Michel Racloz, neuer Bistumsvertreter der Waadt
Schweiz

Neuer Waadtländer Bischofsvertreter Michel Racloz: «Wir sind missionarische Jünger»

Michel Racloz ist zum «bischöflichen Vertreter» für die Diözesanregion Waadt gewählt worden. Er folgt damit auf Bischofsvikar Christophe Godel. Er wolle «Zeuge und Garant der Brüderlichkeit» im bevölkerungsstärksten Kanton der Westschweiz* sein, sagt Racloz gegenüber cath.ch.

Grégory Roth, cath.ch / Adaption: Georges Scherrer

Bischof Charles Morerod hatte mehrere Laien in der Bistumsleitung eingesetzt. Sie treten an die Stelle der bisherigen Bischofsvikare, also von Priestern. Welche Herausforderungen sind mit diesem Wechsel verbunden? Michel Racloz gibt Antwort.

«Die Realität der Waadt liegt mir am Herzen.»

Gibt es Besonderheiten in der Waadt, die mit Ihrer Mission verbunden sind?

Michel Racloz: Die Realität des Kantons Waadt liegt mir sehr am Herzen. Die Herausforderungen der bischöflichen Vertreter sind in jeder Diözesanregion anders. Seit 2012 stehe ich im Dienst des Vikariats der katholischen Kirche im Kanton Waadt (ECVD). Dort habe ich gelernt, mit institutionellen Beziehungen umzugehen. Erfahrungen sammelte ich auch in der Ökumene und den interreligiösen Beziehungen. Insbesondere lernte ich die Seelsorgeeinsätze in den Bereichen Erziehung, Bildung, Gesundheit und Solidarität organisieren.

Ich folgte dem Ruf des Bischofs mit einem Bewusstsein für die Probleme innerhalb der Kirche, aber auch für die Herausforderungen, die mit den anderen christlichen Kirchen im Kanton zu bewältigen sind.

«Ich möchte eine Kultur des Vertrauens fördern.»

Wie beurteilen Sie Ihre neue Verantwortung?

Racloz: Zuallererst möchte ich die Kultur der Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens zwischen getauften Männern und Frauen fördern und die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitenden in der Seelsorge stärken, seien es geweihte Amtsträger oder Laien. Ich möchte auch die Auswirkungen der Pandemie auf das Leben der Menschen so weit wie möglich berücksichtigen.

Wie können wir als Kirche zu einem Ausweg aus der Krise beitragen und helfen, eine gerechtere und solidarischere Welt wieder aufzubauen? Andere Impulse des Papstes liegen mir am Herzen: die Achtung vor der Schöpfung, der Aufruf zur universellen Brüderlichkeit, die Präsenz für die Schwächsten, um nur einige zu nennen.

«Jeder Bischofsvikar hat andere Akzente gesetzt.»

Wie werden die Aufgaben des Bischofsvikars an den Bischofsvertreter übertragen?

Racloz: In den 26 Jahren, in denen ich im Dienst der Kirche in der Waadt stehe, habe ich einen Weihbischof und vier Priester gekannt, die das Amt des Bischofsvikars innehatten. Jeder von ihnen hat andere Akzente gesetzt oder seine Funktion anders interpretiert. Sie entschieden entsprechend den jeweiligen Realitäten vor Ort, die sich stark änderten, aber auch nach ihren persönlichen pastoraler Überzeugungen.

«Wir sind Laien mit eigenen Charismen.»

Mit anderen Worten: Dass sie ordinierte Amtsträger waren, führte nicht dazu, dass sie auf dieselbe Weise handelten. Der Unterschied zwischen einem ordinierten Amt und meiner Aufgabe ist für mich und die anderen ganz klar. Wir sind Laien mit eigenen Charismen, im Dienst eines uns vom Bischof anvertrauten Amtes. Wir sind also «missionarische Jünger», wie Papst Franziskus es ausdrückt. Wir haben eine spezifische Verantwortung in einer Ortskirche.

Dennoch gibt es Aufgaben, die dem Bischofsvikar vorbehalten sind.

Racloz: Ja, jene Aufgaben, die zum ordinierten Amt gehören. Dazu zählen etwa Firmungen oder die Einsetzung von Pfarrern. Einige dieser Aufgaben werden von Bischöfen, andere von Dekanatspfarrern übernommen. Dies ist eine der Folgen der Ernennung von Laien auf der Ebene der Regionen. Das wird bistumsweit übereinstimmend aufgebaut.

Wertet Bischof Morerod mit der Einsetzung von Laien deren Rolle auf?

Racloz: Ich sehe es eher als ein Zeichen des Vertrauens und der Anerkennung von Menschen, die als geeignet befunden wurden, diesen Dienst auf der Ebene der Diözesanregionen auszuüben.

«Ob Laien oder Geistliche: Es geht um Führung.»

Was antworten Sie jenen, die eine Klerikalisierung der Laien befürchten?

Racloz: Ob es sich um einen Laien oder Geistlichen handelt: In beiden Fällen geht es um Führung. Ich werde dafür sorgen, dass wir alle gemeinsam im Dienst der christlichen Hoffnung für die Menschen stehen. Die heutige Welt ist zunehmend komplexer und instabiler geworden. Um richtig entscheiden zu können, brauchen wir die Vielfalt der Ansichten, Charismen und Fähigkeiten. Wir müssen uns um einen Tisch versammeln.

Das ist auch eine Möglichkeit, bestimmte Formen von Missbrauch oder Ausartung zu vermeiden. Ich will auf allen Ebenen transversaler und kollegialer arbeiten. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit vielen Partnern.

«Ich träume von einer gastfreundlichen und interkulturellen Kirche.»

Haben Sie schon konkrete Projekte für Ihre neue Aufgabe?

Racloz: Ich träume von der Entwicklung einer gastfreundlichen und interkulturellen Kirche, die Räume der Spiritualität und Begleitung in aller Einfachheit anbietet, um unsere Zeitgenossen auf der Suche nach Sinn oder in ihrer Verzweiflung zu erreichen. Ich möchte in Anlehnung an die Worte von Papst Franziskus die richtigen Prozesse anstossen, welche die Vielfalt der Menschen einschliessen.

Bischof Charles Morerod
Bischof Charles Morerod

Im Bistum wollen wir dieses Jahr einen synodalen Prozess beginnen, den der Papst im nächsten Oktober starten wird. Wir können die meisten praktizierenden Katholiken über die Pfarreien erreichen. Es gibt aber auch Katholiken, die etwas weiter von unserer Kirche entfernt sind, vor allem auf die 40 Prozent der Waadtländer Bevölkerung, die sagen, dass sie keine Religionszugehörigkeit haben.

Es wird eine echte Herausforderung sein herauszufinden, welche neuen pastoralen Initiativen gestartet werden können. Bischof Morerod hat die Idee, dass neue regionale Pole neue Initiativen ermöglichen könnten.

Was sind diese Pole?

Racloz: In der Waadt haben wir bereits sehr grosse Pfarreien; es handelt sich also hier eher um «thematische» Zentren. Zum Beispiel die Basilika Notre-Dame im Zentrum der Stadt Lausanne und die Pfarrei Sainte-Thérèse, die von der Gemeinschaft der Seligpreisungen geleitet wird. Diese ziehen junge Leute von ausserhalb der Pfarrei an. Oder die polnische Mission von Villeneuve: Sie zieht die Polen aus der gesamten Region an.

Eine Adoray-Gruppe versammelt sich in der Kirche Sainte-Therèse in Lausanne
Eine Adoray-Gruppe versammelt sich in der Kirche Sainte-Therèse in Lausanne

«Die Begleitung von Priester ist ein etwas heikler Punkt.»

Ist die Begleitung von Priestern in der Waadt Teil Ihres Auftrags?

Racloz: Ich habe bereits in der Vergangenheit Priester begleitet und dabei zwischen dem mir anvertrauten Dienst und dem priesterlichen Leben unterschieden. Als Vertreter des Bischofs ist dies vielleicht ein etwas heikler Punkt. Einige Priester haben mir bereits ihrer Sorge darüber geäussert, dass sie fortan begleitet werden sollen.

Eine meiner Aufgaben besteht, im Dialog mit unseren Bischöfen und Pfarrmoderatoren zu stehen und die richtigen Vorkehrungen zu treffen, damit die Priester in ihrem Dienst glücklich sind. Viele Priester haben mir viel gegeben, vor allem ihr Vertrauen. Ich bin durch sie gewachsen. Ich möchte sie unterstützen, damit sie ihren wesentlichen Dienst für unsere Kirche leben können.

«Eine meiner Aufgaben ist eine ‘strategische’ Vision zu haben.»

Der Vertreter des Bischofs steht also auf halbem Weg zwischen Feldarbeit und dem Bischof.

Racloz: Eine meiner Aufgaben besteht darin, eine institutionelle, weitsichtige und «strategische» Vision für die Realisierung der verschiedenen Aufgaben der Kirche zu haben. Ich will diese Vision im Dialog mit den Akteuren der Institutionen vor Ort und im Dialog mit dem Bischof und dem bischöflichen Rat sowie der römisch-katholischen kirchlichen Vereinigung des Kantons Waadt und anderen Gremien entwickeln. Gemeinsam tragen wir die Verantwortung für den Auftrag der Kirche und auch für die getauften Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Das gilt ebenfalls für die mehr als 260 Mitarbeitenden in der Kirche Waadt, die über ein Jahresbudget von etwa 29 Millionen Franken verfügt.  

 *Die Waadt hat mehr als 800’000 Einwohner, darunter 215’000 Katholiken.

Michel Racloz, neuer Bistumsvertreter der Waadt | © Grégory Roth
30. Juli 2021 | 17:42
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Sohn von Missionarseltern in Angola

Michel Racloz ist als Sohn von Missionarseltern in einer evangelischen Kirche 1969 in Angola geboren. Er kam 1970 nach Lausanne und wuchs in einer christlichen, ökumenischen Familie auf, die sich in der Diakonie engagierte. Der leidenschaftliche Fussball- und Schachspieler studierte an der Universität Sozial- und Erziehungswissenschaften und engagierte sich gleichzeitig für Menschen auf der Strasse. Er engagierte sich als soziokultureller Animateur in Renens VD. Er wurde katholisch und heiratete 1991.

Ab 1996 studierte er Theologie in Lyon. Vater von drei Kindern, übernahm er 2006 die Verantwortung für die Solidaritätsabteilung der katholischen Kirche in der Waadt. Nachdem er ein Certificate of Advanced Studies in Ethik der Sozialarbeit erworben hatte, wurde er 2012 ins Vikariatsteam berufen. 2018 erwarb er ein Diplom in Leadership. 2021 wurde er von Bischof Charles Morerod zum Vertreter des Bischofs ernannt und trat damit die Nachfolge von Bischofsvikar Christophe Godel an. (cath.ch/gs)