Sandra Rupp Fischer an einem Anlass von Cantars 2015
Schweiz

Probeverbot für Laienchöre ist «ein grosser Verlust»

Der Bundesrat hat am Mittwoch entschieden: Laienchöre dürfen weder auftreten noch proben, während Profi-Chöre immerhin noch Proben abhalten dürfen. Die Leiterin der Kirchenklangfeste Cantars ist gar nicht zufrieden.

Barbara Ludwig

Was bedeutet der Entscheid für die Kirchenchöre in der Schweiz?

Sandra Rupp Fischer: Dies ist ein riesiger Frust. Gerade die Kirchenchöre haben sich intensiv mit den Schutzkonzepten auseinandergesetzt und die räumlichen Möglichkeiten in Kirchen und Pfarrsälen optimal genutzt, um keine Risiken einzugehen. Man ist sich in der Wissenschaft auch nicht einig, was das Singen in Bezug auf die Verbreitung des Corona-Virus bewirkt.

Neuere Studien zeigen sogar auf, dass beim Singen nicht mehr Tröpfchen und Aerosole ausgestossen werden als beim Sprechen. Und zwischen singenden Laien und Profis gibt es wohl schon gar keine Unterschiede diesbezüglich. Das Singen hätte eine grosse Welle an Wertschätzung nötig. Zum Beispiel müsste man darüber berichten, welche sozialen oder gesundheitsfördernden Aspekte sich durch das Singen freisetzen. Nur gerade das Singen zu verbieten – und alle anderen Vereins- und Freizeitaktivitäten in unserem Land mit 15 Personen und Schutzauflagen weiterzuführen–, kann ja keine Lösung sein. Der Entscheid ist für mich unverständlich.

«Man könnte mit Chören instrumental arbeiten.»

Was können Kirchenmusiker jetzt machen?

Rupp Fischer: Einmal mehr ist jetzt Kreativität gefragt. Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker können sich überlegen: Welche Alternativen gibt es? Eine Möglichkeit bestünde darin, mit Chorleuten instrumental zu arbeiten. In jedem Chor gibt es Mitglieder, die bereits ein Instrument spielen und somit zusammen musizieren können. Die anderen könnte man in die Instrumentalmusik einführen: Sie könnten etwa auf der Gitarre Lieder begleiten, Grundlagen des Flötenspiels erlernen oder ein Perkussionsensemble bilden. Damit könnte man den Fokus auf Musiktheorie legen. Sängerinnen und Sänger können ihre Kompetenzen im Notenlesen und ihre rhythmischen Fähigkeiten stärken.

Sie leiten den Marienchor in Olten. Haben Sie vor, diese Idee des Instrumentalensembles mit ihren Sängerinnen und Sängern umzusetzen?

Rupp Fischer: Ja. Der Vorschlag ist beim Vorstand in der Vernehmlassung.

Denken Sie auch an Open-Air-Szenarien?

Rupp Fischer: Das wäre auch eine Alternative. Leider stehen nun aber die kalten Monate bevor und die Einschränkungen im öffentlichen Raum sind ja auch gegeben. Im Kanton Solothurn liegt die Grenze bei fünf Personen, im Indoorbereich ist sie bei 15 Personen.

Wie alt sind die Schweizer Kirchenchöre im Durchschnitt?

Rupp Fischer: Das kann ich nicht sagen. Sicher ist, dass viele Senioren in Chören mitsingen. Dies betrifft jedoch die Erwachsenenchorszene in der Schweiz etwa gleich, auch gemischte Chöre und Männerchöre.

«Es ist anzunehmen, dass nicht alle Chöre die Krise überleben werden.»

Wie viele Chöre werden sterben, weil ein regelmässiges Chorleben unmöglich geworden ist?

Rupp Fischer: Es ist anzunehmen, dass nicht alle Chöre die Krise überleben werden.

Machen Sie sich diesbezüglich grosse Sorgen?

Rupp Fischer: Ja, das beschäftigt uns Chorleitende. Krisen bergen aber auch Chancen. Wer weiss, wo lang es geht, wenn die Krise überstanden ist und das Singen sich rehabilitiert hat.

Nehmen Menschen jetzt den erzwungenen Unterbruch zum Anlass, mit dem Singen aufzuhören?

Rupp Fischer: Das ist möglich. In meinem Chor gibt es Sängerinnen und Sänger jeden Alters, die seit dem Lockdown nicht mehr an Proben und Einsätzen teilnahmen. Es ist möglich, dass sie sich in der Zwischenzeit an einen Alltag ohne Singen gewöhnt haben und nicht mehr zurückkommen wollen, was sehr traurig wäre. Erfreulicherweise gibt es aber auch neue Gesichter in unserem Kreis, weil sie gerade in der Krise mit anderen Menschen singen möchten.

Die Cantars-Organisatorin

Sandra Rupp Fischer ist als Initiantin und Leiterin der Cantars Kirchenklangfeste bekannt geworden. Sie hat den schweizweit stattfindenden Anlass 2011 und 2015 koordiniert und ist dran, eine weitere Ausgabe davon für 2021 vorzubereiten. Rupp Fischer hat in Luzern das Schulmusikstudium absolviert, später die Ausbildung zur Musikschulleiterin gemacht. Seit 2013 leitet sie die Musikschule Olten. Sie ist seit Jahren als Chorleiterin und Musikpädagogin tätig. Seit 2011 arbeitet sie zu 25 Prozent am Liturgischen Institut. 2003-2015 war sie auch Verbandsdirektorin des Kirchenmusikverbandes Bistum Basel. (rp)
Sandra Rupp Fischer an einem Anlass von Cantars 2015 | © zVg / André Albrecht
31. Oktober 2020 | 17:09
Lesezeit: ca. 3 Min.
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