Der Schweizer Interteam-Mitarbeiter Johannes Brunner bei einer Gartenbesichtigung in Cochabamba, Bolivien
International

Schweizer Hilfswerksvertreter in Bolivien: Wird der Papst Kokablätter kauen?

Cochabamba/Zürich, 8.7.15 (kath.ch) Welche Bedeutung hat die Papstreise nach Lateinamerika für die Menschen, die auch in diesen Tagen kaum im Rampenlicht stehen werden? kath.ch hat bei Projektverantwortlichen von Schweizer Hilfswerken nachgefragt. In Cochabamba ist das Schweizer Hilfswerk Interteam mit dem Projekt für Agro-Forst-Systeme tätig. Cochabamba ist die viertgrösste Stadt Boliviens und liegt auf rund 2500 Metern über Meer. Der Aargauer Johannes Brunner* beantwortet die Fragen von kath.ch. 

Martin Spilker

Wie wird der Papstbesuch in Bolivien bei den Katholikinnen und Katholiken in Ihrer Nähe und bei der Kirchenleitung im Land aufgenommen?

Johannes Brunner: Wenn ich morgens in mein Büro in der katholischen Universität «San Pablo» von Cochabamba komme, empfangen mich am Eingang Transparente und am Aufzug eine Videobotschaft des Papstes. Die Frage, ob Franziskus bei seiner Ankunft in El Alto Kokablätter kauen wird, ist Thema in der Kaffeepause. An meiner Fakultät für Umweltwissenschaften stehen religiöse Themen eher im Hintergrund. Aber der Rektor hat den Besuch zum Anlass genommen, der pastoralen Arbeit an der Universität neue Impulse zu geben.

Auch die Amtskirche betont die pastoralen Aspekte, wie auch aus dem offiziellen Motto hervorgeht. «Mit Franziskus verkünden wir die Freude des Evangeliums – Versöhnung und Erneuerung». Sie erhofft sich wohl auch, mit dem Besuch dem Einflussverlust der Kirche auf das öffentliche Leben etwas entgegensetzen zu können. Wobei manche Konservative auch besorgt sind in Bezug auf einige Positionen des Papstes, etwa hinsichtlich Laien, Frauenpriestertum, Sexualmoral. Oder sie befürchten, dass bei allem Trubel die religiösen Aspekte zu kurz kommen. «Der Papst kommt, nicht Jesus», formuliert es der Jesuit Daniel Mercado in einem Kommentar.

Welche Bedeutung messen Sie persönlich dem Papstbesuch bei?

Brunner: Mich hat die Weise berührt, wie der Papst seine Reise nach Bolivien angekündigt hat. Er hat davon gesprochen, dass es nötig ist, den Armen wirklich zu begegnen, was bedeute, an ihrer Seite zu stehen.

Ich würde mir deshalb erhoffen, dass er im Sinne seiner Enzyklika «Laudato Si» den Umweltaktivisten in Bolivien den Rücken stärkt. Es ist wieder die Diskussion entbrannt, wieweit die Natur geopfert werden muss, um die Armut bekämpfen zu können. Dies insbesondere in Bezug auf den von der Regierung geplanten Strassenbau mitten durch das indigene und Naturschutzgebiet Isiboro Secure (TIPNIS) und die Erdölbohrungen in Naturschutzgebieten.

Wenn Sie den Papst treffen könnten: Welche Botschaft würden Sie ihm gerne aus Ihrem Projekt mitgeben?

Brunner: Einen Baum zu pflanzen ist eine gute Investition für die Zukunft. Am besten mitten auf dem Petersplatz… Nein, im Ernst: Mit der Einführung von Agro-Forst-Systemen sichern wir trotz der katastrophalen Folgen des Klimawandels die Ernährungsgrundlage von Kleinbauernfamilien und erhalten auch die Vielfalt der Schöpfung. Calixta Ledezma, eine Bäuerin aus der Gemeinde «1ero de Mayo», mit der wir zusammen arbeiten, hat mir einmal gesagt: «Nie hätte ich gedacht, dass man Obstbäume und Forstbäume zusammen pflanzen kann. Auf diese Weise geben wir Mutter Erde Hut und Kleider. Wenn wir das nicht tun, bleibt sie nackt.» Sie drückt damit die Verbindung zwischen Mensch und Natur aus, die in den hiesigen Kulturen noch stark ausgeprägt ist. Etwas, was auch mich in meiner Zeit in Bolivien sehr bereichert hat.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

*Johannes Brunner aus Hilfikon AG ist Agronom und seit August 2012 für das Schweizer Hilfswerk Interteam tätig.

Projekt von «Comundo» in Ecuador: Strassenkunst in Quito

Projekt der Schweizer Jesuiten in Paraguay: Musik als Lebensgrundlage

Der Schweizer Interteam-Mitarbeiter Johannes Brunner bei einer Gartenbesichtigung in Cochabamba, Bolivien | © 2015 zVg
8. Juli 2015 | 11:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Lebensgrundlagen für Kleinbauernfamilien verbessern

Interteam ist eine 50-jährige Schweizer Organisation der Personellen Entwicklungszusammenarbeit. Sie vermittelt Schweizer Berufsleute für mehrjährige Einsätze nach Afrika und Lateinamerika zur Stärkung lokaler Partnerorganisationen. Eine dieser Organisationen ist das Netzwerk ECO-SAF (Espacio Compartido en Sistemas Agroforestales/Geteilter Raum für Agro-Forst-Systeme). ECO-SAF verbessert die Lebensgrundlagen von Kleinbauernfamilien in verschiedenen Gemeinden der halbtrockenen Täler von Cochabamba. Die Böden in diesen Gemeinden sind sehr stark erodiert und ausgewaschen, so dass die Erträge von Mais, Kartoffeln, Erbsen und Bohnen kaum zum Überleben ausreichen.

Klimatischen Veränderungen (Klimaerwärmung) fördern extreme Wetterereignisse: Hagel, Überschwemmungen, Dürre. Die Schäden durch Unwetter, Erdrutsche und Schlammlawinen auf den Äckern der Kleinbauernfamilien in den Tälern haben sich laut der Umweltabteilung der Lokalregierung in den letzten drei Jahren verdoppelt.

Das Netzwerk ECO-SAF hat im vergangenen Jahr 200 Bäuerinnen und Bauern, 50 Beraterinnen und Berater verschiedener Institutionen, 700 Studentinnen und Studenten, 400 Lehrpersonen in Methoden der Agroforstwirtschaft fortgebildet; dadurch kann für Bauernfamilien die Bodenfruchtbarkeit zurückgewonnen und die Produktvielfalt gesteigert werden. Die Natur wird geschützt und ihre Ernährung gesichert. (ms)