Daniel Bogner
Schweiz

Stiefkindadoption: Aus moraltheologischer Sicht ist eine Güterabwägung vorzunehmen

Freiburg i.Ü, 10.3.16 (kath.ch) Jedes Kind hat Anrecht auf eine feste, soziale Einbettung, sagt der Freiburger Moraltheologe Daniel Bogner in seinem Kommentar zur umstrittenen Adoption von Stiefkindern. Die familiäre Gemeinschaft ist die erste Instanz für Schutz. Wichtig seien jedoch auch Verlässlichkeit, Stabilität und Verantwortungsbereitschaft, den diese Partner zu geben bereit sind. Dem Kindeswohl könne es dienlich sein,  rechtliche Instrumente auf solche Partnerschaften auszudehnen, die nicht der klassischen Familienform entsprechen. Bogner ist seit 2014 Professor für Allgemeine Moraltheologie und Ethik an der Universität Freiburg.

In einer moraltheologischen Bewertung ist zunächst danach zu fragen, ob die biblische Grundlage des christlichen Glaubens eine eindeutige Antwort auf die Frage zwingend nahe legt. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Zu sehr unterscheiden sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, das Verständnis von Staat und Recht sowie die kulturellen Lebensbedingungen der biblischen Zeit im Vergleich zu heute.

Sie haben einen eindeutigen Platz innerhalb des Lebensortes, den sie aus ihrer Perspektive ja längst als «Familie» erleben

Es gibt allerdings Anhaltspunkte im biblischen Ethos, die bei der Orientierung helfen können. Die Bibel betont durchgängig, dass es für eine gute Entwicklung des Menschen wertvoll und unverzichtbar ist, sein Leben in festen sozialen Beziehungen gestalten zu können. Erst in der Einbettung in den sozialen Zusammenhang von Familie und der Gemeinschaft wird jene Sicherheit und Unterstützung erfahrbar, die der Mensch braucht, um sich mit seinen Gaben, Talenten und Bedürfnissen zu entfalten. Die Bibel legt grossen Wert auf diese Dimension einer festen sozialen Einbettung des Einzelnen: Nur so kann er letztlich der sein, als der er von Gott gewollt ist – sein Ebenbild.

Eine solche grundsätzliche Überlegung macht deutlich, dass bei der Frage nach der Stiefkindadoption ein hohes ethisches Gut auf dem Spiel steht: es ist das Gut einer umfassenden Einbindung in eine erste soziale Gemeinschaft, die der Familie. Vor allen staatlichen Hilfsangeboten ist die familiäre Gemeinschaft die erste und bestmögliche Instanz für Schutz, Unterstützung und gedeihliche Entwicklung junger Menschen. Eben deshalb geniesst sie einen hohen Schutz, der sich im Recht ausdrückt.

Bibel legt grossen Wert auf Dimension einer festen sozialen Einbettung des Einzelnen

Die wesentlichen Elemente einer solchen Einbettung, die von der Familie geleistet werden, sind nicht so sehr vom biologischen Geschlecht der erwachsenen Partner abhängig, sondern von der Verlässlichkeit, Stabilität und Verantwortungsbereitschaft, den diese Partner zu geben bereit sind. Es erscheint deshalb zulässig, die dem Kindeswohl dienenden rechtlichen Instrumente auch auf solche Partnerschaften auszudehnen, die nicht der klassischen Familienform entsprechen, de facto aber dieselben oder ähnliche Leistungen für das Wohl der Kinder erbringen.

Aus moraltheologischer Sicht ist eine Güterabwägung vorzunehmen: Auf der einen Seite steht die Chance, dass viele Kinder mit dem Instrument der Stiefkindadoption eine reale Verbesserung ihrer Lebenssituation erfahren werden. Sie sind besser abgesichert und haben einen rechtlich eindeutig definierten Platz innerhalb des Lebensortes, den sie aus ihrer Perspektive in der Regel ja längst als «Familie» erleben. Mit der Möglichkeit zur Adoption sendet der Gesetzgeber auch ein über den einzelnen Fall hinausgehendes grundsätzliches Signal, dass ihm an der Ausgestaltung guter Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder gelegen ist. Es ist ein Signal werteorientierter Politik und kann aus der Sicht christlicher Ethik begrüsst werden.

Auf der anderen Seite der Güterabwägung steht die Annahme, dass für Kinder eine Familie, die aus heterosexuellen Lebenspartnern besteht, der beste Ort eines gelingenden Aufwachsens ist. Die Kritiker der Regelung wenden auch ein, dass ein solches Gesetz Teil einer «Salamitaktik» zur gänzlichen rechtlichen Angleichung von Lebenspartnerschaften an die klassische Ehe sein könnte. Selbst wenn dieses Kalkül bei einigen Befürwortern des Vorhabens im Spiel sein sollte, beeinträchtigt dies nicht die grundsätzliche Bewertung der Stiefkindadoption, um dies es ja hier nur geht. Beim Argument der «Salamitaktik» steht zu vermuten, dass anlässlich der Gesetzesinitiative ein genereller Vorbehalt gegenüber dem Statut eingetragener Lebensgemeinschaften erneut, nun aber zu Lasten der zu adoptierenden Kinder, vorgebracht wird.

Rechtszweck der neuen Regelung ist nicht eine Privilegierung von Lebenspartnerschaften, sondern die Verbesserung der Situation der betroffenen Kinder. Selbst bei bestehenden Vorbehalten gegenüber sogenannten Regenbogenfamilien überwiegt das handfeste und de facto vorliegende Interesse der Kinder auf rechtlichen Schutz bei weitem die nur präventiv und grundsätzlich formulierte Sorge um den Bestand der klassischen Familie. (gs)

Daniel Bogner | © zVg
11. März 2016 | 00:01
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