Philipp Greifenstein
Konstruktiv

Philipp Greifenstein: «Für Kirchen ist Umstellung von Sender- auf Empfängerorientierung schwer»

In den Schweizer Kirchen mangelt es in der Digitalisierung an gutem Zuspruch und praxistauglichen Hinweisen, sagt Philipp Greifenstein, der ein Buch darüber geschrieben hat. Digitale Gemeinde gelingt dort, wo digitale Arbeitsprozesse und Werkzeuge Menschen zusammenführen.

Jacqueline Straub

Sie schreiben in Ihrem Praxishandbuch «Vernetzt & zugewandt» über die Digitalisierung von Kirchgemeinden. Was war Ihre grösste Erkenntnis?

Philipp Greifenstein*: Hanno Terbuyken und ich waren nach der Corona-Pandemie und dem Aufschwung von digitalen Formaten während dieser Zeit eigentlich darauf eingestellt, dass inzwischen ganz viel von diesem tollen Engagement wieder zurückgefahren wurde. Tatsächlich aber hat sich das Thema Digitalisierung gehalten. Viele Menschen suchen nach guten Wegen, in den Gemeinden digital zusammenzuarbeiten und im Netz Menschen für das Evangelium und die Kirche zu begeistern.

«Wir beobachten einige Leuchtturmprojekte.»

Wie verändert Digitalisierung die Gemeinden?

Greifenstein: Digitalisierung bedeutet nicht allein, digitale Werkzeuge im Gemeindealltag zu verwenden, sondern sich auf eine vernetzte Zusammenarbeit einzustellen. Das ist für viele Kirchgemeinden im deutschsprachigen Raum, wo sich doch in den Kirchen viel um die Seelsorgenden dreht, eine Herausforderung. Wer die Kirchgemeinde vernetzt denkt, der wendet sich auch dem sozialen Umfeld der Christengemeinde, möglichen Partnern in der Stadtgesellschaft oder Dorfgemeinschaft zu. Das ist in unseren schrumpfenden Kirchen ohnehin notwendig.

Ist die Schweizer Kirchenlandschaft schon genügend digitalisiert?

Greifenstein: Wir beobachten einige Leuchtturmprojekte, die sehr spannend sind, wie etwa das «RefLab». Ohnehin sind das Ausprobieren und das Unternehmertum offenbar eine schweizerische Stärke. Aus Rückmeldungen von Ehren- und Hauptamtlichen wissen wir aber, dass es auch in den Schweizer Kirchen den Digitalisiererinnen und Digitalisierern an gutem Zuspruch und praxistauglichen Hinweisen mangelt.

Buchcover des Praxishandbuches
Buchcover des Praxishandbuches

Welche Tipps haben Sie für Gemeinden?

Greifenstein: Die meisten Menschen leben alltäglich mit digitalen Werkzeugen. Jetzt ist es an der Zeit, zu überprüfen, wo die einzelnen Kirchgemeinden ihre Kräfte am besten investieren sollten. Die allerwichtigsten Fragen, die sich Gemeinden heute stellen sollten, sind darum gar nicht technologisch, sondern theologisch: Wozu gibt es uns eigentlich? Zu wem sind wir gesandt? Von wem können wir etwas lernen?

Kirche bedeutet Gemeinschaft vor Ort. Wie kann dennoch eine «digitale Gemeinde» funktionieren?

Greifenstein: Wir unterscheiden im Buch zwischen Online-Gemeinden, also Gemeinschaften, die sich vornehmlich im Netz zu Gebet, Austausch und auch zum Gottesdienst treffen, und digitalen Gemeinden. Letztere meint unsere Ortsgemeinden, die vor der Herausforderung stehen, auch in der digitalen Gesellschaft für Menschen am Ort da zu sein. In diesem Sinne glauben wir sehr an die Gemeinde im Ort. Digitale Gemeinde gelingt dort, wo digitale Arbeitsprozesse und Werkzeuge Menschen zusammenführen. 

«In den Gemeinden braucht es ein gutes Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen.»

Die Kirchen sollen sich auch auf den sozialen Netzwerken gut präsentieren. Meist fehlt es hierfür an Geld und an Ehrenamtlichen. Wie kann das dennoch funktionieren?

Greifenstein: Wir sollten gut unterscheiden zwischen der Kommunikation unserer Kirchen, die von Hauptamtlichen gestaltet werden muss, und derjenigen von Kirchgemeinden oder Initiativen. Nicht alles muss an vielen Stellen und auf allen Ebenen der Kirche immer wieder mit Ressourceneinsatz wiederholt werden. In den Gemeinden braucht es ein gutes Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen, mit klaren Absprachen und Rollenerwartungen. Wichtig ist auch: Kein Projekt muss für die Ewigkeit sein. Es braucht auch den Mut, Dinge wieder bleibenzulassen. 

Alles geht heute übers Handy
Alles geht heute übers Handy

Sie plädieren in Ihrem Buch für Kommunikation statt «Einweg-Verkündigung». Was meinen Sie damit?

Greifenstein: Bei vielen Kirchenkanälen auf den grossen Social-Media-Plattformen erleben wir, dass vor allem kurze Botschaften an ein ziemlich allgemein gefasstes Publikum gesendet werden. Richtige Kommunikation aber hat immer auch die Gegenrichtung im Blick. Für die Kirchen ist die Umstellung von der Sender- auf die Empfängerorientierung nach wie vor sehr schwer. Was kann die Kirche von den Menschen lernen? Was können wir gemeinsam am Evangelium Aufregendes oder sogar Neues entdecken? 

«Es ist wichtig, die digitale Bildung auch im Raum der Kirche voranzutreiben.»

Wie muss eine gute Website einer Pfarrei aussehen?

Greifenstein: Sie ist der Ort, an dem Kirchgemeinden in eigener Verantwortung, fern der Dynamiken der Social-Media-Plattformen, nach eigenen Regeln kommunizieren können. Neueste Untersuchungen weisen darauf hin, dass Kirchgemeinden digital vor allem über eine eigene Website wahrgenommen werden. Eine gute Gemeindewebsite sollte mindestens die wichtigsten Termine, Kontaktdaten und Berichte, die Menschen immer wieder suchen, ohne langes Stöbern preisgeben. Das gilt umso mehr, da die Gemeinden und Pfarreien immer grössere Räume abdecken.

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Wie kann künstliche Intelligenz auch in den Gemeinden verwendet werden?

Greifenstein: Wir sind eher skeptisch, was die Möglichkeiten der momentan gehypten «KI» angeht. Es gibt einzelne Anwendungsmöglichkeiten beim kreativen Arbeiten, die auch in Gemeindekontexten schon aktuell sind. Vor allem aber scheint es uns wichtig, die digitale Bildung auch im Raum der Kirche voranzutreiben: Was macht neue Technik mit uns? Verändert sie, wie wir über uns und unsere Gesellschaft denken? Wie können wir als Christen in einer digitalisierten Welt gut leben?

*Philipp Greifenstein ist Journalist und Magazingründer von «Die Eule». Seit zehn Jahren beobachtet und beschreibt er die Digitalisierung in der Kirche. Nun hat er zusammen mit Hanno Terbuyken das Buch «Vernetzt und zugewandt – digitale Gemeinde gestalten» herausgegeben. Das Interview wurde schriftlich geführt.


Philipp Greifenstein | © zVg
21. Februar 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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