Peter G. Kirchschläger, Professor Theologische Ethik und Mitglied Referendumskomitee
Schweiz

Passt Ueli Maurer zur IOC-Ethikkommission? «Als SVP-Präsident hat er rassistischen Hass geschürt»

Ex-SVP-Bundesrat Ueli Mauer hat einen neuen Job. Seit Januar mischt er bei der Ethikkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit. Ist der konservative Politiker, der international schon in viele Fettnäpfchen getreten ist, der richtige Mann dafür? Ethik-Professor Peter Kirchschläger meldet Zweifel an. Und warnt vor «ethics washing».

Wolfgang Holz

Was sagen Sie zum Einsitz von Ex-Bundesrat Ueli Maurer in der IOC-Ethikkommission?

Peter Kirchschläger*: Es ergeben sich Zweifel, inwiefern alt Bundesrat Ueli Maurer für eine Ethikkommission qualifiziert ist. Als SVP-Präsident hat er rassistischen Hass geschürt. Ueli Maurer hat sich unter anderem für die «Schwarzen Schafe-Plakate» und für ein Wahlplakat mit einem schwarzen Mann mit einem blutigen Messer im Wahlkampf 2007 entschieden.

«Er hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin als «Freund» bezeichnet.»

Aber er war doch als Bundesrat eine beliebte politische Person…

Kirchschläger: Als Bundesrat hat er sich eher mit ethisch problematischen Äusserungen und Handlungen einen Namen gemacht, in denen er zum Beispiel das Recht auf Leben von über 80-jährigen Menschen während der Covid-19-Pandemie in Frage gestellt hat. Oder Menschen diskriminiert hat, wie zu Beispiel mit seiner verbalen Attacke gegen Transgender-Personen bei seinem Rücktritt. Schliesslich hat er den russischen Präsidenten Wladimir Putin als «Freund» sowie 2022 den russischen Aussenminister Sergei Lawrow als «einen der besten Aussenminister» bezeichnet und sich kurz nach dem Ausscheiden aus dem Bundesrat freundschaftlich mit dem Vizepräsident Chinas getroffen. Das ist immerhin eine Diktatur, die unter anderem systematisch Menschenrechte verletzt, Repression und Folter gegen Demokratiebemühungen einsetzt, über 1.5 Millionen Uiguren gewaltsam in Umerziehungslagern festhält und in Zwangsarbeit ausbeutet, und die mit einem digitalen Sozialpunktesystem ihre Bevölkerung totalitär überwacht. Nicht zuletzt hat er dem damaligen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump 2019 bei einem Staatsbesuch wortwörtlich den Slogan des Rüstungskonzerns Ruag ins Gästebuch geschrieben.

Bundesrat Ueli Maurer mit Doris Frick, der Botschafterin Liechtensteins in Bern. Seit Januar ist er neu in der IOC-Ethikkommission.
Bundesrat Ueli Maurer mit Doris Frick, der Botschafterin Liechtensteins in Bern. Seit Januar ist er neu in der IOC-Ethikkommission.

Zuvor war Ex-Bundesrat Samuel Schmid zwölf Jahre lang Mitglied in der Ethikkommission des Olympischen Komitees. Wie sinnvoll ist es, Politiker für solche Aufgaben zu bestimmen – einerseits sind diese zwar bestens vernetzt und öffentlichkeitserfahren, andererseits besteht grundsätzlich immer die Gefahr von Klientelbegünstigung?

Kirchschläger: Ethik ist eine Wissenschaft. Die Frage stellt sich, warum eine wissenschaftliche Aufgabe, nämlich ethische Fragen zu identifizieren, ethische Lösungen zu entwickeln sowie ethische Bewertungen vorzunehmen, Personen ohne spezifische Qualifikation in diesem Bereich anvertraut wird. Oder würden Sie die Klärung etwa eines mathematischen Problems einem Politikwissenschaftler übertragen? Würden wir die Bewältigung einer astrophysikalischen Herausforderung einer Rechtsexpertin anvertrauen? Oder würden wir eine Politikerin einladen, sich mit einer biologischen Forschungsfrage zu befassen?

«Die Gefahr besteht darüber hinaus, dass eine Ethikkommission zum Spielball von Partikularinteressen wird.»

Bundesrat Ueli Maurer, wieer leibt und lebt.
Bundesrat Ueli Maurer, wieer leibt und lebt.

Die Gefahr besteht darüber hinaus, dass eine Ethikkommission zum Spielball von Partikularinteressen wird, wenn sie nicht mehr in erster Linie der ethischen Klärung und Beratung dient, sondern für Reputationsgewinne und entsprechende politische und wirtschaftliche Vorteile instrumentalisiert wird.

 Stichwort Partikularinteressen. Ist nicht gerade die IOC-Ethikkommission besonders anfällig für Korruption? Bei den olympischen Spielen geht es um viel Geld.

Kirchschläger: In der Tat haben sich bisher grosse Sportorganisationen wie das IOC und die FIFA nicht nur als für Korruption anfällig, sondern auch als Komplizinnen und Mittäterinnen bei Menschenrechtsverletzungen erwiesen. Dies muss sich ändern! Diesbezüglich kommt auch der Schweiz eine Verantwortung zu, da viele dieser internationalen Sportverbände ihren Hauptsitz in der Schweiz haben. Man muss leider sehr deutlich sagen: Die Schweiz nimmt ihre Verantwortung als Staat eindeutig nicht wahr, weil sie zu wenig gegen Korruption und nichts gegen Menschenverletzungen im Ausland von Konzernen und Organisationen mit Hauptsitz in der Schweiz unternimmt.

Kampagne für die Konzernverantwortungsinitiative
Kampagne für die Konzernverantwortungsinitiative

«Als Staat hätte die Schweiz die Verantwortung, nicht-staatliche Akteurinnen und Akteure wie das IOC oder die FIFA dazu zu bringen, Menschenrechte einzuhalten.»

Was sollte die Schweiz tun?

Kirchschläger: Als Staat hätte die Schweiz die Verantwortung, nicht-staatliche Akteurinnen und Akteure wie das IOC oder die FIFA dazu zu bringen, Menschenrechte einzuhalten. Die Schweiz weiss, was das IOC und die FIFA anrichten und müsste entsprechend intervenieren.

Schweizer FC Religionen spielt gegen FC Fifa
Schweizer FC Religionen spielt gegen FC Fifa

Der Bundesrat spricht lieber von Eigenverantwortung.

Kirchschläger: Mir wäre es auch lieber, wenn Organisationen und Unternehmen selbst einsehen würden, dass sie keine Menschenrechte verletzen dürfen. Wenn das nicht klappt, hat der Staat eine rechtliche Menschenrechtsverpflichtung, dagegen aktiv etwas zu tun. So wie er auch bei anderen Rechtsverletzungen intervenieren muss. Wenn ich zum Beispiel eine Strassenverkehrsregel missachte, bekomme ich zurecht eine Busse. Wenn ein Konzern oder eine Organisation von der Schweiz aus Menschenrechtsverletzungen im Ausland begeht, passiert aber nichts. Es gibt keine Begründung, die das Wegschauen der Schweiz legitimieren könnte. Es ist für mich unverständlich, dass die Schweiz nichts unternimmt. Aus diesem Grund braucht es auch hierzulande ein Konzernverantwortungsgesetz, wie es in der EU letztes Jahr lanciert worden ist.

«Neben der Korruptionsproblematik besteht auch die Gefahr des «ethics washing».

Wie sinnvoll sind Ethikkommissionen? Sie wirken oft wie Feigenblattorganisationen und lukrative «Ruhebänkli» für pensionierte Prominente.

Kirchschläger: Das ist in der Tat ein Risiko. Diese Konzeption, Organisation und Praxis von Ethikkommissionen müssen sich so schnell wie möglich ändern. Neben der Korruptionsproblematik besteht auch die Gefahr des «ethics washing»: Das bedeutet, dass die Ethikdebatten organisiert und kultiviert werden, um Zeit zu gewinnen, um die Öffentlichkeit abzulenken, um eine wirksame Regulierung und echte politische Entscheidungen zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Ethikkommissionen müssen den Ethikern und Ethikerinnen zurückgegeben werden!

Olympia-Ringe
Olympia-Ringe

«Die Wirksamkeit von Ethikkommissionen hängt vor allem von ihrer fachlichen Expertise sowie von ihren Rechten und Kompetenzen ab.»

Wie stark kann sich Ethik aus Ihrer Sicht in der Welt des milliardenschweren Sports grundsätzlich behaupten? Doping lässt sich schliesslich nicht durch Ethikkommissionen ausrotten.

Kirchschläger: Die Wirksamkeit von Ethikkommissionen hängt vor allem von ihrer fachlichen Expertise sowie von ihren Rechten und Kompetenzen ab. Wenn eine Ethikkommission mit ethischer Expertise ausgestattet und befugt ist, sowohl präventiv Aufklärungsarbeit zu betreiben als auch bei Vergehen mit harten Sanktionen konsequent durchzugreifen, kann sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der Sport die ethischen Risiken vermeiden und sein ethisch positives Potential entfalten kann.

* Peter Kirchschläger (45) ist Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE an der Universität Luzern, Der gebürtige Wiener ist zudem beratender Experte in ethischen Fragen für nationale und internationale Organisationen und Institutionen, wie zum Beispiel für die UN, UNESCO, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Europäische Union, den Europarat, Unternehmen und NGOs.

Das Interview wurde schriftlich geführt.


Peter G. Kirchschläger, Professor Theologische Ethik und Mitglied Referendumskomitee | © Screenshot SRF
24. Januar 2023 | 05:00
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