Filmszene aus "Serviam – Ich will dienen".
Schweiz

Regisseurin Ruth Mader: «Der Bussgürtel ist frei erfunden»

Schülerinnen tragen Bussgürtel und erleben spirituellen Missbrauch: Die Österreicherin Ruth Mader hat mit «Serviam – Ich will dienen» einen «Junior Jury Award» in Locarno erhalten. Die ehemalige Klosterschülerin kritisiert die schleppende Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes.

Sarah Stutte

Wie kamen Sie auf den Titel «Serviam – Ich will dienen»?

Ruth Mader*: Dieser Satz ist – wie die Geschichte selbst – autobiografisch inspiriert. «Serviam – Ich will dienen» stand als Motto auf der Turnbekleidung, die ich in dem katholischen Internat getragen habe, in dem ich sechs Jahre lang war.

Ruth Mader in Locarno.
Ruth Mader in Locarno.

Die Dreharbeiten fanden an Ihrer alten Schule statt. Wie war das für Sie?

Mader: Es hatte sich natürlich einiges verändert, dann aber auch wieder nicht. Der Geruch im Speisesaal war noch derselbe – das war erschreckend. Meine Erinnerungen habe ich in bestimmten Szenen eingefangen – etwa der Duschszene oder dem Sportfest. Und in der Einsamkeit, die wir erlebt haben. Es war keine Zeit, die ich in guter Erinnerung habe, abgesehen von der Gemeinschaft mit den Kindern. Wenn man einer autoritären Erziehung so ausgesetzt ist und von den Eltern abgeschoben wird, bilden sich besonders starke Freundschaften, die ein Leben lang halten. 

Nonne in pink: Maria Dragus spielt in "Serviam - Ich will Dienen" eine Ordensschwester.
Nonne in pink: Maria Dragus spielt in "Serviam - Ich will Dienen" eine Ordensschwester.

«Serviam» bringt zwar Kritik an katholischen Erziehungsanstalten an, versucht aber trotzdem Verständnis für die Nonne aufzubringen. Warum war Ihnen dieser Ansatz wichtig?

Mader: Mich hat die Einseitigkeit nicht interessiert. Die Schwester ist nicht nur negativ besetzt. Sie ist eine energetische Klosterschwester, die sich um den Glauben jedes einzelnen Kindes bemüht. Das zeigt sich im Film, in dem sie beispielsweise einem Mädchen den Rosenkranzring schenkt oder mit einer Gruppe den Psalm betet. Im Grunde sind ihre Absichten nicht böswillig, sie geht nur in ihrem Eifer zu weit. Ich wollte eine gläubige Frau darstellen und deren Konflikt zwischen ihrem starken Glauben und der Angst davor, dass die Kinder diesen draussen in einer säkularisierten Welt verlieren.

Der Film „Serviam – Ich will dienen“ spielt in einem Klosterinternat.
Der Film „Serviam – Ich will dienen“ spielt in einem Klosterinternat.

Warum haben Sie die Handlung in den 1980er-Jahren angesiedelt?

Mader: In den katholisch geführten Einrichtungen war die getrennt-geschlechtliche Erziehung nur bis Anfang der 1990er-Jahre erlaubt. Wir wollten auf ein reines Mädcheninternat fokussieren. In Österreich gab es damals einige private Eliteschulen, in die vornehmlich Mädchen aus der Oberschicht aufgenommen und solche aus der Arbeiterklasse geduldet wurden. Auch das fanden wir für unseren Ansatz spannend. 

«Aus Liebe zu Christus geht die Klosterschülerin bis zum Äussersten.»

War es zu dieser Zeit üblich, dass Kinder einen Bussgürtel tragen mussten?

Mader: Überhaupt nicht, das ist frei erfunden. Im Opus Dei hingegen ist es üblich, Bussgürtel zu tragen. Wir fanden dieses Element interessant, um die Geschichte voranzutreiben: durchzuexerzieren, wohin radikaler Glaube führen kann. Vor allem, wenn die Lehre vom Sinn des Leidens von einer Nonne an Kinder übertragen wird, die mit zwölf Jahren noch derart beeinflussbar und bereit sind, aus Liebe zu Christus bis zum Äussersten zu gehen. 

Nähe und Distanz werden zum Problem: Der Film „Serviam – Ich will dienen“ spielt in einem Klosterinternat.
Nähe und Distanz werden zum Problem: Der Film „Serviam – Ich will dienen“ spielt in einem Klosterinternat.

Die Eltern kommen im Film fast nicht vor, nur anhand dreier exemplarischer Beispiele…

Mader: Genau. Die drei Auftritte verschiedener Eltern spiegeln meine Erfahrungen und diejenigen anderer Mädchen, die ich kannte. Oftmals standen diese Elternpaare jeglicher Form von Religiosität gleichgültig gegenüber. Trotzdem gaben sie ihre Kinder in die Obhut katholischer Institute. Jedoch nur, weil diese Ausbildungen eine Form von elitärer Abgrenzung symbolisierten. Die Gesellschaft als solche war schon damals säkular. 

«Der adäquate Teufel ist ein Mediziner.»

Ein Vater hat eine doppelte Bedeutung: Er symbolisiert zugleich den Teufel.

Mader: Richtig. Er sagt: «Non serviam» und die Schwester erkennt ihn dadurch als Teufel. Dieser Mann ist Reproduktionsmediziner und steht für einen Zeitenwandel. Wir fanden, der adäquate Teufel sei in Form eines solchen Mediziners zu finden, der die Schwester mit all seinen Vorbehalten konfrontiert. 

Der Film „Serviam – Ich will dienen“ spielt in einem Klosterinternat.
Der Film „Serviam – Ich will dienen“ spielt in einem Klosterinternat.

Auch die eingestreuten Animationen haben einen biblischen Bezug. 

Mader: Ja. Die Animationen zeichnen sehr bildgewaltige Stellen aus der Apokalypse nach, also der Offenbarung des Johannes. Das wurde so noch nie verfilmt. Wir wählten fünf Bilder aus: das Tier mit den vielen Flügeln und den tausend Augen, das Lamm Gottes, das geopfert wird, das fahle Pferd, den Weltuntergang und die Erschaffung einer neuen Welt durch Gott. Dazu haben wir die dazugehörigen Texte gefiltert und die Passagen im Film dann sehr frei umgesetzt. Einerseits wollte ich damit die biblische Glaubenswelt abbilden, aber auch kindliche Vorstellungen davon. 

«Ich bin ein Fan von Alfred Hitchcock.»

Damit weist «Serviam» einerseits märchenhafte Aspekte auf, ist aber in erster Linie wie ein Horrorfilm konzipiert. Warum wollten Sie die Geschichte so erzählen?

Mader: Ich selbst mag Thriller sehr gerne und bin auch ein Fan von Alfred Hitchcock. Ich finde, die Geschichte bietet das an, beispielsweise durch das Verstecken des Mädchens. Die Angst ist hier ein übergeordnetes Thema und allgegenwärtig. Stanley Kubricks «The Shining» war eine grosse Inspiration für den Film, aber auch John Carpenters «Halloween» – beide Einflüsse spiegeln sich in den langen Einstellungen der Gänge wider. 

Verzweifelt: die Internatsschülerin in „Serviam – Ich will dienen“.
Verzweifelt: die Internatsschülerin in „Serviam – Ich will dienen“.

Liest sich der Film auch als Brücke zur aktuellen Zeit, in der Täterinnen und Täter in der Kirche oftmals nicht zur Rechenschaft gezogen werden?

Mader: Sicherlich. Die Kirche ist oft mit solchen Fällen so umgegangen – und tut es noch heute –, dass die Priester oder Nonnen einfach versetzt wurden. Mir war es aber auch wichtig, hierin eine verborgene Chance für die Schwester zu sehen, Dinge künftig besser zu machen. Die offene Kritik an der katholischen Kirche ist für mich eher in der Figur der Direktorin angelegt, die nicht so gläubig ist und alles vertuscht, um die Institution zu schützen und den schwindenden Schülerinnenzahlen Einhalt zu gebieten. 

«Der Glaube ist für mich lebensbegleitend.»

Wie gelingt es, einen gesunden Zugang zum Glauben zu entwickeln, wenn dieser in jungen Jahren nur über Einschüchterung funktioniert?

Mader: Bei mir war es so, dass ich immer wieder Sehnsucht nach dem Glauben habe. Das bricht in verschiedenen Jahreswellen auf. Manchmal bin ich ganz distanziert und dann wieder frage ich mich danach. Der Glaube ist für mich lebensbegleitend. 

* Ruth Mader (48) ist eine österreichische Regisseurin und Filmproduzentin. Ihr Film «Serviam – Ich will dienen» wurde an ihrer alten Schule gedreht: der Internatsschule St. Ursula in Wien. Weitere Aufnahmen sind im Stift Zwettl entstanden, einer Zisterzienser-Abtei  in Niederösterreich. 

«Serviam – Ich will dienen»

In einem katholischen Mädcheninternat in der Nähe von Wien werden die Kinder der wohlhabenden österreichischen Elite ausgebildet. Doch der Glaube nimmt ab und die oberen Stockwerke sind verwaist. Eine junge Nonne kämpft mit Eifer gegen diesen Niedergang. Die zwölfjährige Martha, eine ihrer Lieblingsschülerinnen, ist ein hingebungsvolles Mädchen, das die Sünden der Welt sühnen möchte. Von der Schwester ermutigt, erhält sie einen Bussgürtel, den sie fortan trägt. Doch damit zieht sie sich schwere Verletzungen am Bauch zu und wird von der Nonne heimlich in das verlassene obere Stockwerk gebracht. (sas)


Filmszene aus «Serviam – Ich will dienen». | © Christine A. Maier
15. August 2022 | 06:45
Lesezeit: ca. 5 Min.
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