Einzug der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exerzitien in die Kathedrale St. Gallen
Schweiz

Nach den Grossen Exerzitien: «Gott ist eine tägliche Überraschung»

Über hundert Menschen haben im Jubiläumsjahr des Bistums St. Gallen an den sechsmonatigen ignatianischen Exerzitien teilgenommen. Hier erzählen sieben Personen von ihren Erfahrungen.

Vera Rüttimann

Unter festlichen Orgelklängen ziehen Frauen und Männer am Pfingstmontag durch den Mittelgang der Kathedrale St. Gallen. Sie alle haben an den «Grossen Exerzitien im Alltag» teilgenommen. Diese fanden von November 2021 bis Pfingsten 2022 statt. Einmal im Monat tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der geistlichen Begleitung sowie in der Gruppe aus.

Hildegard Aepli von der Abteilung Spiritualität und Bildung im Bistum St. Gallen hat speziell für die Grossen Exerzitien ein Begleitheft erstellt. Für viele waren sie ein Aufbruch in Form einer inneren Besinnung und Neuorientierung. 

«Die Gebetsecke ist ein wichtiger Ort im Alltag geworden»

Jeannette Imholz
Jeannette Imholz

Jeannette Imholz: Wenn man seine Ruhe nicht in sich selbst findet, ist es zwecklos, sie an einem anderen Ort zu suchen. Wie ich meine persönliche Ruhe gefunden habe? Während meiner Exerzitien im Alltag habe ich mir einen Platz im Zimmer eingerichtet. Auf einem kleinen Möbel liegt die Bibel, umrahmt von einer Kerze und einer Marienstatue. Darüber hängt ein Kreuz. Diese Gebetsecke ist für mich ein wichtiger Ort im Alltag geworden. Hier finde ich meine tiefe innere Ruhe und Zufriedenheit. Mein Ort der Stille. Hier beginnt und endet mein Tag. Manchmal schaue ich nur ein Bild an. Oft sitze ich aber nur da und lasse die Stille in mich wirken. Hier pflege ich meine Beziehung zu Gott.

«Das gibt meinem Tag eine Struktur»

Hedi Fussenegger
Hedi Fussenegger

Hedi Fussenegger: Die Exerzitien waren für mich eine neue Einübung im Glauben. Ich habe eine überfliessende Phantasie und gerate immer wieder an den Punkt, wo nichts mehr geht. Aber immer stand in meinem Leben die Frage: Was hat Gott sich erdacht, als er mich erschuf? Wie sieht Gott mich und wohin will er mich führen? Nach dem Tod meines Mannes habe ich die Exerzitien im Alltag entdeckt. Ich kann sagen: Den Glauben auf diese Weise neu einzuüben, mit anderen auszutauschen, lernen, die Bibel zu betrachten, das gibt meinem Tag eine Struktur. Das Exerzitien-Buch ist eine gute Schule, mit dem Evangelium unterwegs zu sein. Gott ist meine tägliche Überraschung.

«In einer schwierigen Zeit begleitet»

Simone: Für mich war die geistliche Begleitung während dieser Exerzitien sehr wertvoll. Wir haben über die Texte der Exerzitien gesprochen und darüber, was die Bibelstellen für mein Leben bedeuten. Die Begleiterin hat mir wertschätzend zugehört und von eigenen Erfahrungen erzählt und mich in einer schwierigen Zeit begleitet.

«Eine neue Gewohnheit»

Peter
Peter

Peter: Ich habe durch die Exerzitien im Alltag einige Gewohnheiten für mich entdeckt. Ich habe mir in dieser Zeit einen festen Platz und eine feste Zeit einrichten können. Jeden Morgen nach dem Aufstehen waren 20 bis 30 Minuten Meditation und Stille eingeplant. Dieser Rhythmus tat mir gut. Er gab mir Boden für den kommenden Tag. Neu war für mich, dass sich dieser Vorsatz und Entscheid zu einer Gewohnheit gewandelt hat. Eine sehr wohltuende, die jetzt ganz zu mir gehört. Eine, die mich trägt und oft überrascht und beflügelt. Die Gruppentreffen liessen mich erfahren, dass ich nicht allein unterwegs bin. Auch in meiner persönlichen Stille habe ich mich mit den anderen Teilnehmern der Gruppe immer wieder bewusst verbunden. Ich habe zu Hause meditiert, und doch war ich nicht allein.

«Ein kostbarer Moment»

Martin Brun, Stans
Martin Brun, Stans

Martin Brun, Stans: In meinem Leben war es der richtige Moment, als die Anfrage zum Mitmachen in einer Gruppe kam. Exerzitien waren für mich nichts Neues. Vor 30-wöchigen Exerzitien hatte ich allerdings schon Respekt. Zu Beginn kam es mir vor wie eine Bergtour, wo man noch nicht wusste, ob die Kräfte bis zum Ziel reichen. Deshalb war es wichtig und wertvoll, dass man einen solchen Weg mit einer Gemeinschaft gehen konnte. Alle drei Wochen haben wir uns zum Austausch getroffen.

Es ist mir ohne grosse Anstrengungen gelungen, diese Exerzitien in meinen Berufsalltag als Zeichnungslehrer einzubauen. Mein Alltag ist wirklich voll. Gerade diese Exerzitien aber haben mir geholfen, diesen strengen Alltag zu bewältigen und den Tag zu strukturieren. Es war für mich stets ein kostbarer Moment am Morgen, in der Stille zu sein und mich dann den kontemplativen Texten zu widmen. Durch den Austausch mit der Gruppe wurde ich auch angeregt, gewisse Gedanken aufzuschreiben.

Ich habe drei erwachsene Kinder. Die haben meine Exerzitien manchmal etwas kritisch beäugt. Manchmal haben sie auch gelacht. Alle in meiner Familie wissen aber, dass mir das Kraft gibt und dass es etwas mit mir bewirkt. Diese Exerzitien haben mir eine intensivere Freundschaft zu Gott geschenkt. Zudem habe ich durch diese Exerzitien noch mehr Vertrauen und Ermutigung für meine Berufung als Lehrer erhalten.

«Es braucht ein Dranbleiben»

Martina Fäh, Zürich
Martina Fäh, Zürich

Martina Fäh, Zürich: Ich gehöre der Gemeinschaft christlichen Lebens (GCL) an. Wir sind eine ignatianische Laiengemeinschaft. Wir haben an diesen Exerzitien als schon bestehende Gruppe teilgenommen. In meiner Gruppe ergaben sich Fragen wie: Was war in den vergangenen Wochen für mich wichtig? Und auch: Ergaben sich während der Exerzitien Schwierigkeiten? Es gab beispielsweise welche in der Gruppe, die mit den vorgegebenen Fragen Mühe hatten. Sie hatten wenig mit ihrer gegenwärtigen Lebenssituation zu tun. Für mich war es wichtig, dass ich mit den Texten frei umgehen konnte. Ich wollte mich nicht unter Druck setzen lassen.  

Die grossen Exerzitien haben mir viel gebracht: Für mich war wichtig, dass mich ein Text nicht nur bei der Meditation am Morgen begleitet, sondern durch den ganzen Tag. Es braucht bei bestimmten Texten manchmal wirklich ein Dran-Bleiben, damit wir sie in uns aufnehmen und sie nicht einfach im Alltag versanden.

«Wo stehe ich?»

Esther Menge, Chur
Esther Menge, Chur

Esther Menge, Chur: Ich fand es bereichernd, mich mit anderen darüber auszutauschen, was die Texte mit einem innerlich gemacht haben. Für uns als Gruppe kann ich sagen: Wir gingen zusammen einen Weg. Konkret heisst das: offen und ehrlich zu dem stehen, was ist. Auch wenn man Mühe hatte mit bestimmten Texten.

Die Krise der Kirche war beim Austausch in der Gruppe kein Thema. Vielmehr ging es um Fragen wie: Wo stehe ich? Was ist meine Berufung? Oder: Wie möchte ich meinen weiteren Weg gestalten? In unserer Gruppe werden wir weiter engagiert sein, Glaube und Alltag miteinander zu verbinden.


Einzug der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exerzitien in die Kathedrale St. Gallen | © Vera Rüttimann
7. Juni 2022 | 12:22
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