Versöhnungsfeier in Seewis GR am 12. April 2022: Der Churer Bischof Joseph Bonnemain umarmt spontan den reformierten Dekan Thomas Müller.
Schweiz

Nach der Predigt ermordet: Der Heilige Fidelis bleibt im Prättigau eine umstrittene Figur

Er kam mit österreichischen Soldaten ins Bündnerland und wollte die Menschen zum katholischen Glauben zurückführen. Das ging schief: Fidelis von Sigmaringen (1578–1622) bezahlte mit dem Leben. Heute jährt sich sein Tod zum 400. Mal. Bischof Joseph Bonnemain feiert eine Messe in Sigmaringen.

Barbara Ludwig

Das Dorf Seewis liegt im Bündner Tal Prättigau, dessen Bewohner im Verlauf des 16. Jahrhunderts den reformierten Glauben annahmen. Seewis ist auch der Ort, an dem der katholische Ordensmann Fidelis von Sigmaringen am 24. April 1622 in der Pfarrkirche eine Predigt hielt. Sein Ziel: Die reformierten Bündner zu einer Rückkehr zum katholischen Glauben zu bewegen. 1621 waren österreichische Truppen ins Land eingefallen, die Prättigauer wieder zu habsburgischen Untertanen geworden, die nun nicht mehr reformiert sein durften.

Ein Schuss auf die Kanzel?

Der Kapuziner überlebte diesen Tag nicht: «Die Geschichte erzählt von einem Schuss auf die Kanzel, was Fidelis dazu bewegte, die Kirche durch den Hintereingang zu verlassen. Nach einigen Metern wurde er eingeholt und musste sterben. An dem Ort liegt heute der Fidelis-Brunnen», sagt Lars Gschwend. Gschwend ist Gemeindekoordinator der katholischen Pfarrei Vorder- und Mittelprättigau.

Statue des Heiligen Fidelis
Statue des Heiligen Fidelis

Wer genau ihn umgebracht hat, ist laut Lars Gschwend ungewiss. Es gebe verschiedene Überlieferungen. «Was wir aber mit Sicherheit sagen können: Fidelis wurde nur dank seines Todes in Seewis zum Märtyrer und Heiligen.» Es sei «selbsterklärend», dass in vielen katholischen Biographien von «wutentbrannten Rebellen oder blutdürstigen Bestien» gesprochen werde.

«Sein Auftrag war auch politisch. Österreich-Habsburg wollte das Gebiet wieder unter seine Kontrolle bringen.»

Im Prättigau, wo die Katholiken noch heute in der Diaspora leben, werde der Heilige aber nicht verehrt, sagt Gschwend. Es gebe auch keine Bräuche im Zusammenhang mit ihm. «Fidelis ist hierzulande noch immer eine umstrittene Persönlichkeit.» Der Ordensmann sei der Überzeugung gewesen, die Menschen durch die Rückkehr zum katholischen Glauben auch «von der Hölle zu bewahren».

Lars Gschwend, Gemeindekoordinator der katholischen Pfarrei Vorder- und Mittelprättigäu bei der Versöhnungsfeier in Seewis GR am 12. April 2022.
Lars Gschwend, Gemeindekoordinator der katholischen Pfarrei Vorder- und Mittelprättigäu bei der Versöhnungsfeier in Seewis GR am 12. April 2022.

Der Gemeindekoordinator versteht, dass sich die Bündner damals gegen die Missionierungsversuche von Fidelis wehrten: «Sein Auftrag war eben auch politisch. Österreich-Habsburg wollte das Gebiet wieder unter seine Kontrolle bringen.»

Katholiken planten grosse Wallfahrtskirche

Noch vor etwas mehr als 100 Jahren gab es laut Gschwend in Seewis Streit zwischen Katholiken und Reformierten wegen Fidelis. Um das Jahr 1900 hätten die Katholiken eine Wallfahrtsstätte errichten wollen und unter der Hand ein Stück Land im Dorf gekauft. «Geplant war eine grosse Kirche, direkt unterhalb der reformierten Kirche.» Wäre sie gebaut worden, wäre das durch die reformierte Kirche geprägte Dorfbild verändert worden. «So weit kam es dann aber nicht. Die Katholiken bauten eine Kirche im Tal», berichtet Gschwend.

Aus der Geschichte lernen

Die Zeiten haben sich gewandelt. Das Jubiläum zum 400. Todestag von Fidelis begehen Katholiken und Reformierte gemeinsam. Für Gschwend ist dies «das beste Beispiel, dass die Ökumene heute gut funktioniert». Das Organisationsteam in Seewis sei breit aufgestellt. Involviert sind die beiden Konfessionen, die politische Gemeinde, der Kurverein sowie der regionale Tourismusverein. «Wir können aus der Geschichte lernen. Wir verehren Fidelis nicht, sondern arbeiten anhand seiner Person die Geschichte auf», sagt Gschwend.

Obelisk zu Ehren der (reformierten) Ahnen, die 1622 für die Freiheit kämpften, errichtet 1902.
Obelisk zu Ehren der (reformierten) Ahnen, die 1622 für die Freiheit kämpften, errichtet 1902.

Die Jubiläumsfeierlichkeiten haben bereits vor dem 24. April begonnen. Und zwar in Seewis mit einem Versöhnungsgottesdienst in der reformierten Kirche. An dieser nahm auch der Bischof von Chur teil, Joseph Bonnemain.

Festgottesdienste am 24. April in Sigmaringen und Feldkirch

Am Todestag von Fidelis seien in Seewis bewusst keine Aktivitäten geplant, sagt Gschwend. Denn an diesem Tag finden im deutschen Sigmaringen, dem Geburtsort von Fidelis, und im österreichischen Feldkirch, seinem Wirkungsort, Festgottesdienste statt. Der Kapuzinerpater ist Patron beider Städte. In Sigmaringen wird Joseph Bonnemain dem Festgottesdienst vorstehen.

«Mich beeindruckt sein Sinn für Gerechtigkeit»

Aus Sicht von Lars Gschwend hatte der Heilige Fidelis Eigenschaften, die auch heute überzeugen. «Mich beeindruckt sein Sinn für Gerechtigkeit», sagt Gschwend. Als Anwalt sei es Fidelis wichtig gewesen, dass die Gerechtigkeit siegt. Aus Enttäuschung darüber, dass am Gericht oftmals das Geld den Ausschlag gab, habe sich Markus Roy – so der Taufname von Fidelis – schliesslich neu orientiert. 

Der Sohn des Bürgermeisters von Sigmaringen liess sich 1612 im Alter von 34 Jahren zum Priester weihen und trat am Tag darauf in den Kapuzinerorden ein. Dass Fidelis seinen Weg so konsequent verfolgte, bewundert Gschwend: «Heute lassen sich viele immer wieder umstimmen und verfolgen nicht mehr ihre Ziele. Fidelis stand für Gerechtigkeit und hat dafür auch hart gearbeitet.» (bal)

Ausstellungen und ein Musical

In Sigmaringen, Feldkirch und in der Schweiz finden zahlreiche Aktivitäten zum Fidelis-Jahr statt. So gibt es unter anderem eine Wanderausstellung mit dem Titel «Täler in Flammen». Nach einer ersten Station in Seewis GR (bis 22. April) reist sie in weitere Ortschaften in der Schweiz und in Österreich. In Seewis wird auch eine Theatralische Dorfführung angeboten. Regie führt der Schweizer Schauspieler Andrea Zogg. In Feldkirch gibt es die Ausstellung «Der Fall Fidelis» zu besichtigen (bis 20. November). Einen Höhepunkt bildet schliesslich «Fidelis – das Musical». Aufgeführt wird es am 2. Juli in Feldkirch. Die Musik komponiert hat der Jazzpianist Wolfgang Klockewitz. Das Libretto dazu stammt vom deutschen Franziskaner Helmut Schlegel. (bal)


Versöhnungsfeier in Seewis GR am 12. April 2022: Der Churer Bischof Joseph Bonnemain umarmt spontan den reformierten Dekan Thomas Müller. | © Mayk Wendt
24. April 2022 | 09:28
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