Andreas Gschwind am Ambo in der katholischen Kirche Münchenstein BL
Schweiz

«Ich will nicht Ritualguru sein»: Priester kritisiert Pastoralräume und Generalvikar Thürig

Zehn Jahre lang hat Andreas Gschwind (59) mit seinem Leben als Priester gehadert. Im Buch «Als Giesskannenpfarrer unterwegs» beschreibt er, was ihn in die Krise stürzte. Er hofft auf eine lebendige Kirche von unten – hat aber das Gefühl, von Generalvikar Markus Thürig nicht gehört zu werden.

Regula Pfeifer

Er sei nicht generell gegen Pastoralräume, schreibt Andreas Gschwind im Vorwort zum Buch «Als Giesskannenpfarrer unterwegs». Aber diese führten «langfristig in eine Sackgasse».

Heimatlos in der Kirche

Zehn Jahre lang habe er sich in der Kirche heimatlos gefühlt. Auf seiner Suche habe er herausgefunden: «Ich möchte nicht als Giesskannenpfarrer unterwegs sein», sagt der Priester des Bistums Basel.

Giesskannenpfarrer: Genau das seien die Pfarrer in den Pastoralräumen, findet Gschwind. Er bezieht sich dabei auf seine Erfahrung im Bistum Basel. Priester in ländlichen Regionen mit weit auseinander liegenden Pfarreien müssten sonntags von einem Dorf zum anderen reisen und mehrere Gottesdienste leiten.

Solch herumreisende Pfarrer haben einen eng beschränkten Arbeitsbereich, kritisiert der Geistliche. Sie müssten einzig die sakramentalen Dienste abdecken. Doch er selbst wolle nicht ausschliesslich als «Ritualguru» funktionieren, so Gschwind. Er spricht in diesem Zusammenhang auch von «liturgischer Monokultur», die von ihm gefragt war.

Der Giesskannenpfarrer – Buchcover "Als Giesskannenpfarrer unterwegs" von Andreas Gschwwind
Der Giesskannenpfarrer – Buchcover "Als Giesskannenpfarrer unterwegs" von Andreas Gschwwind

Wenig entscheiden

Das passiere etwa, wenn er bei Gottesdiensten ausschliesslich Eucharistie feiere. So sei er beispielsweise bei Familiengottesdiensten, die Katechetinnen gestaltet hätten, nicht vorgängig in die inhaltliche Planung einbezogen worden.

Als leitender Priester ohne Hauptverantwortung sei er zudem in seinen Entscheidungsmöglichkeiten eingeschränkt, fügt Gschwind an. Denn in erster Linie sage die Pastoralraumleiterin oder der Pastoralraumleiter, was wo zu geschehen habe.

Fehlende Kontakte

Das Herumreisen erschwere es den Pfarrern auch Kontakte zu pflegen – etwa zu Familien und Jugendlichen in den Pfarreien. Besonders Letzteres findet Andreas Gschwind sehr wichtig: Denn «Jugendliche zum Beispiel haben die Gabe, Seelsorgerinnen und Seelsorger zu inspirieren und neu herauszufordern».

«Ich fühlte mich als Einzelkämpfer»

Andreas Gschwind, Priester des Bistums Basel

Aber auch der Kontakt zu anderen Seelsorgenden lasse teilweise zu wünschen übrig. «Es gibt leitende Priester, die abseits und isoliert in einem kleinen Dorf im Pastoralraum wohnen und dort ihr Büro haben. Ins Seelsorgeteam sind sie wenig integriert. Die Gefahr der Vereinsamung ist gross.»

So lebte auch Andreas Gschwind einmal. Das hielt er nur zwei Jahre aus. «Ich fühlte mich als Einzelkämpfer», sagt er.

Ein Priester bei der Gabenbereitung.
Ein Priester bei der Gabenbereitung.

Priester im Seelsorgeteam unerwünscht?

Dieses Gefühl stützt er durch Aussagen eines Papiers der katholischen Kirche Luzern. Diese habe in «Zehn Schritten zu einer geschwisterlichen Kirche von Frauen und Männern» eine «Pastoral der Präsenz» gefordert. Und dazu geschrieben: «Pfarreileitungen fördern eine Pastoral der Präsenz und verzichteten auf den Einsatz von Priestern ohne starken Bezug zur Pfarrei.»

Er verstehe zwar, dass es für alle unbefriedigend sei, wenn Pfarrer für sakramentale Dienste eingeflogen würden. «Aber wo bleibt die Geschwisterlichkeit, wenn Priester in einem Team gar nicht erwünscht sind?», fragt Andreas Gschwind.

Wunsch nach ganzheitlichem Hirte-Sein

Das Hauptproblem der Pastoralräume sei deren «unflexible Strukturen». Anstatt die Priester in ihrer Tätigkeit auf die Sakramente einzuschränken, sollten diese «in allen vier Grundpfeilern der Kirche» wirken können: in der Eucharistie, der Gemeinschaft, der Diakonie und der Verkündigung».

«Einem Priester soll es möglich sein, ganzheitlich als Hirte zu wirken, in leitender Funktion als Pfarrer, auch wenn er nicht als Pastoralraumpfarrer eingesetzt ist», fordert er weiter.

Pfarrer Andreas Gschwind (r.) bei der Trauung eines Paars
Pfarrer Andreas Gschwind (r.) bei der Trauung eines Paars

«Es braucht neue Strukturen, die mehr dem Leben dienen. Die Organisationsformen dürfen sich nicht mehr an Pfarreien und geografischen Räumen orientieren, sondern an den Menschen, die ganz eigene Charismen mitbringen, die Gott ihnen geschenkt hat.»

Der Traum von lebendigen Gemeinden

Für die Zukunft wünscht sich Andreas Gschwind «lebendige Gemeinden, in denen der priesterliche Dienst hochgeschätzt wird». Und er entwirft eine Vision:

«Die zukünftige Kirche wird eine Laienkirche und keine Klerikerkirche mehr sein», schreibt er. «In Dörfern und städtischen Quartieren findet man Christengemeinschaften, die gemäss den vier kirchlichen Grundfunktionen Kirche vor Ort leben.»

Bischof Felix Gmür bei der Feier zur Errichtung des Pastoralraums Rontal LU, 2016
Bischof Felix Gmür bei der Feier zur Errichtung des Pastoralraums Rontal LU, 2016

Vision: Schweizer Kirche à la Poitiers

Andreas Gschwind träumt von einer Schweizer Kirche à la Poitiers. Im französischen Poitiers hat vor Jahrzehnten die Basisgemeinden-Bewegung Schule gemacht. Hier wird Kirche im Nahbereich gelebt: Teams, bestehend aus rund fünf gewählten Gläubigen, gestalten das religiöse Leben. Unterstützt werden sie dabei durch hauptamtliche Seelsorgende und Pfarrer. Diese müssten in erster Linie geistliche Leiter und Begleiter sein, so Gschwind.

Andreas Gschwinds Fazit lautet: «Eine Kirche, die sich in diese Richtung entwickelt, findet wieder zum Ursprung zurück. Sie ist näher beim Evangelium und ich glaube, sie ist so, wie sie Jesus gewollt hat.»

Andreas Gschwind: Als Giesskannenpfarrer unterwegs. Unflexible Strukturen in Pastoralräumen – auf Spurensuche für eine wachstumsfähige Kirche», Rex Verlag Luzern, 2022. Andreas Gschwind ist seit Herbst 2021 Pastoralraumpfarrer im Pastoralraum Thierstein SO. Er hat auch zuvor fürs Bistum Basel gearbeitet – mit Ausnahme von 2015 bis 2016, als er in der Diözese Ajaccio in Korsika wirkte.

Kurt Koch begrüsste Reformideen

Solche Reformideen habe er dem früheren Bischof und heutigen Kardinal Kurt Koch vorgestellt – und sei motiviert worden, dranzubleiben. Bei der aktuellen Bistumsleitung hingegen – konkret bei Generalvikar Markus Thürig stiess er auf wenig Interesse. (rp)

Zitate aus Andreas Gschwinds Buch

«Eine Klerikerkirche, die ein bestimmtes Gebiet «versorgen muss», hat keine Zukunft mehr. Eine Kirche, in der die Laien nicht gefördert, befähigt und ermutigt werden zu selbständigem Einsatz, stirbt unweigerlich.»

«Was uns fehlt, sind lebendige Gemeinden, in denen der priesterliche Dienst hochgeschätzt wird, in denen er nicht unablässig zerredet und in Frage gestellt wird, in denen ein Priester viele Schwestern und Brüder hat und in denen keiner allein ist.»

«Ich bin aber überzeugt, dass wir heute beginnen müssen, überall Liturgiegruppen zu bilden und die Menschen anzuleiten, dass sie an ihren Orten selbständig Gottesdienst feiern können.»

«Für die sinkende Anzahl von Gläubigen haben wir nicht zu wenig Personal. Wir halten zu viele Strukturen aufrecht.»

Das Reusshaus in Luzern gehe «in die richtige Richtung»: «ökumenische Bildung in Theologie und Gemeindeleitung mit dem Ziel, Menschen auszubilden, die mit den Personen vor Ort Kirche gestalten»


Andreas Gschwind am Ambo in der katholischen Kirche Münchenstein BL | © zVg
14. September 2022 | 13:00
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