Paul Zahner
Schweiz

Paul Zahner: «Das Leben in einer Zelle ist Wahnsinn – seltsam und herausfordernd»

Der Franziskaner Paul Zahner war vom 16. bis 22. Juli in der Wiborada-Zelle eingeschlossen. Er berichtet von seinen Erfahrungen. «Es ist schlichtweg faszinierend, dass eine solche Zelle von einer Frauengruppe aufgestellt wurde. Und das heute», meint Zahner. Er bezieht Stellung zum Frauenpriestertum und sagt, dass er in der Theologie dazu «nur Polemik erlebt.» Und er gibt Ratschläge für eine gute Theologie.

Sabine Zgraggen

Wieso haben Sie sich entschieden, eine Woche in die Wiborada – Zelle zu gehen?

Paul Zahner: Wiborada hat mich zu faszinieren begonnen. Sie ist die weltweit erste heiliggesprochene Frau der Kirche (1047). Offensichtlich war sie sehr eigensinnig und lebte in einer Zelle, wie ich mir das Leben unmöglich vorstellen könnte. War das nicht Wahnsinn? Aber die damalige Zeit kannte Inklusen und kannte diese Lebensform. Das ist seltsam und herausfordernd. Ich wollte einmal die Erfahrung des Lebens in einer solchen Zelle machen. Dabei war die Begleitung durch die Diözesaneremitin in St. Gallen, Schwester Fabienne Bucher, wunderbar. Sie kennt Wiborada sehr gut und versteht es liebenswürdig zu begleiten. Es ist schlichtweg faszinierend, dass eine solche Zelle von einer Frauengruppe aufgestellt wurde. Und das heute.

Nachgebaute Zelle der heiligen Wiborada in St. Gallen.
Nachgebaute Zelle der heiligen Wiborada in St. Gallen.

Was waren Ihre Erwartungen für diese Woche und wurden sie erfüllt?

Zahner: Die Erwartungen wurden sehr erfüllt. Man ist nicht komplett eingeschlossen, sondern kann auch hinausgehen. Ich genoss manchmal auch die Stille der Kirche St. Mangen, auf der anderen Seite des inneren Fensters. Dort war ich fast immer allein. Ich besuchte einmal St. Georgen, wo Wiborada mit einigen Frauen in der Kirche lebte. Die Zelle Wiboradas wurde mir aber lieb. Da geht es nur um Gott und nicht um tausend andere Dinge. Sie wurde für mich ein franziskanischer Ort, obwohl Wiborada vor Franziskus lebte und 926 getötet wurde. Ihr Kleid, mit roter Farbe bespritzt, hängt in der Kirche St. Mangen als Zeichen der Auseinandersetzung einer Künstlerin.

Lika Nüssli macht Wiboradas Martyrium in St. Gallen sichtbar
Lika Nüssli macht Wiboradas Martyrium in St. Gallen sichtbar

Was waren die grössten Herausforderungen? Gab es Momente der Angst oder Unruhe?

Zahner: Mich selbst auszuhalten war das grösste Problem. Nur ich und Gott waren da in dieser Zelle. Und mein Ich machte sich oft so gross, dass Gott keinen Platz mehr daneben hatte. Erst im Verlauf der Tage gewann Gott wieder den innersten Platz und ich wurde neben Ihm unwichtig. Unangenehm waren die Geräusche, die man in einer solchen Holzzelle hört. Sind das Menschen, die in der Stadt sind? Oder Tiere? Unangenehm war das Gehen auf die Toilette nachts.

Gibt es eine Verbindung zwischen franziskanischer Theologie, Wiborada und der Frage nach dem Frauenpriestertum?

Zahner: Meines Wissens waren alle franziskanischen Theologen des Mittelalters gegen die Möglichkeit eines Frauenpriestertums. Aber sie mussten sich mit dieser Frage beschäftigen nach der Vorlage der Sentenzen des Petrus Lombardus und hatten ganz verschiedene Argumente. Seit ich 1985 Theologie zu studieren begann, habe ich in dieser Frage nur Polemik erlebt. Leider. Die Konservativen bezeichnen einen als häretisch, wenn man für das Frauenpriestertum ist. Die Progressiven halten einen für frauenfeindlich und für völlig veraltet, wenn man gegen das Frauenpriestertum ist. Eine gute Theologie aber sucht inhaltliche Argumente für beide Meinungen.

Und was wäre der bessere Weg für die theologische Debatte?

Zahner: In den theologischen Fragen im Mittelalter musste zuerst immer die Meinung der Personen inhaltlich beschrieben werden, die gegen etwas sind und dann die Meinung der Personen, die für etwas sind. Beide Argumente müssen bekannt sein und ganz sachlich beschrieben werden. Erst dann beginnt die Formulierung der eigenen Meinung, die Argumente zum Ja sagen und dem Nein sagen müssen dabei aufgenommen werden. Wir haben mit diesen Argumentationsreihen noch kaum begonnen und haben keine Ruhe darin. Achtsamkeit auf die anderen ist die Grundlage jeder guten Theologie.

Inwiefern hat sich die franziskanische Theologie durch heilige Frauen beeinflussen lassen? 

Heilige Frauen sind im Franziskanischen wesentlich. Franziskus ist ohne Klara von Assisi gar nicht zu verstehen. Ohne Klara hätte Franziskus seinen Weg nicht wirklich gehen können. Ihr Leben in der Kontemplation war für ihn das Zentrum einer intensiven Gottesbegegnung. Elisabeth von Thüringen, an deren Texten wir in einer Arbeitsgruppe arbeiten, ist ganz grundlegend für ein Leben in einer Partnerschaft. Sie lebte ihre Partnerschaft sehr intensiv und zerbrach fast, als ihr Mann auf dem Kreuzzug an einer Seuche starb.

Heilige Klara und Heiliger Franziskus von Assisi – Fresko um 1520.
Heilige Klara und Heiliger Franziskus von Assisi – Fresko um 1520.

Haben Sie noch weiter Beispiele von Frauen?

Zahner: Angela von Foligno, die eine im deutschsprachigen Raum kaum bekannte Mystik pflegte, die direkt aus der Begegnung mit Gott herauswuchs, so dass sie in einer Kirche zu schreien begann, weil Gott sie berührte. Charitas Brader, die als Schweizerin das Abenteuer der Mission einging, und die harte Missionsarbeit in Lateinamerika mit intensivem Gebet vor der Eucharistie verband. Es gilt diese intensiven Züge einer Frauensichtweise im Franziskanischen und im Kirchlichen überhaupt wieder ganz neu zu entdecken. Sie ist ein noch wenig beachteter Schatz.

Wie würde die Heilige Wiborada solche Fragen angehen?

Zahner: Wiborada lebte synodal bis ins Letzte. Es ging ihr nicht um lange Diskussionen zu schwierigen Fragen oder um demokratische Abstimmungen, um der Mehrheit folgen zu können, sondern es ging ihr einzig um die Frage, wo sie Gott jetzt begegnen kann und wo der Heilige Geist gegenwärtig ist. Einzig dafür war sie in der eingeschlossenen Zelle. Sie betete stundenlang intensiv und verbrachte zehn ganze Jahre in ihrer abgeschlossenen Klause. Was will Gott?

Eine moderne Skulptur der St. Galler Stadtheiligen Wiborada.
Eine moderne Skulptur der St. Galler Stadtheiligen Wiborada.

Und wie stand Wiborada zum Frauenpriestertum?

Zahner: In der Frage des Frauenpriestertums ist es unbedingt nötig die Frage zu stellen: Was will Gott? Was will der Heilige Geist? Natürlich braucht es breite theologische Erörterungen, offen für alles, es braucht die Achtung vor der bisherigen Tradition der Kirche, auch wenn wir sie nicht mehr teilen könnten und es braucht Gefühle, die diese Frage in mir neu auslösen und in diese oder jene Richtung gehen.

Sind Ihnen die Schwestern vom Kloster Fahr hier ein Vorbild?

Zahner: Ich bewundere die Schwestern im Kloster Fahr, die am Donnerstagabend in einem eigenen Gebet intensiv Gott bitten, dass er uns sagt, was in diesen Fragen zu tun ist. ER möge antworten, nicht wir. Wir alle müssten intensiv beten und fragen, in welche Richtung Gott uns führen will. Vertrauen wir doch auf Gott, wie Wiborada.

Bruder Paul Zahner OFM lebt im Franziskanerkloster in Näfels GL. Er ist Priester, Guardian, Kustodierat und Moderator der Werkstatt Franziskanische Forschung. Zahner ist zudem Mitglied der Redaktionskommission der «Helvetia Franziscana».


Paul Zahner | © Sabine Zgraggen
6. August 2023 | 12:00
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