Erzbischof Robert Zollitsch und der damalige Basler Bischof Kurt Koch 2009 in Jerusalem.
International

Robert Zollitsch wird 85: Versagen im Umgang mit Missbrauch überschattet sein Wirken

Robert Zollitsch wurde erst spät Bischof. Wie die Freiburger Missbrauchsstudie 2023 zeigte: Während seiner Amtszeit vertuschte er Missbrauch systematisch. Zollitsch ist tief gefallen. Das Porträt eines Kirchenmannes, dessen Versagen alles andere überschattet.

Volker Hasenauer

Sein Porträt in der Bistumszentrale ist abgehängt, die staatlichen Orden hat der frühere Bischofskonferenz-Vorsitzende zurückgegeben, und als erster Freiburger Erzbischof seit Jahrzehnten wird Robert Zollitsch nicht im Münster beigesetzt werden.

Vertuschung von Missbrauch

Sein Lebenswerk, seine steile Kirchenkarriere und seine Verdienste als Vorsitzender der Bischofskonferenz sind zu seinem 85. Geburtstag am 9. August nur noch Randnotizen. Zu schwer wiegen sein Versagen im Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt durch Priester, seine Vertuschungsstrategien und der Schutz der Täter.

Die Kirche hat Missbrauchbetroffene lange allein gelassen.
Die Kirche hat Missbrauchbetroffene lange allein gelassen.

Im Detail offengelegt ist Zollitschs Handeln im Bericht zu Missbrauch und Vertuschung im Erzbistum Freiburg, den Experten nach jahrelangen Recherchen im Frühjahr 2023 veröffentlichten. Die Dokumentation wirft dem langjährigen Freiburger Erzbischof vielfachen Rechtsbruch vor. So habe er es bewusst unterlassen, kirchliche Strafprozesse gegen Täter einzuleiten.

Schutz von Tätern, Indifferenz gegenüber Opfern

Am schwersten wiegt der Vorwurf, dass Zollitsch weitere sexualisierte Gewalt und Missbrauch erst ermöglicht habe. Indem er Beschuldigte oder Überführte nicht stoppte. Und stattdessen stillschweigend in andere Kirchengemeinden versetzte, wo erneut Minderjährige zu Opfern wurden. Den Betroffenen hörte Zollitsch nicht zu, sie fanden bei ihm keine Hilfen oder Unterstützung.

Wegen aktiver Missbrauchsvertuschung: Robert Zollitsch wird ein Begräbnis im Freiburger Münster verwehrt bleiben.
Wegen aktiver Missbrauchsvertuschung: Robert Zollitsch wird ein Begräbnis im Freiburger Münster verwehrt bleiben.

Nach langem Schweigen hatte sich Zollitsch Ende 2022 in einer Video-Erklärung an die Opfer gewandt. Er räumte schwere Fehler und moralische Schuld ein, ging aber nicht auf konkrete Fälle ein. Er habe das Ausmass von Missbrauch und Leid unterschätzt. Daher bat er um Verzeihung – und fügte an, dass er wisse, keine Annahme dieser Entschuldigung erwarten zu können.

Halbherzige Entschuldigung

Eigentlich waren das klare Worte. Aber der Schluss des Videos verhinderte, dass die Öffentlichkeit das Schuldeingeständnis würdigte. Denn darin beschreibt sich Zollitsch als Aufklärer, der auch gegen Widerstände die Aufarbeitung voran gebracht habe – auch im Kontakt mit dem Vatikan. Der Missbrauchsbericht dokumentiert aber, dass er als Bischofskonferenz-Vorsitzender Regeln ignorierte – und beispielsweise dem Vatikan fast keine Täter meldete.

Nach der Emeritierung als Erzbischof 2014 lebte Zollitsch zurückgezogen in seiner Wohnung hinter dem Münster. Offizielle Termine nahm er nicht mehr wahr. Vor wenigen Monaten zog Zollitsch dann in ein betreutes Wohnen nach Mannheim, in die Stadt, in der er einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte.

Kriegstraumata und Flucht nach Deutschland

Geboren am 9. August 1938 in Filipovo im ehemaligen Jugoslawien, musste Zollitsch als Kind zusehen, wie Tito-Partisanen im November 1944 seinen Bruder und 200 weitere Dorfbewohner ermordeten. «Ich habe die schlimmen Erfahrungen von Krieg, Flucht und Vertreibung machen müssen. Ich weiss, wie es sich anfühlt, wenn bewaffnete Soldaten Mütter mit ihren Kindern zwingen wollen, auf einen Lastwagen zu steigen, um ins Lager deportiert zu werden. Und ich weiss auch, was es bedeutet, sich in fremder Umgebung eine neue Existenz aufbauen zu müssen», berichtete er einmal.

Zollitschs frühe Kindheit war von den Grauen des zweiten Weltkriegs geprägt.
Zollitschs frühe Kindheit war von den Grauen des zweiten Weltkriegs geprägt.

Mit seinen Eltern floh Zollitsch nach Mannheim und dachte nach dem Abitur zunächst über ein Literatur- oder Geschichtsstudium nach. Die Berufung zum Priester war aber stärker. «Ich wollte anderen Menschen helfen, im Glauben ein sinnvolles Leben zu führen», sagte er rückblickend. Seiner Liebe zur Literatur, etwa zu Heinrich Böll und Günther Grass, blieb Zollitsch treu.

Späte Berufung auf den Bischofsstuhl

20 Jahre lang war Zollitsch Personalchef des Erzbistums Freiburg, wo er die Seelsorge organisierte. 2003, mit 64, wurde er überraschend zum Bischof ernannt. Auch als Chef des Erzbistums erarbeitete er sich rasch einen guten Ruf als Organisator, der über  die Bistumsgrenzen hinaus wirkte: Zollitsch übernahm den Posten des Finanzchefs im Verband der Diözesen (VDD), der bundesweit die gemeinsamen Gelder der Diözesen verwaltet.

2008 wählten ihn die Bischöfe zum Vorsitzenden ihrer Konferenz, nachdem Kardinal Karl Lehmann – auch er zuletzt wegen Vertuschung von Missbrauch scharf kritisiert – aus gesundheitlichen Gründen von dem Amt zurückgetreten war. Eine Rolle mit grosser öffentlicher Ausstrahlungskraft.

Zollitsch folgte als Leiter der Bischofskonferenz auf Kardinal Karl Lehmann
Zollitsch folgte als Leiter der Bischofskonferenz auf Kardinal Karl Lehmann

Zollitsch kämpfte darum, christliche Werte als Grundlage gesellschaftspolitischer Entscheidungen zu wahren. «Christen dürfen sich nicht verstecken, sondern müssen die Gesellschaft mitgestalten. Antworten geben auf drängende Fragen wie jene nach der Bewahrung der Schöpfung oder der wachsenden sozialen Ungleichheit.» Als Höhepunkt seiner kirchlichen Laufbahn beschrieb er den Besuch von Papst Benedikt XVI. 2011 in Freiburg.

Damals zeigte sich die Kirche noch einmal im strahlenden Licht – etwa beim Abschlussgottesdienst mit Zehntausenden. Seitdem haben sich Bild, Auftreten und Bedeutung der katholischen Kirche in Deutschland dramatisch verändert. So wie auch das öffentliche Bild Zollitschs.


Erzbischof Robert Zollitsch und der damalige Basler Bischof Kurt Koch 2009 in Jerusalem. | © KNA
31. Juli 2023 | 09:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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