Katja Wißmiller
Schweiz

«Neue Ideen entstehen nur, wenn Raum dafür da ist»

Luzern, 24.7.16 (kath.ch) Sie ist eine Verfechterin von Pausen. Deshalb ist für Katja Wißmiller das Nichts-Tun in ihren Ferien sehr wichtig. Weshalb dies nicht sinnlos ist, und wie sie mit den Anforderungen von Beruf und Familie umgeht, erzählt die Theologin und Mutter von drei Töchtern im Interview mit kath.ch. Ein Beitrag zur Sommerserie «Katholikinnen und Katholiken erzählen von ihren Ferien».

Sylvia Stam

Wohin fahren Sie dieses Jahr in die Ferien?

Katja Wißmiller: Mein Partner, zwei von drei Töchtern und ich fliegen nach Sardinien. Im letzten Jahr wohnte eine Schülerin vom Harfenensemble aus Cagliari in Sardinien bei uns. Sie brachte wunderbare «Biscotti» (Biscuits, d. Red.) mit und zeigte Bilder aus ihrer Heimat. Was für ein Paradies! «Ja», sagte sie, «und total langweilig». Und langweilig ist genau das, was wir suchen.

Was machen Sie auf Sardinien?

Wißmiller: Wir mieten einen Camper und ein Zelt und dann geht der Weg der Nase nach. Die eine Tochter ist dreizehn, die andere vier Jahre alt. Wir haben also sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Unsere «Grosse» (16) ist dieses Jahr nicht dabei, sondern im Sprachaufenthalt in Frankreich.

Was für Bedürfnisse haben denn die vier, die nach Sardinien fahren?

Wißmiller: Die mittlere Tochter würde gerne reiten und lesen. Mein Partner möchte möglichst viel Velo fahren und lesen. Ich möchte eigentlich nur dasitzen, schauen und nichts tun. Das widerspricht sehr den Wünschen der jüngsten Tochter, die äusserst viel Energie hat und unterhalten werden möchte. «Gelati» (Glacé, d. Red.) essen möchten wir aber alle.

Ferien bedeuten für Sie also vor allem sitzen und nichts tun?

Wißmiller: Ich bin eine grosse Verfechterin von Lücken und Pausen, von freiem Platz und Nichts-Tun. Das ist für mich nicht sinnlos. Neue Ideen können nur entstehen, wenn Raum dafür da ist.  Ich glaube, dass vieles im Leben nicht funktioniert, weil kein Platz dafür gemacht wird. Meistens wäre es aber möglich.  Mit Urlaub verbinde ich, bewusst zu schauen, wo ich mental Platz machen kann, und versuche, das dann auch in den Alltag mitzunehmen.

Die Ohrstöpsel helfen mir dabei, mir selber zuzuhören.

Dadurch habe ich mehr Platz für Meinungen von anderen, die vielleicht nicht gleich denken wie ich. Es kann im Kopf auch Raum geben für Gründe und festgefahrene Muster können in Bewegung geraten.

Sie nehmen Ohrstöpsel und eine Sonnenbrille mit. Helfen Ihnen diese Dinge, solchen Platz zu schaffen?

Wißmiller: Die Ohrstöpsel helfen mir dabei, mir selber zuzuhören. Die Bibelpastorale Arbeitsstelle bietet einen Kurs an, wie man biblische Geschichten auf eigene Weise, in eigener «Mund-Art» erzählen kann. Ich nehme mich selber beim Erzählen solcher Geschichten auf und höre mir das dann an. So merke ich, wo die Geschichte noch nicht stimmt.

Irgendwie mache ich so Platz für etwas von mir: Ich höre mir mal zu, wie ich eigentlich so rede und frage mich dann, ob das wirklich das ist, was ich von dieser oder jener biblischen Geschichte erzählen möchte – oder ob es Geschwätz ist.

Und die Sonnenbrille?

Wißmiller: Sie ist ein Erbstück meiner Mutter, ein Original aus den 70er- Jahren. Ich finde sie einfach cool und sie hat ein sehr weites Blickfeld. Ich mag es, wenn die Ränder den Blick nicht stören. Mit der Brille nehme ich Abstand, weite den Blick und setze den Fokus neu.

Sie twittern und posten beruflich täglich unter dem Profilnamen «Maria von Magdala». Wird diese während Ihren Ferien schweigen?

Wißmiller: Ja, sie macht auch Ferien! Denn Maria von Magdala ist quasi Mitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle. Das ganze Team macht Ferien. Wir arbeiten zusammen und machen auch das Nichtstun gleichzeitig.

Sie sind sehr vielfältig tätig, sei es als Mutter oder beruflich. Was bedeutet Ihnen Arbeit?

Wißmiller: Ich freue mich, wenn ich bei dem, was ich mache, das Gefühl habe, «das kann ich, dafür bin ich ausgebildet oder das mache ich gerne!» Die verschiedenen Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen, ist die Arbeit, die wirklich Kraft und Nerven kostet.

Gelingt Ihnen das?

Wißmiller: (lacht) Nein, gar nicht! Es gelingt nur, wenn ich damit umgehen kann, dass ich nicht fertig werde. Meist merke ich im Nachhinein, wie vieles doch möglich war. Aber wenn ich drinstecke, muss ich immer wieder zugeben: Nein, die Zeit reicht nicht. Wenn jemand fragt, wie ich das schaffe, dann geht er oder sie davon aus, dass ich die Arbeiten zu Ende bringen kann.  Familienbetreuung hat jedoch kein Ende. Die Wohnung ist nie aufgeräumt und wenn das eine «Bibel heute»-Heft fertig ist, läuft längst die Planung für die nächsten zwei Nummern.

Das Abschliessende, das liegt in Gottes Hand.

Man schafft das also nur, wenn man Arbeiten unfertig stehen lassen kann.

Wißmiller: Man muss diesen ständigen Prozess aushalten. Dieser Prozess entspricht auch meinem Bild von Schöpfung, die nie aufhört. Wenn man biblische Geschichten anschaut, geht es oft um Schöpfung, nicht nur im Buch Genesis: Immer ist Chaos, Krieg oder Streit, und dann gibt es eine Wendung hin zu einer neuen Art, das Zusammenleben zu gestalten, Neues zu schaffen. So versuche ich auch meinen Alltag in Familie und Beruf zu betrachten. Das Abschliessende, das liegt in Gottes Hand.

Spielt Religion in Ihren Ferien eine Rolle?

Wißmiller: Am Meer fühle ich mich stärker dem Gedanken verbunden, dass ich ein Geschöpf bin. Da werde ich sitzen und einfach dankbar sein. Ich gehe auch gern in Kapellen und schaue mir Friedhöfe an. Ich mag es, wenn mir jemand, der vor Ort lebt, etwas dazu erzählt. Von wissenschaftlichen Schriften, die ich von Berufs wegen lese, nehme ich in den Ferien bewusst Abstand.

Was hoffen Sie, aus den Ferien in den Alltag mitzunehmen?

Wißmiller: Wenn ich das jetzt schon vorwegnehme, dann mache ich nicht wirklich Platz dafür! Ich freue mich aber darauf, Zeit mit meinen Liebsten zu verbringen, zu spielen, einander zuzuhören oder sich einfach anzuschauen. Das geschieht im Alltag manchmal nur zwischen Tür und Angel. Wenn in den Ferien Zeit für diese Beziehungen ist, dann halte ich es hinterher wieder besser aus, wenn man sich ein paar Tage nicht sieht oder nicht weiss, wo er oder sie gerade steht.

Die katholische Theologin Katja Wißmiller ist Fachmitarbeiterin und Referentin für das Bibelwerk Schweiz auf der Bibelpastoralen Arbeitsstelle. Sie spricht monatlich das «Wort zum Sonntag» beim Schweizer Fernsehen SRF und ist im Redaktionskreis der Zeitschrift «Bibel heute» tätig. Sie lebt mit ihrem Partner und ihren drei Töchtern in Luzern.

Katja Wißmiller | © Sylvia Stam
24. Juli 2016 | 06:15
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