Pfarrer Ernst Sieber
Schweiz

Obdachlosenpfarrer Ernst Sieber ist mit 91 Jahren verstorben

Zürich, 21.5.18 (kath.ch) Pfarrer Ernst Sieber ist am Samstag im Alter von 91 Jahren verstorben. Dies teilten die Familie und die Sozialwerke Pfarrer Sieber gemeinsam mit. Der evangelisch-reformierte Pfarrer hatte sich unter anderem für Obdachlose und Suchtkranke eingesetzt.

Ernst Sieber ist tot. Ob als Seelsorger, als Nationalrat oder als Kopf seines Sozialwerks: Mit kompromissloser Hingabe hat sich Ernst Sieber um Menschen am Rande der Gesellschaft gekümmert.

Kritik an Sozialarbeit

Er hat mit einem alten Eisenpflug den für Bedürftige «steinigen Zürcher Boden» umgepflügt oder sich mit anderen Symbolen in Szene gesetzt. Zudem verstand es Sieber, mit unkonventionellen Methoden auch kirchenkritische Kreise für sich und seine Visionen einzunehmen.

«Sozialarbeit bedeutet, das zu teilen, was man hat.»

Kritisch begegnete er einer Sozialhilfe, die aus der Ferne Bedürftige «verwaltet». Lieber nahm er seine Schützlinge selber bei der Hand. «Sozialarbeit bedeutet, das zu teilen, was man hat», pflegte er zu sagen.

Dass er seinen Worten Taten folgen liess, machte ihn glaubwürdig. Diese Glaubwürdigkeit warf er auch in die Waagschale, wenn es darum ging, den Behörden unbürokratische Hilfe für seine Sozialwerke abzuringen.

Knecht und Theologie-Student

Sieber wurde 1927 in Horgen im Kanton Zürich geboren. Nach Erfahrungen als Bauernknecht in der Westschweiz studierte er in den 1950er-Jahren an der Universität Zürich Theologie. Nach einem Einsatz als Vikar in den Slums von Paris übernahm er 1956 für zehn Jahre die Pfarrei in Uitikon-Waldegg im Kanton Zürich und war von 1967 bis zur Pensionierung 1992 Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinde Zürich-Altstetten.

In den frühen 1960er-Jahren begründete Sieber sein Image als Obdachlosenpfarrer. Im Zürcher «Seegfrörni»-Winter 1963 scharte er erstmals im grossen Stil Obdachlose um sich und erhielt dafür von der Stadt Zürich den Bunker am Helvetiaplatz zur Verfügung gestellt.

Anwalt der Jugend

Ernst Sieber verstand sich auch als Anwalt der Jugend. Er richtete seine Aufmerksamkeit vor allem auf gestrauchelte Jugendliche aus. 1971 gründete er die Zürcher Arbeitsgemeinschaft für Jugendprobleme und setzte damit früh ein erstes institutionelles Zeichen gegen das Drogenproblem.

Über die Jahre entstanden diverse Einrichtungen für Randständige. Erst 1988 erhielten die verschiedenen Anlauf- und Beratungsstellen mit der Gründung der «Stiftung Sozialwerke Pfarrer Ernst Sieber» ein gemeinsames Dach.

Vorwürfe ausgeräumt

Die rasant wachsenden Institutionen mit gegen 20 verschiedenen Stationen in der ganzen Schweiz und rund 200 Angestellten gerieten 1995 in ein schiefes Licht. Im Zentrum standen Vorwürfe zum Umgang mit Spendengeldern, die jedoch von einer unabhängigen Kommission ausgeräumt wurden.

«Sie können mir den guten Ruf nehmen, aber nicht die Berufung.»

Sieber begegnete der Kritik auf seine eigene Art: «Sie können mir den guten Ruf nehmen, aber nicht die Berufung», entgegnete er trotzig.

Als «Familienbetrieb» geführt

Die Turbulenzen hatten allerdings organisatorische Mängel zutage gefördert. Sieber, der seine Hauptaufgabe an vorderster Front unter den Bedürftigen sah, war das Management seines Lebenswerks aus den Händen geglitten.

Die als Familienbetrieb geführten Werke mit einem Jahresbudget von rund 20 Millionen Franken wurden danach breiter abgestützt. Ein neues Verwaltungskonzept brachte mehr Kontrolle und Transparenz.

Eine wichtige Rolle in Siebers Leben und Werk spielte seine Frau Sonja, mit der er acht Kinder grosszog. Für die Familie und sein Hobby, die Malerei, hatte er in den letzten Jahren vor seinem Tod etwas mehr Zeit.

Kampf für Drogendorf

Wie sehr sich Sieber als Seelsorger an der Front verpflichtet fühlte, zeigte sich auch in seinem Engagement als EVP-Nationalrat von 1991 bis 1995. Mit der breiten Unterstützung seiner Motion für ein Bundes-Drogen-Selbsthilfedorf feierte er 1995 seinen grössten Erfolg auf politischem Parkett.

Für eine zweite Amtszeit trat er trotz guter Wahlchancen nicht mehr an, weil er sich wieder ganz seinen Sozialprojekten widmen wollte. Das politische Engagement war ihm – nach dem Vorbild der Befreiungstheologie – ein Gebot der Stunde gewesen.

Nach einem Autounfall 2012 war es ruhig geworden um Pfarrer Sieber. Mit wachem Interesse verfolgte er aber weiterhin das Geschehen in den Einrichtungen. Bis zum Schluss kümmerte er sich persönlich um sein Lieblingsprojekt – den «Pfuusbus», einen alten Sattelschlepper, der im Winter 40 Schlafplätze für Obdachlose bietet.

Weihnachtsfeier im Nobelhotel

Fast schon Kultstatus erreichten seine Weihnachtsfeiern mit Randständigen im Zürcher Nobelhotel «Marriott». Einmal im Jahr mit Obdachlosen, seinen Freunden, an weiss gedeckten Tischen mit Silberbesteck zu tafeln, war für ihn jeweils «eine Sternstunde».

Erst im vergangenen November war Sieber von der Zeitschrift «Beobachter» mit dem «Lifetime Award» ausgezeichnet worden, den er persönlich entgegen nahm. Sein kompromissloses Engagement für die Randständigen wurde auch von der Stadt Zürich gewürdigt: Als Anerkennung für seine Verdienste überreichte Stadtpräsidentin Corinne Mauch dem Obdachlosenpfarrer 2013 das Staatssiegel, eine silberne Plakette mit Stadtheiligen.

Die Beerdigung wird im engsten Familienkreis stattfinden. Damit die Öffentlichkeit von Pfarrer Sieber Abschied nehmen kann, wird eine Erinnerungsfeier stattfinden, teilen Familie und die Sozialwerke mit. Zeitpunkt und Ort stehen noch nicht fest und würden rechtzeitig bekanntgegeben. (ref.ch/ms)

O-Ton Ernst Sieber anlässlich seines 90. Geburtstags im Beitrag von Radio SRF (ab Minute 1:36)

Pfarrer Ernst Sieber | © Screenshot www.swsieber.ch
21. Mai 2018 | 09:58
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