Monika Schmid
Porträt

Monika Schmid feiert Eucharistie, sieht sich aber nicht als katholische Priesterin

Kindergärtnerin, Mann, Familie: So hatte sich Monika Schmid (65) ihr Leben vorgestellt. Doch es kam anders. Sie blieb Single – und wurde eine der bekanntesten Theologinnen der Schweiz. Sie ist vom Selbstmitleid mancher pastoralen Mitarbeitenden genervt. Ihr Credo: «Einfach machen!»

Raphael Rauch

Bei Monika Schmid sieht Bischof Vitus Huonder rot. Die «Wort zum Sonntag»-Sprecherin trägt eine rote Damenjacke mit Reverskragen, als sie Vertuschung und Doppelmoral in der katholischen Kirche anprangert. Und das an Maria Lichtmess!

«Das kann Ärger geben»

Es ist der 2. Februar 2008. Monika Schmid befindet sich im Engadin in den Skiferien, als ihr «Wort zum Sonntag» zu reden gibt. Die zuständige Redaktorin beim Schweizer Fernsehen hatte sie gewarnt: Ob sie das wirklich so sagen wolle? Das könne Ärger geben. «Ja, das will ich so sagen», sagt Monika Schmid.

Wer sich heute die Aufnahme von damals anschaut, fragt sich: Und wo genau ist jetzt der Skandal? Monika Schmid sagt nichts Häretisches. Sondern das, was zig Missbrauchsstudien später zeigen werden: dass die Kirche mit zweierlei Mass misst. Dass sie viel Aufwand betreibt, um Täter zu schützen. Sie schickt Priester in andere Bistümer oder ins Ausland. Der Schutz der Institution ist der Kirche wichtiger als die Opfer.

Vitus Huonder will Monika Schmid entlassen

Der damalige Bischof von Chur, Vitus Huonder, ist über die «Wort zum Sonntag»-Sendung empört. Am liebsten würde er Monika Schmid aus dem kirchlichen Dienst entlassen – doch das ist im dualen System der Schweiz nicht so einfach möglich. 

Während der Ferien im Engadin – hier St. Moritz – verteidigt Monika Schmid das  "Wort zum Sonntag" vom 2. Februar 2008.
Während der Ferien im Engadin – hier St. Moritz – verteidigt Monika Schmid das "Wort zum Sonntag" vom 2. Februar 2008.

Monika Schmid hat den Rückhalt ihrer Kirchenpflege. Der Zürcher Synodalrat ruft eine Krisensitzung ein – und stellt sich vor die beliebte Gemeindeleiterin. Hinzu kommt gefühlt die ganze Schweiz. Über 500 Briefe und E-Mails erhält Monika Schmid. Ein paar sind unter der Gürtellinie. Die meisten gratulieren der Theologin zu ihrem Mut. 

Hans Küng vermittelt ihr Giusep Nay

Und dann kommt der Anruf von Hans Küng. Über ein paar Ecken ist Monika Schmid mit dem Kirchenrebell von Sursee verwandt. Doch das weiss Hans Küng damals nicht, als er anruft und seine Hilfe anbietet. Er vermittelt Monika Schmid den Kontakt zum Juristen Giusep Nay. 

Monika Schmid beim Abschied von Hans Küng in Luzern.
Monika Schmid beim Abschied von Hans Küng in Luzern.

Der Altbundesgerichtspräsident erkennt im Disziplinarverfahren einen Formfehler. Monika Schmid war vor dem Entzug der «Missio canonica» nicht angehört worden. Der Entzug der «Missio canonica» ist nicht rechtens – Monika Schmid kann im Amt bleiben.

Joseph Bonnemain: freundlich, aber Teil des Huonder-Systems

Im Machtkampf zwischen Chur und Zürich spielt auch Joseph Bonnemain eine Rolle. Der heutige Bischof von Chur ist damals Offizial. Monika Schmid sagt, Joseph Bonnemain sei sehr freundlich und sehr fair gewesen. Aber er habe das Churer Spiel mitgetragen.

Monika Schmid im "Wort zum Sonntag" vom 2. Februar 2008.
Monika Schmid im "Wort zum Sonntag" vom 2. Februar 2008.

In Krisenzeiten zerbrechen manche Menschen. Andere wachsen an ihren Herausforderungen. Monika Schmid hat schon als junge Frau eine Lebenskrise durchgemacht. Im Internat bei den Baldegger Schwestern erlebt sie eine Enge, die nichts mit ihrem liberalen Elternhaus zu tun hat. 

Eine Therapie als «beste Präventionsarbeit»

Soziale Kontrolle in einem ungesunden Ausmass: all das ist nichts für Monika Schmid. Sie beginnt eine Psychotherapie. «Das war das Beste, was mir passieren konnte», sagt Monika Schmid heute. «Ich habe mich selbst kennen gelernt. Jede Theologin, jeder Theologe in der Seelsorge sollte bei dafür ausgebildeten Psychologinnen und Psychologen eine Art Lehr-Therapie machen – kirchenextern. Das sollte zum Rüstzeug gehören. Das wäre auch die beste Präventionsarbeit.»

Monika Schmid bei einem Familiengottesdienst in Effretikon.
Monika Schmid bei einem Familiengottesdienst in Effretikon.

Auch dank der Therapie kommt Monika Schmid zu einem gesunden Selbstbewusstsein. Und trotzdem geht der Machtkampf mit Chur nicht spurlos an ihr vorbei. Wer im Archiv weitere «Wort zum Sonntag»-Sendungen aus dem Jahr 2008 anschaut, findet eine bravere Monika Schmid. Sie trägt nicht rot. Sie greift nicht an. Sie wirkt weniger militant.

Sie fragt nicht gross – sondern macht einfach

Und trotzdem bleibt sie Monika Schmid: mutig, unkonventionell, pragmatisch. Sie fragt nicht gross – sondern macht einfach. 

Monika Schmid
Monika Schmid

Die gelernte Kindergärtnerin ist von vielen Kindermessen so gelangweilt, bis der damalige Pfarrer in einem sehr katholischen Dorf sie bittet, diese doch selber zu gestalten. Und plötzlich steht Monika Schmid als junge Frau am Altar und konzelebriert. Der Pfarrer überträgt ihr immer mehr Aufgaben. Das war der Auslöser, Religionspädagogik und Theologie zu studieren.

«Jetzt predigt die Monika so gut wie der Pfarrer»

Ins Schwärmen kommt Monika Schmid, als sie von Dekan Jakob Romer erzählt, dem früheren Pfarrer von Effretikon. «Er war ein tief spiritueller Mensch, ein sehr guter Theologe und seine Predigten waren weitherum bekannt», sagt Monika Schmid. «Wir waren ein Dreamteam. Nach jeder Predigt erhielt ich ein messerscharfes Feedback. Das war oft hart. Aber ich wollte lernen.» Nach drei Jahren sagten die Leute: «Jetzt predigt die Monika so gut wie der Pfarrer.»

37 Jahre lang war Monika Schmid in St. Martin in Effretikon tätig.
37 Jahre lang war Monika Schmid in St. Martin in Effretikon tätig.

Als Jakob Romer Dekan wurde, hat er viele Termine – auch sonntags. Einmal muss er kurzfristig weg. Er bittet Monika Schmid, die Eucharistie zu feiern. Und Monika Schmid folgt.

«Ich war nur ein bisschen nervös», sagt Monika Schmid über ihre erste Eucharistiefeier

Sie feiert keinen Wortgottesdienst. Sie feiert keine Beinahe-Messe. Sondern sie feiert eine Eucharistiefeier – so, wie sie sonst der Pfarrer feiert. Mit Gabenbereitung, Hochgebet, Einsetzungsworten aus der Bibel. »Ich war nur ein bisschen nervös», sagt Monika Schmid. 

Zu Beginn des Gottesdienstes war der Pfarrer mit dabei und hat den Menschen die Situation erklärt. «Niemand hat sich aufgeregt, so sollte es eben sein», sagt Monika Schmid.

"Dekan Jakob Romer – rechts im Bild – wäre ein guter Bischof geworden", sagt Monika Schmid. Er liess sie Eucharistie feiern.
"Dekan Jakob Romer – rechts im Bild – wäre ein guter Bischof geworden", sagt Monika Schmid. Er liess sie Eucharistie feiern.

Sie trägt keine Albe: «Ich brauche keinen weissen Kittel»

«Ich habe Eucharistie gefeiert, weil ich einen Auftrag des Dekans hatte. Und mir ist die Liturgie heilig. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, etwas zu simulieren. Ich stehe auch nicht in Albe und Stola am Altar, sondern trage meine privaten Kleider. Ich bin keine katholische Priesterin und möchte das auch gar nicht sein. Ich gebe nichts vor, was ich nicht bin.»

Ohne Albe, sondern in zivil: Monika Schmid leitet einen Gottesdienst.
Ohne Albe, sondern in zivil: Monika Schmid leitet einen Gottesdienst.

Als Papst Franziskus 2018 nach Genf kam, gab es eine Debatte darüber, ob Laientheologinnen und Laientheologen eine Albe tragen dürfen. Das wäre nichts für Monika Schmid: «Ich bin aus dem Volk und gehöre zum Volk. Ich brauche keinen weissen Kittel. Ich möchte das Jesuswort ‘Tut dies zu meinem Andenken’ umsetzen. Jesus braucht keine priesterliche Stellvertretung in persona Christi. Jesus ist doch im Wort und im gebrochenen Brot gegenwärtig, so glauben wir es, da gibt es nichts zu rütteln.» 

Während der Karwoche übernachten die Minis im Pfarreizentrum

Monika Schmid findet, dass die Liturgie in vielen Gottesdiensten lieblos runtergenudelt wird. Wenn Altbundesrätin Doris Leuthard in einem Interview mit kath.ch beklagt, dass viele Gottesdienste am Leben vorbeigingen, dann kann Monika Schmid das nachvollziehen: «Die Liturgie führt zum Zentrum unseres Glaubens. Und trotzdem wird oft geschludert.»

Ein Kirchenfenster in Effretikon.
Ein Kirchenfenster in Effretikon.

Nicht aber bei Monika Schmid. Ein Highlight ist für sie jedes Jahr die Karwoche. Zusammen mit mehr als 20 Ministrantinnen und Ministranten gestaltet sie jeden Gottesdienst. Es gibt eine Art Lager, die Minis übernachten während der Karwoche im Pfarreizentrum.

Am Karfreitag tragen die Minis eine rote Rose

«Die Minis kommen bei mir nicht zum Kerzenständer tragen. Sie sind mit uns Liturginnen und Liturgen», sagt Monika Schmid. «Sie bringen den Kern jeder Liturgie mit ihrem Tun zum Ausdruck. Wenn 30 Minis am Karfreitag in Stille einziehen, mit ihren weissen Gewändern und je einer roten Rose, dann ist das eine Botschaft, die die Menschen ohne Worte verstehen. Die Botschaft jener Liebe, die sich hingibt mit Leib und Seele.»

Rosenblätter
Rosenblätter

Die Begegnung mit Monika Schmid bei einer italienischen Tavolata ist sehr kurzweilig. Sie sprudelt nur so vor Ideen und hat eine Geschichte nach der anderen auf Lager. Man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese energetische Frau bald Rentnerin ist. 

Angst vor dem schwarzen Loch

Monika Schmid lebt alleine. «Es gab da schon Beziehungen, aber mein Lebensweg ging in eine andere Richtung. Keine Kinder zu haben, war ein echter Verzicht», sagt die ehemalige Erzieherin.

Abschied von Monika Schmid: In Effretikon gibt's diese Woche ein Kinderkarussell.
Abschied von Monika Schmid: In Effretikon gibt's diese Woche ein Kinderkarussell.

Und wie geht’s jetzt weiter? Monika Schmid weiss es noch nicht. «Ein bisschen Angst ist auch da. Die Angst vor dem schwarzen Loch.» In den nächsten Monaten möchte sie sich Gedanken machen und in ihr Herz hören, was aus der kommenden Zeit werden könnte.

Keine Lust auf theologische Jammer-Runden

Am liebsten würde sie andere Seelsorgerinnen und Seelsorger coachen: Wie bekommt meine Predigt mehr Drive und Tiefgang? Wie gestalte ich Gottesdienste, die die Menschen berühren? «Meine grosse Stärke ist das Gestalten von Trauerfeiern», sagt Monika Schmid.

Monika Schmid
Monika Schmid

Doch die langjährige Gemeindeleiterin ist sich nicht sicher, ob so ein Angebot auf Gegenliebe stossen würde. «Die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, sehe ich bei vielen nicht», sagt Monika Schmid. «Auch die Feedback-Kultur im kirchlichen Umfeld lässt zu wünschen übrig.» Auch ist sie genervt von theologischen Jammer-Runden und vom Selbstmitleid mancher pastoralen Mitarbeitenden.

Ausgerechnet ein Priester wird ihr Nachfolger

Monika Schmid ist eine Netzwerkerin. Sie kennt gefühlt alle Katholikinnen und Katholiken in der Deutschschweiz, die etwas zu sagen haben. Und gefühlt alle kennen sie. Da verwundert es nicht, dass Effretikon einen Nachfolger mit Format erhält: den Priester Felix Hunger. 

Felix Hunger an seiner Priesterweihe.
Felix Hunger an seiner Priesterweihe.

Mit kurzen Haaren hatte Felix Hunger Bachelor-Potential. Die NZZ sprach vom «Posterboy der jungen Priesterschaft». Aber passt das? Ausgerechnet ein Priester folgt auf die antiklerikale Gemeindeleiterin!

«Klar», sagt Monika Schmid und lacht. «Natürlich hätte Effretikon einer Laiin oder einem Laien Freiheiten geboten, die es sonst nirgendwo in der Schweiz gibt. Aber die Kirchenpflege ist von Felix Hunger begeistert und ich hoffe, dass er neue Impulse setzen kann.»

Keine Krawallschachtel

Der Abend schreitet voran. Eigentlich sei sie ein ängstlicher Mensch, sagt die Frau mit den vielen Sommersprossen. Wie passt das zu ihrem Mut, zu ihrer Kampfeslust, zu all dem Rot? «Ich stelle mir ständig die Frage: Bin ich dem Evangelium treu? Wo müsste ich anders handeln, genüge ich?»

Felix Hunger und Monika Schmid: Die langjährige Gemeindeleiterin lässt sich von ihrem Nachfolger segnen.
Felix Hunger und Monika Schmid: Die langjährige Gemeindeleiterin lässt sich von ihrem Nachfolger segnen.

Aber eigentlich sei sie wirklich ängstlich, wiederholt Monika Schmid. Und fromm. «Aber das interessiert die Medien nicht», sagt sie und lacht. «In meiner Pfarrei kennen mich die Menschen aber nicht als Krawallschachtel. Hier kennt man mich als Frau, die die Kirche liebt und sich deswegen hin und wieder mit der Hierarchie überwirft.»

Ein Ex-Priester teilt den Kelch mit seiner Frau

Es ist spät geworden. Monika Schmid könnte noch viel erzählen. Zum Schluss berichtet sie von einem Gottesdienst, der ihr in den letzten Monaten besonders naheging: der Gründonnerstag in der Omikron-Karwoche 2022. 

Monika Schmid verabschiedet sich von ihrer Gemeinde.
Monika Schmid verabschiedet sich von ihrer Gemeinde.

«Für mich war klar: Wir feiern den Gründonnerstag mit beiderlei Gestalt, das heisst mit Brot und Wein.» Um Infektionen zu verhindern, sollten die Gläubigen einen Becher von zuhause mitbringen. «Jeder Becher stand symbolisch für die Menschen. Ein ehemaliger, jetzt verheirateter Priester hat seinen Primizkelch mitgebracht und den Wein mit seiner Frau geteilt. In dem Moment wurde mir nochmals klar, was Klerikalismus ist und was das Priestertum aller Gläubigen bedeutet», sagt Monika Schmid.

Dass Papst Franziskus mit Kirchenreformen vorwärts macht – darauf wartet sie nicht. Ihr Credo: «Einfach machen!»


Monika Schmid | © Christian Merz
23. August 2022 | 13:06
Lesezeit: ca. 7 Min.
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