und Musik als heimliche Verführer

Freiburg i.Ü., 3.6.16 (kath.ch) Die rund 3500 Schweizer Konvertitinnen zum Islam lassen sich in zwei Gruppen definieren, welche das Verhalten zu den «Autoritäten» im Islam prägen. Für die Konversion zum Islam sind Liebe und Kultur ausschlaggebend. Das sagte Petra Bleisch bei der Vernissage ihres Buches «Gelebte und erzählte Scharia in der Schweiz» am Mittwoch, 1. Juni, an der Universität Freiburg.

Georges Scherrer

Gemäss Petra Bleisch lebten 2010 rund 5000 Kovertiten in der Schweiz, unter ihnen 3000 bis 4000 Frauen. Heute dürften es mehr sein, so Bleisch. Bei diesen Zahlen handle es sich um «grobe Schätzungen», sagte die Forscherin. Die Zahlen basierten auf Auswertungen von Angaben, die Bleisch vom Bundesamt für Statistik zur Verfügung gestellt wurden.

Die aus Thal im Kanton St. Gallen stammende Forscherin ging auch den Beweggründen nach, warum Schweizerinnen zum Islam konvertieren. Es gelang ihr, den Kontakt zur etwas verschlossenen Welt der Konvertitinnen herzustellen. Die Nichtmuslimin erlangte das Vertrauen des Islamischen Frauenvereins «Centre Islamique de Bienne». Dieser Verein geniesst wegen seiner geographischen Nähe zum Verein mit dem klingenden Namen «Islamischer Zentralrat der Schweiz» (ISRS) eine gewisse mediale Aufmerksamkeit. Mehrere Mitglieder des IZRS-Vorstandes wohnen in Biel. Der Frauenverein gehört einem weiten Zusammenschluss von islamischen Frauenvereinen in der Westschweiz an.

«Bruch» oder fliessender Übergang

Leichter sei es gewesen, den Kontakt zum Frauenverein «Dar an-Nur» in Bern herzustellen, sagte die Forscherin. Aufgrund der entstandenen Beziehungen mit den Frauen konnte sie 22 Interviews führen, diese vor allem mit Konvertitinnen. 17 informelle Treffen und 18 Besuche von «Kursstunden» in den islamischen Vereinen ermöglichten es Petra Bleisch, das Umfeld der Schweizer Konvertitinnen besser auszuleuchten.

Frauen konvertierten in der Regel im Alter zwischen 20 und 30 Jahren zum Islam. Diese Frauen verfügten meist über einen höheren Studienabschluss. Als Hauptgrund für die Konversion nannte Bleisch die Liebe zu einem muslimischen Mann. In der Biographie der Frau komme es auf diese Weise zu einem «Bruch». Die Konversion stelle einen «Höhepunkt» in der Biographie dieser Frauen dar. Verschiedene Frauen würden diesen «Höhepunkt»  jedoch in einem Leben im Jenseits ansetzen.

«Gott hat festgelegt, wie der Islam gelebt werden muss.»

Als zweiten Grund für eine Konversion machte Petra Bleich die Kultur aus. Über Museen, Musik und Reisen würden die späteren Konvertitinnen erste Kontakte zur islamischen Lebensweise aufbauen. Irgendeinmal komme dann der Zeitpunkt, in welchem die Frau sage: «Ich habe gespürt, dass es der richtige Moment für die Konversion war.» Gemäss Bleisch spielt der Religionswechsel für diese Frauen eine untergeordnete Rolle. Die Konversion werde nicht als «Bruch» mit dem bisherigen Leben angesehen.

«Reiner Islam» und «Vielfalt»

Die Liebes-Konversion und die Kultur-Konversion führten zu einem je unterschiedlichen Verhältnis zum Islam und dessen Normen. Frauen, bei welchen die Konversion zu einem «Bruch» in der Biographie führte, würden eher in einer Konfliktsituation zur schweizerischen Gesellschaft stehen. Aus ihrer Sicht hat «Gott festgelegt, wie der Islam gelebt werden muss». Sie pflegten die Vorstellung von einem «reinen Islam» und orientieren sich an «Autoritäten», in der Regel dem Imam.

Bleisch beobachtete aber auch, dass sich neue Konvertitinnen sehr gern am Beispiel von älteren Konvertitinnen orientierten, weil diese ein «Modell darstellen, wie man den Islam in der Schweiz lebt». Die Konversion würden sie theologisch begründen. Der Islam müsse über Autoritätspersonen «erlernt» werden. Sie würden selber wenig lesen.

«Islam wird immer durch Kultur ausgedrückt.»

Anders die Frauen, die über die «Kultur» zum Islam gefunden haben: Aufgrund ihres Interesses hätten sie den Islam als «Vielfalt» kennengelernt. Sie würden sich oft auch im Internet informieren. Sie wissen um die verschiedenen Rechtsschulen im Islam und die kulturellen Verschiedenheiten. Der Islam werde als «individuell verschieden» erlebt. Ihre Devise laute: «Es gibt nicht den Islam. Islam wird immer durch Kultur ausgedrückt.»

Der Islam erlerne sich durch Erfahrung und durch die Praxis im Leben. Beiden Konvertiten-Typen sei aber gemeinsam, dass sie sich in der Gesellschaft als Musliminnen erkennbar bewegten. Sie tragen also den Schleier.

Die «Kursstunde» in einer Männerwelt

Zwei weitere Erkenntnisse zieht Petra Bleisch aus ihren Untersuchungen. Musliminnen stossen in ihrer Religionsgemeinschaft auf ähnliche Probleme wie etwa Katholikinnen. Obwohl die Frauen sehr viel Arbeit für ihre Gemeinschaften leisteten, würden sie von den Männern «kaum angehört.» In der Moschee und der Gemeinschaft aller Muslime, «Umma» genannt, hätten Männer das Sagen.

Anhand einer Anekdote erzählte Petra Bleisch zudem, wie die Frauen doch Einfluss auf die Bildung von Konvertitinnen ausüben würden. Die «Kursstunden» für die islamischen Frauenvereine würden meist durch Scheichs oder Imame gehalten, die oft aus dem Ausland kommen und der Sprache der Konvertitinnen also nicht mächtig seien.

Frauen dienten als Übersetzerinnen. Eine Frau fragte, ob sie als Muslimin weiterhin ihren Geburtstag feiern dürfe. Der Imam sagte nein, denn der Prophet habe dies auch nicht getan. Die Übersetzerin ergänzte jedoch, als Schweizerin dürfe sie diese Tradition durchaus fortsetzen.

Petra Bleisch gibt in ihrem Buch die Kurzbiographien von über zwei Dutzend Schweizer Konvertitinnen wieder. Unter den Frauen sind ehemalige Christkatholikinnen, Katholikinnen und Protestantinnen, aber auch solche, die aus «agnostischen» Familien stammen.

Das Buch «Gelebte und erzählte Scharia in der Schweiz» von Petra Bleisch ist in der Reihe «Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht» erschienen, die vom Kirchenrechtler René Pahud der Mortanges herausgegeben wird. Vertrieben wird das Buch durch den Schulthess Verlag Zürich. (gs)

Petra Bleisch anlässlich ihrer Buchpräsentation zu Konvertitinnen in Freiburg | © 2016 Georges Scherrer
3. Juni 2016 | 09:57
Lesezeit: ca. 3 Min.
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