Hinein in den Schlund: Putin schluckt das Abstimmungscouvert.
Schweiz

Putin würgt den Klimaschutz aus seinem Rachen

«Schweizer Strom statt Putin-Erdöl»: Die Stiftung «Myclimate» wirbt mit einer Putin-Videoinstallation am HB Zürich fürs Klimagesetz. Der röchelnde Wladimir Putin soll junge Menschen zur Wahl animieren. Nicht jeder ist davon begeistert.

Sarah Stutte

Die Putin-Installation ist schnell gefunden. Einfach am Hauptbahnhof Zürich mit der Rolltreppe zur oberen Plattform, zum «Treffpunkt» und dort wo die Fernverkehrszüge abfahren, dann abbiegen in Richtung blauer Engel von Niki de Saint Phalle.

Die Putin-Installation zum Klimaschutz am Hauptbahnhof Zürich zieht viele Neugierige an.
Die Putin-Installation zum Klimaschutz am Hauptbahnhof Zürich zieht viele Neugierige an.

Im besten Fall, wie an diesem Dienstagnachmittag, hat sich schon ein Pulk von Menschen rund um den Teppich versammelt, auf dem der russische Präsident auf zwölf LED-Videopanels zu sehen ist. Er lächelt. Über ihm steht in hellblauen und weissen Lettern geschrieben: «Ja zum Klimagesetz. Schweizer Strom statt Putin-Erdöl». Auf dem Teppich ist der Hashtag #Putinyourvote zu lesen.

Bittere Pille für Putin

Japanische Touristinnen und Touristen bleiben kurz stehen und lächeln zurück. Sie wissen aber nicht, was das Ganze eigentlich bedeutet. Ein Foto machen sie trotzdem und ziehen danach weiter. Eine gemischte Gruppe drückt ebenfalls auf den Handyauslöser. Die zwei Frauen und der Mann lassen sich aber gerne demonstrieren, was es mit der Screenerinstallation auf sich hat.

Papst Franziskus mit ukrainischer Flagge, Juni 2023
Papst Franziskus mit ukrainischer Flagge, Juni 2023

Dazu stellt sich Viola Wenger, eine Mitarbeiterin der Stiftung «Myclimate», die für die Aktion verantwortlich ist, vor dem bewegten Bild von Putin auf. In der Hand hält sie einen Abstimmungscouvert, den sie kurz darauf in dessen offenen Mund wirft, beziehungsweise ihm in den Rachen steckt. Danach verändert sich Putins Gesicht. Er würgt, röchelt und prustet. Das Couvert scheint ihm nicht gut zu bekommen.

Kein Geldträger sein

Im Inneren des Geräts sammelt ein offizieller Postbriefkasten die individuellen Abstimmungsergebnisse. Dieser wird regulär abends geleert. So schön, so gut. Doch worin besteht nun der Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Putin? Für die meisten Passantinnen und Passanten scheint das nicht so offensichtlich zu sein.

Wladimir Putin lächelt von seiner Videowand herunter.
Wladimir Putin lächelt von seiner Videowand herunter.

Viola Wenger erklärt den Hintergrund: «Momentan bezieht die Schweiz Erdöl und Erdgas in Höhe von acht Milliarden Franken im Jahr von Russland. Mit der Installation wollen wir zeigen, dass wir künftig gerne mit erneuerbaren Energien aus der Schweiz wirtschaften möchten, um nicht mehr abhängig zu sein von anderen Ländern. Es geht darum, sich nicht zum Geldträger gewisser politischer Lager zu machen.»

Werben mit Kriegsverbrecher?

Ist es aber nicht kritisch, das Klimagesetz mit einem Kriegsverbrecher zu verbinden? «Das ist so. Das hat sicher auch einen kontroversen Aspekt. Es polarisiert natürlich, wenn man ein solches Statement setzt, um die Menschen überhaupt auf eine Thematik wie diese aufmerksam zu machen. Wir haben das bewusst genutzt, um eine gewisse Aufmerksamkeit zu generieren», so Viola Wenger.

Putin scheint das Klimaschutz-Abstimmungscouvert nicht zu bekommen.
Putin scheint das Klimaschutz-Abstimmungscouvert nicht zu bekommen.

Deshalb hätte es auch schon negative Stimmen im Verlauf des Tages gegeben, erzählt die junge Stiftungsmitarbeiterin. «Die meisten, die es nicht so gut fanden, dass Putins Gesicht für unsere Kampagne verwendet wird, meinten, dass wir damit eine ganz klare Stellung bezüglich des Krieges einnehmen. Das wurde nicht von allen gutgeheissen».

Ukrainer waren stutzig

Dafür seien auch schon viele Ukrainerinnen und Ukrainer vorbeigekommen, die offensichtlich auch daran interessiert waren, dass man ihnen den Zusammenhang erklärt. «Am Anfang fanden sie es ein wenig seltsam, dass Putins Gesicht in Grossaufnahme auf einer Videoinstallation zu sehen ist. Als wir aber unsere Absichten erklärt haben, reagierten die meisten von ihnen positiv», sagt Viola Wenger.

Papst Franziskus mit Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg.
Papst Franziskus mit Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg.

Und warum braucht es dann einen Security, der am Teppich steht? Vor allem, um die Installation vor tätlichen Angriffen zu schützen, heisst es. Aber auch, falls es Menschen gebe, denen Putin auf einer Videoleinwand ein Dorn im Auge sei. «Man weiss nie, was passiert», meint die «Myclimate»-Mitarbeiterin.

Werden Junge zum Wählen animiert?

Neben älteren Personen, die mit einem «Was soll das denn?» murmelnd an Putin vorbeiziehen oder solchen, die erst stehenbleiben und dann kopfschüttelnd weiterlaufen, neben Urlaubern, die einen Werbegag vermuten und den sogenannten Handytätern – konnte denn auch die junge Wählerschaft angesprochen werden, die «Myclimate» als Zielgruppe der Aktion vor allem ins Auge gefasst hat?

Fürs Klima, für Wirtschaft und Natur
Fürs Klima, für Wirtschaft und Natur

Ja, meint Viola Wenger. «Am Mittag waren viele hier, auch viele junge Menschen. Ich nehme an, das steigert sich noch morgen. Wichtig ist, ihnen überhaupt die Idee in den Kopf zu setzen, dass ihre Stimme zählt und sie wählen gehen sollen». Stephen Neff, CEO von «Myclimate» ist indes unweit vom Screen in ein Gespräch mit einer Zielperson vertieft – einem jungen Mann.

Dieser schien sehr interessiert an der Aktion zu sein. Öffentlich wollte sich dieser aber nicht dazu äussern, ob er durch eine solche Installation zum Wählen animiert werde. Die Putin-Installation wird noch bis und mit morgen im HB Zürich gastieren, am Donnerstag und Freitag dann in Bern und am Sonntag sowie Montag wird sie in Genf zu sehen sein.


Hinein in den Schlund: Putin schluckt das Abstimmungscouvert. | © Sarah Stutte
6. Juni 2023 | 17:24
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