Sabine Stalder im Pfarreizentrum Bergdietikon
Porträt

Sabine Stalder: «Der Herrgott und ich haben das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne»

Die neue RKZ-Vize-Generalsekretärin wagt mit der neuen Stelle den «Sprung ins kalte Wasser». Nach 21 Jahren in der Baubranche wollte die studierte Architektin etwas Neues wagen. In ihrer Kirchgemeinde ist sie seit vielen Jahren festeingebunden. Ihren Glauben erlebt Stalder als eine mündige Beziehung – in der es auch manchmal Reibungen gibt.

Annalena Müller

Sabine Stalder hat Energie. «Es ist unmöglich, ein gutes Foto von mir zu machen. Ich bewege mich einfach zu viel», sagt sie. Am 1. Februar tritt sie die neugeschaffene Stelle der RKZ-Vize-Generalsekretärin an. Davor hat die studierte Architektin 21 Jahre bei einem grossen Ingenieurbüro in Zürich als Bauherrenberaterin gearbeitet. Konflikte konstruktiv lösen, so dass sich alle Beteiligten abgeholt fühlen, das habe sie auf ihrer früheren Stelle gelernt. Diese Fähigkeit gepaart mit viel Energie wird Sabine Stalder als RKZ-Diplomatin ohne Frage dienlich sein.

Von Augsburg nach Dietikon

Sabine Stalder ist im bayerischen Augsburg aufgewachsen. Ihre Jugend ist katholisch geprägt, aber nicht streng. Sie studiert Architektur und zieht 2001 der Liebe wegen in die Schweiz. Religion spielt für sie in dieser Phase eine nachgeordnete Rolle. Das ändert sich, als ihre älteste Tochter zur Welt kommt. «Ich wollte meinen Kindern die christlichen Werte vermitteln – und ich wollte das nicht an den Religionsunterricht outsourcen, sondern es ihnen vorleben», sagt sie.

Die katholsiche Kapelle in Bergdietikon.
Die katholsiche Kapelle in Bergdietikon.

Sie beginnt sich in der Kirchgemeinde Bergdietikon AG zu engagieren. Stalder gründet unter anderem den Mädchentreff, den heute ihre Tochter leitet. Als ihre Ehe zerbricht, denkt sie nicht an eine Rückkehr nach Deutschland. «Ich habe einen Schweizer Pass und meine Kinder sind Schweizer. Hier ist Heimat», sagt sie.

Das Private ist öffentlich

Seit sieben Jahren ist Stalder mit dem Seelsorger und Pastoralraumleiter Michael Jablonowski verheiratet. Für beide ist es die zweite Ehe. «In der Gemeinde hat man sich für uns gefreut», erzählt Stalder. Aber die Beziehung mit einem katholischen Seelsorger verlangt nach Formalisierung. Dies sind die Regeln des Bistums.

Michael Jablonowski ist sei sieben Jahren der Ehemann von Sabine Stalder.
Michael Jablonowski ist sei sieben Jahren der Ehemann von Sabine Stalder.

Noch ist die Forderung der RKZ, dass die Missio vom Privatleben der Seelsorgenden entkoppelt wird, keine Realität. Als sich Stalder und Jablonowski kennenlernen, ist sie das noch viel weniger. Der Seelsorger muss ein Ehenichtigkeitsverfahren durchlaufen. «Das war kein ganz einfacher Prozess. Dennoch haben wir beide den Umgang seitens des Bistums Basel mit der Situation stets als wohlwollend und unterstützend wahrgenommen». 2016 wird die Nichtigkeit seiner ersten Ehe festgestellt und Stalder und Jablonowski können kirchlich heiraten.

Die Forderung der RKZ nach Trennung von Missio und Privatleben unterstützt Stalder. Aber sie sagt auch, man könne «nicht Wasser predigen und selbst Wein trinken». Nicht nur der Seelsorger oder die Seelsorgerin, sondern die ganze Familie stehen in gewisser Weise unter Beobachtung. «Ich kann nicht unfrisiert und schlecht gelaunt im Dorf einkaufen gehen, denn ich treffe immer jemanden aus der Gemeinde.» Stalder findet, Seelsorgende sollten authentisch sein in dem, was sie verkünden. Für sie heisst das: Verbindliche Beziehung auf Augenhöhe leben. Für Stalder war es daher selbstverständlich, dass sie und Jablonowski heiraten würden. «Welcher Couleur eine Beziehung ist», also ob hetero- oder homosexuell, solle hingegen keine Bedeutung bei der Missio haben, findet sie.

Theologie und Spiritualität

Vor einigen Jahren hat Sabine Stalder den Studiengang Theologie am Theologisch Pastoralen Bildungsinstitut absolviert. «Im Rahmen meines Engagements in der Pfarrei fiel mir auf, dass ich theologisch auf zu dünnem Eis unterwegs war, das wollte ich ändern.»

RKZ-Vize Sabine Stalder in der Kapelle des Pfarreizentrums.
RKZ-Vize Sabine Stalder in der Kapelle des Pfarreizentrums.

Auf ihren Glauben angesprochen, antwortet Stalder, dass dieser sich wandle. Heute sei er anders als vor zehn Jahren und in fünf Jahren werde er ein anderer sein als heute. Es amüsiert sie, dass Menschen überrascht reagieren, wenn sie ihnen berichtet, dass sie manchmal hadere. «Der Herrgott und ich haben das Heu auch nicht immer auf der gleichen Bühne», sagt sie und lacht. Aber an solchen Momenten wachse man. Für Stalder bedeutet Glauben, eine Beziehung mit Gott führen. Und Beziehungen verlaufen wellenförmig. «Wer behauptet, seine oder ihre Beziehung sei konfliktfrei, dem glaube ich nicht. Oder die Person führt keine Beziehung auf Augenhöhe».

Anzeige ↓ Anzeige ↑

Ihre religiöse Heimat sei eindeutig die katholische Kirche. Sie schätzt die Strukturen, die Riten, die man überall auf der Welt wiedererkenne, egal wo man eine Messe besuche. «Die katholische Kirche ist eine weltumfassende Organisation. Und dafür hat sie eigentlich wenige Organisationsstufen: Papst, Bischöfe, Priester, Gläubige.» Keine multinationale Organisation käme mit so wenigen Ebenen aus. Allerdings wäre weniger Distanz zwischen den Ebenen gut. «Die katholische Struktur, aber weniger Hierarchie». Augenhöhe zwischen allen Getauften, das ist die Kirche von Sabine Stalder, die sie im Pfarreizentrum Bergli Bergdietikon lebt und die sie auch als RKZ-Vize-Generalsekretärin vertreten will.

Menschen abholen

Natürlich ist sie sich bewusst, dass nicht alle ihre Vorstellung von Kirche teilen. Wichtig sei zu wissen, «dass wir alle im gleichen Boot sitzen und das gleiche wollen: eine lebendige Kirche mit einer Zukunft.» Dass ihre neue Rolle im Präsidium der RKZ auch Konflikte mit sich bringen wird, weiss sie. «Ich habe mehr als zwanzig Jahre im Baugeschäft gearbeitet – da gab es immer wieder Konflikte zwischen den Parteien.» Manch ein Konflikt, der anfangs unüberbrückbar erschien, habe sich konstruktiv lösen lassen.

Hündin Shiva wartet geduldig auf ihren Waldspaziergang.
Hündin Shiva wartet geduldig auf ihren Waldspaziergang.

Wichtig sei herauszufinden, worum es bei Konflikten eigentlich ginge, erklärt Stalder. Oftmals seien es gar nicht die Dinge an der Oberfläche. Die Ursachen zu erkennen und Menschen abzuholen, das sei in ihrer Erfahrung zentral. Und diese Fähigkeit werde sie in ihrer neuen Arbeitsstelle einbringen.

Auf die Stelle hat sie sich beworben, «weil ich nochmals etwas Neues machen wollte.» Aber es sei natürlich ein Sprung ins kalte Wasser – von der Baubranche ins Präsidium der Landeskirchen. Als sie im August das Stellenangebot bekam, habe sie einige besonders lange Spaziergänge mit ihrer Hündin Shiva gemacht. «Das mache ich immer, wenn ich nachdenken muss.» Aber am Ende sei der Entscheid, die Stelle anzunehmen, ganz natürlich gekommen. «Ich freue mich auf das, was kommt», sagt Sabine Stalder und streichelt ihre Hündin, die während des Gesprächs geduldig auf ihren heutigen Waldspaziergang gewartet hat.


Sabine Stalder im Pfarreizentrum Bergdietikon | © Annalena Müller
30. Januar 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!