Josef Haselbach, Provinzial der Schweizer Kapuziner
Schweiz

Provinzial der Kapuziner: Vielleicht löst sich die Schweizer Provinz bald auf

Der Kapuzinerorden steht mitten im Umbruch. «Es macht keinen Sinn zu warten, bis es zu spät ist», sagt Josef Haselbach (71). «Die Hälfte der Brüder ist über 81 Jahre alt.» Klosterschliessungen seien notwendig: «Ich selber pushe das Zurückfahren und plädiere für ein aktives Loslassen.»

Magnus Leibundgut

Nach drei Jahren im Provinzialat neigt sich Ihre Amtszeit dem Ende entgegen. Welche Bilanz ziehen Sie?

Josef Haselbach*: Ich würde von einem Corona-Provinzialat sprechen: Das Virus hat uns ins Homeoffice gezwungen, so hatte ich erst recht Zeit, mich mit internen Strukturen auseinanderzusetzen. Die drei Regionen innerhalb der Schweizer Provinz wurden abgeschafft, nachdem sich bereits das Tessin der Lombardei angeschlossen hatte. Abgeschafft wurde auch der Brüderverantwortliche: Dessen Arbeit und Funktion fiel wie manch andere Aufgabe nun auf mich als Provinzial zurück.

«Aufgrund einer überhandnehmenden Überalterung unseres Ordens sind wir auf neue Geldquellen angewiesen.»

Was konnten Sie konkret umsetzen in dieser Zeit?

Haselbach: Ich fühle mich als Quereinsteiger, war kein Jahr Mitglied des Provinzrats und hatte wenig Ahnung von der Materie. Deswegen brauchte ich einige Zeit, um mich erst einmal einzuschaffen. Ich bin sehr kurzfristig ins Amt gewählt worden und musste zuerst alte Pendenzen abarbeiten und aufräumen. Im Wirtschaftssektor stellen sich ganz neue Herausforderungen, von der professionellen Buchführung bis zur neuen Finanzierung. Aufgrund einer überhandnehmenden Überalterung unseres Ordens sind wir auf neue Geldquellen angewiesen. Mit einem Wohnbauprojekt in Luzern können und müssen wir Gelder generieren. 

Projektiertes Öko-Haus der Kapuziner in Luzern
Projektiertes Öko-Haus der Kapuziner in Luzern

Woran sind Sie gescheitert?

Haselbach: An meinen sprachlichen Fähigkeiten (lacht): Man spricht vor allem Italienisch, Englisch und Französisch im näheren Ordensbereich. Deutsch ist weltweit nicht mehr im Kapuziner-Sprachprogramm. Der Generalminister der Kapuziner in Rom ist Italiener und der für Europa zuständige Bruder gebürtiger Türke. Allerdings hat Corona dem Reisen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Den Generalminister habe ich wegen des Virus noch gar nie getroffen.

«Wir haben kaum noch Leute, um nur die Leitungsfunktionen besetzen zu können.»

Ist eine Trendwende in Sicht beim Nachwuchs der Schweizer Kapuziner?

Haselbach: Keineswegs: Es ist weit und breit kein Nachwuchs in Sicht. Im Durchschnitt ist ein Kapuziner in der Schweiz 78 Jahre alt. Die Hälfte der Brüder ist über 81 Jahre alt. Jetzt wird so richtig spürbar, welche Auswirkung die Überalterung mit sich bringt: Wir haben kaum noch Leute, um nur die Leitungsfunktionen besetzen zu können.

Bruder Adrian Müller im Klostergarten des Kapuzinerklosters in Schwyz.
Bruder Adrian Müller im Klostergarten des Kapuzinerklosters in Schwyz.

Warum wollen nur noch ganz wenige Männer Mitglied eines Ordens werden?

Haselbach: Zum einen hat in den vergangenen Jahrzehnten Religion an Bedeutung verloren. Zum anderen haben die Menschen heutzutage in dieser schnelllebigen Zeit kein Interesse mehr daran, sich lebenslänglich an ein Ordensleben zu binden. Teils haben wir versucht, dieser Entwicklung mit Projekten wie «Bruder auf Zeit» oder «Kloster auf Zeit» entgegenzuwirken. Hinzu kommt, dass früher viele Leute in einen Orden eingetreten sind, um in die Mission gehen zu können. Es war sicher auch Abenteuer mit dabei. Heute geht man in die Entwicklungshilfe statt in die Mission. Auch das Schulwesen war stark von den Orden geprägt und hat dafür gesorgt, dass Lehrkräfte in einen Orden eingetreten sind. Für all das braucht es die Orden heute nicht mehr.

«Um Weltflucht betreiben zu wollen, eignet sich unser Orden weniger.»

Wieso haben just die Kapuziner noch mehr Probleme als andere Orden, Nachwuchs zu bekommen?

Haselbach: Vermutlich üben geschlossene Klöster eine grössere Anziehungskraft auf Menschen aus, die klar von der Welt Abstand nehmen – und sich vom geschäftigen Treiben trennen wollen. Um Weltflucht betreiben zu wollen, eignet sich unser Orden weniger.  

Kapuzinerkloster Schwyz
Kapuzinerkloster Schwyz

Wäre es möglich, Kapuziner aus Indien und Afrika zu holen und in die sich leerenden Kirchen einzusetzen?

Haselbach: Das ist eine grosse Streitfrage in unserem Orden, die mitunter zu hitzigen Diskussionen führt. In der Westschweiz stammt ein Drittel der Brüder aus Indien: In drei von vier Klöstern sind sie als Guardian im Einsatz und stehen dem Kloster vor. Wir in der Deutschschweiz stehen dieser Entwicklung kritisch gegenüber: Unsere Mitbrüder aus Indien und Afrika haben eine andere Kultur, ein anderes Kirchenverständnis, stehen einem franziskanischen Charisma anders gegenüber. Zudem müssen sie sich erst einmal hier akklimatisieren. Ich bezweifle, ob man mit dem Holen von Brüdern aus Übersee das Problem eines überalterten Ordens lösen kann, wenn wir nicht auf Secondos aus diesen Ländern eine Anziehungskraft ausüben.

Willi Anderau im Innenhof des Kapuzinerklosters Wesemlin in Luzern.
Willi Anderau im Innenhof des Kapuzinerklosters Wesemlin in Luzern.

Absehbar sind weitere Klosterschliessungen. Welche Schwerpunkte setzen Sie?

Haselbach: Im Wesemlin, im Kapuzinerkloster in Luzern, befindet sich unser Archiv, die Bibliothek: Dieser Hauptsitz der Kapuziner bleibt naturgemäss bestehen. Auch Rapperswil mit seinem Projekt eines offenen Klosters finde ich einen Schwerpunkt. Sehr bewährt haben sich unsere Altersklöster in Schwyz und Wil, in denen wir unsere betagten Mitbrüder betreuen. Grössere Klöster haben den Vorteil, dass man sich da in der Regel im Miteinander eher zurechtfindet als einer Gemeinschaft mit nur wenigen Mitbrüdern. In einem kleineren Kloster ist man auf Gedeih und Verderb den anderen ausgeliefert. Schnell einmal stellt sich da einem die Frage: Halte ich das aus oder wird mir das zu eng? Individualismus ist auch in Kapuzinerklöstern ein Thema.

Ist eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Kräften über die Grenzen des Ordens hinaus gelungen?

Haselbach: Corona hat uns diesbezüglich in den beiden letzten Jahren ziemlich ausgebremst und uns auf uns selbst zurückgeworfen. Im Fokus stand eher eine Gruppenbildung verschiedener Nationalitäten innerhalb des Kapuzinerordens, indem man Brüder aus Brasilien, Madagaskar und Europa mischt. In der Schweiz ist dieses Projekt eher auf ein geringes Interesse gestossen. Eine Kooperation sollte meiner Meinung nach eher mit Kräften aus franziskanischen Gemeinschaften vor Ort verstärkt und ausgebaut werden. 

Kapuziner Regimi Odermatt im Klostergarten.
Kapuziner Regimi Odermatt im Klostergarten.

Wäre es möglich, das Projekt «Kloster zum Mitleben» in Rapperswil auf eine andere Basis zu stellen?

Haselbach: Neuerdings ist eine Laiin Mitglied in der Leitung des Kapuzinerklosters in Rapperswil. Das Feld ist offen sowohl für Männer wie Frauen als auch für verschiedenste religiöse Herkunft. Gemeinsamer Nenner will die weltoffene franziskanische Spiritualität sein. Bereits vor über 20 Jahren hatte ich die Idee, das Projekt «Klosterjahre in der Lebensmitte» mit sozialer Ausrichtung aufzuziehen. Ich bin überzeugt, dass solche Projekte auf Interesse stossen.   

«Es ist an der Zeit, dass sich unser Orden öffnet.»

Welches neue Projekt würden Sie gerne anpacken?

Haselbach: Wesentlich dünkt mich, dass wir vermehrt ein klosternahes Wohnen möglich machen sollten. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Kapuziner zukünftig im Kloster in Luzern einmieten und dass Teile des Klosters andern Leuten überlassen wird.  Wir könnten ihnen die Gastronomie, die Küche übergeben. Es ist an der Zeit, dass sich unser Orden öffnet. Ich stelle mir vor, dass sich auch die neuen Mieter der 30 Wohnungen, die es im neuen Francesco-Bau im Klostergarten Luzern gibt, einiges von der Klosternähe erwarten.

"Pax et bonum" bedeutet "Frieden und Wohlergehen". Dieses Motto prägt die Franziskaner und Kapuziner.
"Pax et bonum" bedeutet "Frieden und Wohlergehen". Dieses Motto prägt die Franziskaner und Kapuziner.

Ist es eingetreten, dass Kapuziner vermehrt auch zu den Menschen gehen und sich im sozialen Bereich engagieren?

Haselbach: Leider nicht, was naturgemäss auch mit unseren beschränkten Kapazitäten und den alterndern Brüdern zu tun hat. Ich vermisse, dass wir nicht mehr nach aussen gehen. Stattdessen ist das Gegenteil eingetreten: Die Leute kommen eher zu uns: Zum Beispiel in die Oase, wo sie Stille und Spiritualität suchen und finden. 

«Wir mussten bereits ein Hundeverbot aussprechen.»

Entspricht das klosternahe Wohnen einem Trend?

Haselbach: Ich glaube, dass wir wenig Mühe haben werden, Mieter für die 30 Wohnungen zu finden. Im Vorfeld des Projekts war ein grosses Interesse spürbar. Wie holen wir diese Leute ab? Der offene Klostergarten hat sich jedenfalls als Publikumsmagnet entwickelt: Wir mussten bereits ein Hundeverbot aussprechen wegen überhandnehmender Tiere und ihrer Hinterlassenschaft im Garten (lacht). 

«Niedrigprozentig Angestellte werden vom ersten Franken an versichert.»

Welche Erfahrungen in Ihrem Amt als Provinzial haben Sie besonders geprägt?

Haselbach: Ich war primär mit Verwaltungsaufgaben betraut und teils in einem regelrechten Bürokram verwickelt: Bis ins Jahr 2020 hätten alle kirchennahen Stiftungen ins Handelsregister aufgenommen werden müssen. Wir werden vermehrt als öffentliche Körperschaften angesehen. Und das frühere Spezifikum der Ordensgemeinschaften geht im Verständnis der heutigen Politik nach und nach unter. Früher waren wir steuerbefreit, bekamen «dafür» aber keine Ergänzungsleistungen, weil wir ja füreinander sorgen. Heute zahlen wir vielerorts Steuern, bekommen aber keine EL. Klöster sind aus der Sicht vieler nicht mehr gesellschaftsrelevant und sollen wie alle andern Gruppierungen behandelt werden. Ein bisschen stolz bin ich auf unsere neu eingeführte Berufsvorsorge-Lösung, wo wir niedrigprozentig Angestellte vom ersten Franken an versichern. Diese Ungerechtigkeit in der zweiten Säule beginnt in der Politik erst diskutiert zu werden.

Die Kapuzinerinnen des Klosters Leiden Christi im Refektorium des Klosters
Die Kapuzinerinnen des Klosters Leiden Christi im Refektorium des Klosters

Vor welchen Herausforderungen steht der Kapuzinerorden in der Schweiz?

Haselbach: Wir müssen einen Umgang mit dem Älterwerden und der Schrumpfung des Ordens finden. Wir dürfen vor weiteren Klosterschliessungen nicht die Augen verschliessen. Wir finden kaum noch Leute für Leitungsfunktionen. Viel Know-how geht verloren. Die Verwaltung sollte in die Hände von Laien übergeben werden, an Betriebsleiter und «Kuratorinnen». Ich selber pushe das Zurückfahren und plädiere für ein aktives Loslassen: Es macht keinen Sinn zu warten, bis es nicht mehr geht. Ich warne vor zu grossen Träumen und neuen Projekten: Diese kommen mir vor wie Angsttriebe eines Baumes, der seinem Ende entgegen geht. Man hat mir schon eine Baumschere dafür gewünscht (lacht). Man muss mit allem rechnen: Gut möglich, dass sich die Schweizer Provinz der Kapuziner auflöst und wir uns Frankreich beziehungsweise Deutschland-Österreich anschliessen werden. 

«Viele erleiden einen Schock, wenn sie Knall auf Fall pensioniert werden.»

Längst wären Sie pensioniert: Ab welchem Alter dürfen Ordensleute in den Ruhestand eintreten?

Haselbach: Am besten gar nie (lacht): Vielleicht so mit 80 Jahren? Ich sehe beides: Natürlich wäre es schön, wenn man ab 65 Jahren nicht arbeiten müsste. Andererseits erleiden auch viele einen Schock, wenn sie Knall auf Fall pensioniert werden. Viele würden gerne weiterarbeiten mit 65 Jahren: Einige in diesem Alter kommen dann zu uns um zu fragen, ob sie bei uns mithelfen könnten.

Wissen Sie bereits, welche Aufgaben und Funktionen nach dem Provinzialat auf Sie warten?

Haselbach: Vermutlich werde ich mein eigener Nachfolger werden und im Sommer für drei weitere Jahre als Provinzial gewählt werden: Eine zweite Amtszeit ist üblich und zudem steht derzeit schlicht kein Kandidat zur Verfügung. Ich selbst war eine Verlegenheitslösung und bin eigentlich weniger der Leitertyp. Womöglich würde ich in weiteren drei Jahren als Provinzial eher den Raum und die Zeit finden, Projekte aufzugleisen, weil die Pendenzen unterdessen abgebaut worden sind.

Bischof Paul Hinder vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi.
Bischof Paul Hinder vor der Scheich-Zayid-Moschee in Abu Dhabi.

Wissen Sie, wann der Kapuziner Paul Hinder, Bischof in Arabien, in die Schweiz zurückkehren wird?

Haselbach: Bei Paul Hinder stellt sich dasselbe Problem: Es findet sich kein Nachfolger im Amt eines Bischofs von Arabien. Paul Hinder ist bald achtzig Jahre alt: In der Regel treten Bischöfe im Alter von 75 Jahren von ihrem Amt zurück.

Besteht die Möglichkeit, dass Flüchtlinge aus der Ukraine in Kapuzinerklöstern unterkommen könnten?

Haselbach: Ich habe bereits einen Aufruf gestartet bei den Klöstern, um diese Möglichkeit zu evaluieren. Für die Betreuung der Flüchtlinge wären idealerweise Freiwillige gefragt, die selber aus der Ukraine stammen, aber keinen eigenen Wohnraum haben, um in diesem Flüchtlinge unterzubringen. Zudem haben wir bereits 150’000 Franken gespendet für die Flüchtlingshilfe. Ein Teil geht davon an sechs Kapuzinerklöster in der Ukraine, in denen 37 Brüder leben.

* Josef Haselbach (71) ist Provinzial der Schweizer Kapuziner. Zuvor war er Guardian (Vorsteher) im Kapuzinerkloster Wil SG. Als Provinzial lebt er im Kloster Wesemlin in Luzern, dem Sitz der Schweizer Kapuzinerprovinz.


Josef Haselbach, Provinzial der Schweizer Kapuziner | © Bruno Fäh
18. März 2022 | 18:00
Lesezeit: ca. 7 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!