Monika Jakobs
Schweiz

«Kinder müssen über Religion Bescheid wissen»

Kommt das Thema Religion und Glaube an der Schule zu kurz, wie es kürzlich die Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz, Iras Cotis, bemängelt hat? Die Religionspädagogin Monika Jakobs* differenziert: Nicht alle Inhalte zu Religion und Kirche müssen an der Schule vermittelt werden.

Martin Spilker

Ist die Schule in der heutigen Zeit der richtige Ort, um religiöse Inhalte zu vermitteln?

Monika Jakobs: Ja. Das zeigt sich gerade im Weg zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG) innerhalb des Lehrplans 21. «Iras Cotis» hat in ihrer Stellungnahme zutreffend geschrieben, was die Absicht war: Schülerinnen und Schüler unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Religion befähigen, sich in der aktuellen Religionslandschaft zu orientieren.

Wenn Religionsunterricht zu Verständigung beitragen soll, dann müssen alle, unabhängig von ihrem Bekenntnis, religiöse Bildung haben. Die grosse Frage war, worin diese konkret besteht.

Ob Religionsunterricht in die Schule gehört, wurde gar nicht in Frage gestellt?

Jakobs: Nein, es ging darum, bestehende Inhalte in die neue Fächerstruktur zu legen. Das ist ein wesentlicher Unterschied beispielsweise zu Frankreich und zur Westschweiz. Dort heisst es: Wir sprechen in der Schule nicht über Religion. Ich erachte es als guten Ansatz, religiöse Bildung in der Allgemeinbildung zu verankern.

Schüler im Religionsunterricht
Schüler im Religionsunterricht

Wie begründen Sie dies?

Jakobs: Wer aus der Schule kommt, soll bestimmte religiöse Traditionen identifizieren, religiöse Motive oder Güter erkennen können. Und ich meine, dass Religion in unserer Welt eine derart grosse Rolle spielt, dass Kinder darüber Bescheid wissen müssen.

Besteht nicht Gefahr, dass die Religionsvertreter auf die Inhalte dieses Unterrichts Einfluss nehmen wollen?

Jakobs: Bei der Diskussion der Inhalte sind die Religionsgemeinschaften meistens in Begleitgruppen vertreten. Hier geht es aber nicht um ein Bestimmen von Inhalten. Die Religionsvertreter bekommen einen Einblick, wie ihre Religion in diesem Fach, in den Lehrmitteln dargestellt wird. Und darauf können sie reagieren.

«Wird die religiöse Dimension eingelöst oder verschwiegen?»

«Iras Cotis» bringt sehr gute Argumente, warum Religionsunterricht an die Schule gehört. Antisemitismus, Radikalisierung oder Geschlechterfragen sind bedeutende Themen. Aber nimmt man den Lehrplan 21 ernst, wird auch deutlich, dass diese Themen auch in anderen Fächern auftauchen.

Was hier interessant wäre, ist die Frage, ob in der Praxis des Unterrichts die religiöse Dimension dieser Fragen eingelöst oder verschwiegen wird, ob und wie religiöse Fragen behandelt werden. Hier wäre eine wissenschaftliche Untersuchung sehr hilfreich. Aber ich bin der Meinung, und hier würde ich der Stellungnahme von «Iras Cotis» widersprechen, der Stellenwert von Religion an den Schulen hat sich mit dem Lehrplan 21 nicht verändert.

«Es hätte sein können, dass die laizistische Variante gewählt wird.»

Also alles wie bisher, nur unter neuem Namen?

Jakobs: In der Praxis zeigt sich eine grössere Kontinuität, als man das auf den ersten Blick vermutet. Wo früher eine Übereinkunft zwischen Kirche und Schule bestanden hat, besteht sie heute noch. Aber es stimmt: Der Ort, in dem Religion in der Schule vorkommt, der ist nicht gross. Der Fortschritt beim Lehrplan 21 ist, dass überhaupt Religion fachlich vorgesehen ist.

Feier der Erstkommunion am Sonntag, 12. April 2015
Feier der Erstkommunion am Sonntag, 12. April 2015

Es hätte auch sein können, dass die laizistische Variante gewählt wird. Und es ist ebenfalls sehr positiv zu werten, dass an einigen Orten von den Kirchen, gerne auch ökumenisch, ein konfessioneller Unterricht im Rahmen der Schulen angeboten wird.

Wozu braucht es die Präsenz der Kirchen an der Schule, wenn es den ERG gibt?

Jakobs: Es ist eine grosse Chance für die Kirchen, wenn sie in den ihnen zur Verfügung stehenden Zeitgefässen ein gutes Bildungsangebot mit hoffentlich gut ausgebildeten Leuten machen. Und wenn sie dies noch ökumenisch machen, würde diese Präsenz weiter erhöht und die Kirchen würden als Spezialisten für dieses Thema wahrgenommen.

Und wenn ein solcher Anspruch auch von anderen Religionsgemeinschaften käme?

Jakobs: Punktuell gab und gibt es das bereits von muslimischer Seite her. Es ist aber immer auch eine Frage, was der Staat erlaubt. Für die Muslime ist es schwieriger, weil sie keine Strukturen von Ausbildung für und Unterricht an der Schule entwickeln konnten. 

«Es geht nicht um ideologische Gräben.»

Lässt sich garantieren, dass im Religionsunterricht keine konfessionelle Katechese erfolgt?

Jakobs: Wahrscheinlich lässt es sich nicht klar abgrenzen. Es geht dabei nicht um ideologische Gräben. Aber es gibt Dinge, die klar zu trennen sind. Sakramentenvorbereitung beispielsweise gehört nicht in den schulischen Unterricht. Die gehört dorthin, wo die Sakramente ihren Ort haben, das ist die Pfarrei, in die Glaubensgemeinschaft, auf die sie sich bezieht.

Die ethisch-religionsbezogene Bildung in der Volksschule beruht auf drei Säulen.
Die ethisch-religionsbezogene Bildung in der Volksschule beruht auf drei Säulen.

Konfessioneller Religionsunterricht an der Schule kann das Verständnis über die christliche respektive jeweilige kirchliche Tradition systematisch vertiefen, zum Beispiel als Einführung in die Bibel, Diskussion ethischer Probleme, Wissen über die christlichen Grundlagen der Gesellschaft.

In der Katechese befinde ich mich in einem anderen Kontext: Es geht um Bekenntnis, um Teilnahme an der Liturgie und allen Vollzügen der Kirche. Wenn wir über schulischen Religionsunterricht, konfessionell oder für alle, reden, dann erachte ich es als nicht korrekt, wenn diese Gefässe für Katechese genutzt werden.

Kann es sich die Kirche künftig noch leisten, Katechese wie auch Religionsunterricht anzubieten?

Jakobs: Das ist ein Spagat, ja. Aber katechetisches Handeln ist in eine pastorale Gesamtvision eingebunden. Das heisst: Was machen wir mit dem uns in der Pfarrei oder dem Pastoralraum zur Verfügung stehenden Personal? Es ist eine Frage der Prioritäten. Es gibt sehr viele Inhalte zu religiöser Bildung und Erziehung. Da muss eine Pfarrei ihre pastorale Gesamtsituation bedenken. Die ist nicht überall gleich!

Können Sie ein Beispiel nennen?

Jakobs: Zum Beispiel die Innerschweiz: Wir sind in der Schule, wir bleiben in der Schule. Andernorts muss vielleicht gesagt werden: Der Aufwand für den Unterricht in der Schule ist zu gross, wir verzichten darauf. Man muss sich dann fragen lassen: Wo findet die religiöse Bildung statt, die wir für wünschenswert halten?

Wenn es konfessionellen Religionsunterricht in der Schule gibt, dann kann dort aufbauende solide religiöse Information vermittelt werden. Das würde die Katechese entlasten. Dafür liessen sich dort andere Schwerpunkte setzen wie: Liturgie feiern, Erlebnisse gestalten.

«Mission ist ein hoch missverständlicher Begriff.»

In letzter Zeit wird immer wieder von Mission gesprochen. Was halten Sie davon?

Jakobs: Mission ist ein hoch missverständlicher und historisch belasteter Begriff. In der nichtkirchlichen Welt hat Mission einen schlechten Ruf, denn niemand möchte missioniert werden. Ich verstehe zwar, warum man den Begriff im kirchlichen Umfeld verwendet. Er meint, die Kirche darf sich nicht zurückziehen, sondern soll sich den alltäglichen Gegebenheiten aussetzen. Das kann auch im Religionsunterricht an der Schule passieren. Aber ich halte nicht viel davon, dies Mission zu nennen.

Wie würden Sie es nennen?

Jakobs: Die französischen Bischöfe haben 1996 einen Brief an die Katholiken Frankreichs mit dem Titel «Proposer la foi» geschrieben, den Glauben vorschlagen. Das ist eine sehr gute Formulierung. Wir lassen den anderen den Freiraum, unseren «Vorschlag», der unserer tiefsten Überzeugung entstammt, zu prüfen.

Die Entschiedenheit des Glaubens muss sich immer der Freiheit der anderen und den Gegebenheiten der Gesellschaft, wie sie nun einmal ist, aussetzen. Das ist nicht immer gemütlich, aber das gehört zum Glauben.

Übersicht über die Umsetzung des LP 21 in den Kantonen

* Monika Jakobs ist Professorin für Religionspädagogik und Katechetik an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern und Leiterin des Religionspädagogischen Instituts. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Katholische Religionspädagogik und Katechetik an deutschen, österreichischen und Schweizer Universitäten (AKRK), der European Society of Women in Theological Research (ESWTR)und der Arbeitsgruppe Praktische Theologie Schweiz. Jakobs wird im Sommer 2020 emeritiert. Die Abschiedsvorlesung findet am 27. Mai, 17.15 Uhr, an der Universität Luzern statt.


Monika Jakobs | © Martin Spilker
7. Februar 2020 | 11:44
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Katechese – RU – ERG

Wird heute von Religionsunterricht gesprochen, dürften nicht alle dasselbe darunter verstehen. Der klassische kirchliche Unterricht ist die Katechese. Hier geht es beispielsweise um die Hinführung zu den Sakramenten oder die Mitgestaltung von Kinder- und Familiengottesdiensten. Lernort und Trägerschaft sind die Pfarrei beziehungsweise der Seelsorgeverband.

Der schulische Religionsunterricht findet, wie es der Name sagt, unter dem Dach der Schule statt. Dies betrifft aber lediglich den Ort, konkret die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten und allenfalls die Einbettung in den Stundenplan. Für das Personal, Inhalte und Gestaltung sind die Landeskirchen verantwortlich. Die in der Schweiz bestehende Religionsfreiheit ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, sich vom Religionsunterricht abzumelden.

Im Rahmen des obligatorischen Schulunterrichts findet der bekenntnisunabhängige oder konfessionsneutrale Religionsunterricht statt. Die konkrete Gestaltung dieses Unterrichts ist in der Hoheit der Kantone. Er kann laut Auskunft der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) als eigenes Fach oder integriert in einem Fachbereich unterrichtet werden. Über die konkrete Handhabung dieses Fachs in den Kantonen hat die EDK keinen Überblick.

Im Lehrplan 21 hat der konfessionsneutrale Religionsunterricht den Namen «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» erhalten. (ms)

Ziele des Fachs «Ethik, Religionen und Gemeinschaft» am Beispiel des Lehrplans des Kantons Bern (speziell Kapitel 11 und 12).

Weitere Informationen: Netzwerk Katechese (Hg.): Konfessioneller Religionsunterricht und Katechese. Lehrplan für die Katholische Kirche in der Deutschschweiz, Luzern 2017.