Marco Martina, Jugendseelsorger der Katholischen Kirche im Kanton Zürich
Konstruktiv

Raven oder Beten? «Wir müssen wieder neu lernen, mit Jugendlichen unterwegs zu sein»

Die Kirche versucht verstärkt, junge Menschen anzusprechen und sie für ihre Angebote zu begeistern. Aber was kommt wirklich gut bei der Klientel U40 an – Raven, Beten oder beides? Nicht das Format sei entscheidend, sondern die Botschaft, sind sich ein Jugendseelsorger und ein Theologe einig.

Magdalena Thiele

Messungen gibt es dazu nicht, aber Erfahrungswerte. «Entscheidend ist nicht das Format, sondern die Art der Einladung», meint Norbert Nagy. Er setze auf Heterogenität, denn genauso wenig wie es «die Jugend» gibt, gäbe es das eine Format, das alle anspricht.

Begegnungsraum mit Café

Der 38-jährige leitet das jenseits IM VIADUKT, eine Dienstelle der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, einen Begegnungsraum mit dazugehörigem Café im hippen Zürcher Kreis 5. Junge Erwachsene sollen hier mit spirituellen Themen in Berührung kommen.

Norbert Nagy, Dienststellenleiter jenseits IM VIADUKT
Norbert Nagy, Dienststellenleiter jenseits IM VIADUKT

In den vergangenen Monaten wurde das Team neu aufgestellt und das Café outgesourct. Das Café öffnet Mitte Februar und ab diesem Zeitpunkt werden wieder vermehrt Veranstaltungen stattfinden.

«Wir laden ein zur Liturgie nach der Liturgie, es geht darum Zeit miteinander zu feiern und Gemeinschaft anzubieten.»

Norbert Nagy, Dienststellenleiter jenseits IM VIADUKT

«Wir wollen ganz klar die Botschaft senden: Du bist willkommen, so wie Du bist», sagt Nagy. Und wichtig sei es auch, ein Angebot über herkömmliche Gottesdienste und Gebete hinaus zu machen, die insbesondere eine junge, kirchenferne Zielgruppe bedient. «Wir laden ein zur Liturgie nach der Liturgie, es geht darum Zeit miteinander zu feiern und Gemeinschaft anzubieten.»

Offenheit und Experimente

Norbert Nagy ist Theologe und legt Wert auf die Offenheit für neue und experimentierfreudige Gottesdienstformate. Hier im jenseits solle ein zusätzliches Angebot zum Traditionellen entstehen: «Wir setzen auf Partizipation und wollen neue Formate gemeinsam entwickeln und gestalten.»

Gemeinschaftsgefühl an der Street Parade 2015.
Gemeinschaftsgefühl an der Street Parade 2015.

Eine experimentelle Form des Gottesdienstes gab es auch schon anlässlich der vergangenen Streetparade im August letzten Jahres. Ökumenisch organisiert vom Freundeskreis Grossmünster und gestaltet von Pfarrer Christoph Sigrist und der katholischen Theologin Veronika Jehle, gab es zum Auftakt der Technoparade entsprechende Beats in der Wasserkirche im Zentrum von Zürich. Besucht war das Kirchen-Tanz-Event ganz passabel und auch einige Lokalmedien berichteten darüber.

Glaube wächst durch Beziehung

Oft haben einmalige Ereignisse keine nachhaltige Wirkung. Man versucht zwar etwas Schönes auf die Beine zu stellen, jedoch bleibt es bei dem einen Moment. Dieser mag zwar schön sein, findet aber in den meisten Fällen keine Relevanz im Leben junger Menschen.

Glaube wächst durch Begegnung, Beziehung und Relevanz im eigenen Leben. Daher braucht es Gemeinschaften, die das ermöglichen. Pfarreien seien es oft schon lange nicht mehr für junge Menschen, sagt Jugendseelsorger Marco Martina.

«Wir können unzählige coole Gottesdienstformate anbieten. Wenn danach nichts mehr kommt, ergibt das wenig Sinn.»

Marco Martina, Jugendseelsorger

Es sei eine Illusion, dass der eine Rave oder das bestimmte Jugendgottesdienstevent junge Menschen näher an die Kirche binden würde. «Wir können unzählige coole Gottesdienstformate anbieten. Wenn danach nichts mehr kommt, ergibt das wenig Sinn», erklärt Martina. Die Kirche mache seit Langem den Fehler, Jugendliche und junge Erwachsene zu «verzwecken».

Firmung – und dann?

«Nach der Firmung passiert nicht mehr viel oder gar nichts mehr. Deshalb kommen auch die wenigsten danach weiterhin in die Kirche.» Der Grund liegt in vielen Fällen darin, dass man bereits vor der Firmung kein Impact auf Jugendliche hat.

Marco Martina
Marco Martina

Die meisten Pfarreien geben sich damit zufrieden, dass sie grösstenteils ein Angebot im Oberstufenunterricht und der Firmvorbereitung haben, was oft alle Stellenprozente der Mitarbeiter in der Jugendpastoral ausfüllt. Das ist aber ein Modell aus einer kirchlich sozialisierten Gesellschaft, welche es aber nicht mehr gibt.

«Wir müssen wieder neu lernen, mit Jugendlichen unterwegs zu sein, sie zu befähigen, sie dort wo sie es brauchen zu unterstützen!»

Marco Martina

«Wir müssen wieder neu lernen mit Jugendlichen unterwegs zu sein, sie zu befähigen, sie dort wo sie es brauchen zu unterstützen, aber vor allem, sie dabei zu begleiten, das zu entdecken, was Gott bereits in ihnen hineingelegt hat: Ihre Talente, ihre Identität, ihre Berufung und ihre Einzigartigkeit! Denn das verändert Menschenleben und unsere Gesellschaft», sagt Martina.

Ebenbürtigkeit ist gefragt

Ebenbürtigkeit sei der Schlüssel, meint auch der Leiter vom jenseits IM VIADUKT, Norbert Nagy. «Viele junge Erwachsene nehmen hier das erste Mal die Kommunion in beiderlei Gestalten entgegen», erzählt der Theologe. Er wolle vermitteln: Gottesdienst bedeutet, wir dienen Gott, aber Gott dient auch uns.»

Anzeige ↓ Anzeige ↑

Und was danach noch alles im jenseits passieren wird, sei abzuwarten. Sicherlich werde es weiterhin die gut besuchten Taizé-Abende mit etwa 20 bis 25 Teilnehmern aus dem ganzen Kanton geben.

jenseits IM VIADUKT: Begegnungsraum mit Café
jenseits IM VIADUKT: Begegnungsraum mit Café

Diese Abende und die jährlich im Grossmünster wiederkehrende Nacht der Lichter, die vom jenseits-Team mitgestaltet wird, sprechen für die grosse Anziehungskraft dieser Formate. 

«Ask me anything»

Mit einem gemeinsamen Essen und lebensfrohen Austausch klingt der Abend jeweils aus. Ganz sicher wird es neben regelmässigen Eucharistiefeiern auch das neue «Ask me anything»-Format geben, bei dem junge Menschen alle Fragen stellen könne, die sie an einen Theologen haben. «Wir setzen auf Präsenz und auf ein offenes Ohr», bekräftigt Nagy. Deshalb beginne im jenseits Seelsorge auch immer mit einem warmen Tee oder wahlweise einem kalten Bier, sagt er und lächelt.


Marco Martina, Jugendseelsorger der Katholischen Kirche im Kanton Zürich | © zVg
31. Januar 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!