Gianluigi Nuzzi: Der Papst ist nur in der Theorie der mächtigste Mann in der Kirche.
Schweiz

«Papst Franziskus' Null-Toleranz-Versprechen ist bloss Marketing»

Zürich, 9.10.18 (kath.ch) Geldwäscherei in Millionenhöhe, plötzlich verschwundene Mädchen und Ministranten, die jahrelang vergewaltigt werden. Über solche dunklen Realitäten des Vatikans berichtet der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi in seinem vierten Buch. Es ist unter dem Titel  «Die Erbsünde» auf Deutsch erschienen.

Francesca Trento

Das ist Ihr viertes Buch über den Vatikan. Haben drei nicht gereicht?

Gianluigi Nuzzi: Über die letzten hundert Jahre Vatikangeschichte gibt es bloss vier Publikationen von Vatikandokumenten. Meine vier Bücher. Also nein, drei haben nicht gereicht.

Was hat Sie zum letzten Buch bewogen?

Nuzzi: Ich habe einen Jungen getroffen, der sich täglich 16 Mal duschen muss. Weil er sich dreckig fühlt. Er wurde jahrelang missbraucht. Von Geistlichen. Wenn du vor so jemandem stehst, kann du nicht einfach so tun, als ob du’s nicht gehört hättest.

Im Buch geht es jedoch nicht nur um Missbrauch.

Nuzzi: Nein, es geht auch um Geld und Blut. Die Geschichte des Jungen hat mich jedoch nicht mehr losgelassen. Sie hat mich auch daran erinnert, dass ich eine gewisse Verantwortung trage, höre ich von solchen Geschichten.

War das ein christliches Verantwortungsgefühl?

Nuzzi: Ich mache meinen Job als Journalist – und das mit einer christlichen Gelassenheit.

Trotzdem: Haben Sie den Glauben bei all dem Dreck, den Sie aufgedeckt haben, nicht verloren?

Nuzzi: Wissen Sie, es gibt keinen Plan B. Ich habe nichts gegen die Kirche. Ich habe bloss etwas gegen Banditen. Und von diesen handelt das Buch. Von Banditen, die hinter Kirchenmauern andere ausbeuten, Geld waschen, mit der Mafia arbeiten und Kinder vergewaltigen.

Wieder Missbrauch – Papst Franziskus spricht sich für eine Null-Toleranz aus. Hält er sein Versprechen?

Nuzzi: Überhaupt nicht, Papst Franziskus’ Versprechen sind leer. Das ist eine Marketing-Farce.

Wie meinen Sie das?

Nuzzi: Ich erinnere mich an den Abend, als Papst Franziskus gewählt wurde. Als er auf den Balkon zum Petersplatz hinaustrat, fehlten die typisch päpstlichen Kleidungsstücke wie die roten Schuhe. Und dann begrüsste er die versammelte Menschenmenge mit einem herzlichen «Buona Sera» und bat sie sogar, für ihn zu beten. Grossartig.

Wirklich umsetzen konnte er jedoch nichts. Auch nicht das Null-Toleranz-Versprechen.

Sein Vorgänger jedoch, Papst Benedikt XVI., der im Gegensatz zu ihm eher auf der konservativen Schiene lief, hat im Kampf gegen Missbrauch extrem viel gemacht: Er hat Hunderte von pädophilen Priestern aus der Kirche verbannt, er hat die finanzielle Entschädigung der Opfer gefordert. In den USA mussten etliche Diözesen vor lauter Auszahlungen an Opfer schliessen.

Was müsste Papst Frnaziskus also tun, um Benedikts Kampf fortzuführen

Nuzzi: Zwei Dinge sollte er tun. Die Archive öffnen. Diese dunklen Türen, hinter denen Hunderte Anzeigen von Missbrauchsopfern aufbewahrt sind.

So könnte er einerseits weitermachen, was Benedikt begonnen hatte. Andererseits – und jetzt kommen wir zum zweiten Schritt – muss die Ebene gewechselt werden, auf der gegen den Missbrauch gekämpft wird.

Inwiefern?

Nuzzi: Die katholische Kirche kann man grob in drei Ebenen unterteilen: Die Pfarreien, die Diözesen und der Vatikan. Bis jetzt, wie Benedikt XVI. es getan hat, wurden die Priester überführt. Ein Kampf also auf Ebene der Pfarreien.

Aber das reicht nicht, wie man an der Realität erkennen kann. Kennen Sie den Film «Spotlight»? Im Film deckten Journalisten auf, wie pädophile Priester von einer in die nächste Pfarrrei versetzt wurden. Stellen Sie sich das vor! Vergewaltiger werden einfach auf weiteres Frischfleisch losgelassen, statt sie strafrechtlich zu verfolgen und ihres Amtes zu entheben.

Es reicht also nicht, bloss gegen die Pädophilen vorzugehen, auch die Mitwisser müssen weg.

Der Ex-Nuntius Carlo Maria Viganò hat kürzlich Papst Franziskus’ Rücktritt gefordert. Er wirft ihm vor, gewisse Kardinäle zu schützen, die von pädophilen Taten anderer gewusst haben sollen. Glauben Sie, das stimmt?

Nuzzi: Solange keine Beweise dafür bestehen, spekuliere ich nicht.

Aber: Viganò ist nicht in der Position, den Rücktritt von Papst Franziskus zu verlangen. Das war ein politischer Akt, der theologisch nicht haltbar ist. Denn: Man kann den Rücktritt eines Gottgesandten, wie es der Papst aus katholischer Sicht ist, nicht fordern.

Aus katholischer Sicht ist der Pontifex auch der mächtigste Mann der Kirche. Warum beendet er das Leid nicht?

Nuzzi: Das ist er nur in der Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Papst Franziskus ist umgeben von Menschen, die nicht die gleichen Interessen haben wie er. Sie blockieren ihn, stellen ihm Fallen, indem sie ihn zum Beispiel falsch beraten. Hinzu kommt die Schwulen-Lobby und diejenigen, die den Schwulen drohen, ihre sexuellen Präferenzen an die grosse Glocke zu hängen.

Hat Papst Franziskus also gänzlich versagt?

Nuzzi: Nein. Er ist der beste Papst für die heutige Zeit. Er hat es geschafft, die Mentalität hinter den Mauern des Vatikans in eine andere Richtung zu lenken. Schlussendlich gilt nämlich: Wenn die Menschen ihr Denken nicht verändern, nützt jede Reform nichts.

Gianluigi Nuzzi: Der Papst ist nur in der Theorie der mächtigste Mann in der Kirche. | © Oliver Sittel
9. Oktober 2018 | 19:02
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