Papst Franziskus mit Bundesrätin Doris Leuthard 2018 in Genf.
Schweiz

Doris Leuthard: «Der Heilige Stuhl hat das Pariser Klima-Abkommen gerettet»

Sie war die mit Abstand beliebteste Bundesrätin: Mitte-Politikerin Doris Leuthard (59). Nun engagiert sie sich für eine neue Kaserne der Schweizergarde. Ein Gespräch über die Abstimmung in Luzern, wie sie das Thema Missbrauch bei Papst Benedikt ansprach – und warum sie den Betagten-Seelsorger von Muri super findet.

David Meier

Warum engagieren Sie sich dafür, dass die Schweizergarde eine neue Kaserne erhält?

Doris Leuthard*: Ich war schon als Bundesrätin regelmässig in Rom. Dabei habe ich gesehen, wie die Päpstliche Schweizergarde weltweit wahrgenommen wird und dass sie dadurch für die Schweiz eine wichtige Rolle spielt. Daneben hat mich fasziniert, dass sich in ihr junge Menschen engagieren.

Doris Leuthard
Doris Leuthard

Wären Sie gerne Gardistin geworden?

Leuthard: Dafür bin ich schon zu alt (lacht). Aber es sollte ein Ziel sein, dass die Garde sich öffnet. Auch bei der Polizei und der Armee sind heute Frauen engagiert.

Wieso braucht es die Schweizergarde überhaupt?

Leuthard: Erstens ist es eine sehr wichtige Aufgabe, den Heiligen Vater zu schützen. Daneben ist es auch eine lange Tradition. Seit dem «Sacco di Roma» ist es «Würde und Bürde». Ich finde diese Tradition schön und nützlich. Deshalb sollte die Garde erhalten werden.

«Der Garde wird auch viel Respekt entgegengebracht.»

Welchen Rückhalt geniesst die Schweizergarde in der Bevölkerung?

Leuthard: Ich denke, der ist wirklich gross. Beim Spendensammeln habe ich das gesehen. Auch Reformierte und Nicht-Gläubige haben sich für die Schweizergarde begeistern lassen. Der Garde wird auch viel Respekt entgegengebracht. Vor allem, wenn Gardisten Zeugnis von ihrem Dienst geben. 

Die Schweizergarde in Appenzell.
Die Schweizergarde in Appenzell.

Inwiefern vertritt die Schweizergarde auch Schweizer Interessen?

Leuthard: Das ist natürlich nicht ihre Kernaufgabe. Aber allein der Name macht die Schweiz bekannt. Alle wissen: Es stehen Schweizer Werte wie Qualität, Professionalität und Präzision hinter der Garde. Man kann sich auf die Schweizergarde verlassen. Dass diese Werte so wahrgenommen werden können, ergibt auch einen Mehrwert für die Schweiz. Bund und Kantone haben bis jetzt nichts gezahlt für dieses Marketing – die Garde liefert das gratis. Eine bessere Werbung kann man sich nicht wünschen. Die ganze Schweiz profitiert davon.

«Es ist wichtig, richtig, fair und vertretbar, einmalig Steuergelder zu investieren – es kommt so viel zurück.»

Warum sollten Schweizer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die Schweizergarde aufkommen, die trotz aller Verbundenheit die Armee eines fremden Staates ist? 

Leuthard: Weil die Garde ein so gutes Licht auf die Schweiz wirft. Viele sagen natürlich: Der Vatikan hat sehr viel Geld. Das stimmt. Allerdings muss man auch sagen: Diese Gelder sind gebunden, weil nur schon die Immobilien im Unterhalt sehr viel kosten. Deshalb wurden grosse Bauprojekte schon in der Vergangenheit mit Spenden finanziert. Da haben wir vom Bund und den Kantonen gesagt: Es ist wichtig, richtig, fair und vertretbar, einmalig Steuergelder zu investieren – es kommt so viel zurück.

Papst Franziskus bei einer Audienz mit den neuen Gardisten am 6. Mai 2022 im Vatikan.
Papst Franziskus bei einer Audienz mit den neuen Gardisten am 6. Mai 2022 im Vatikan.

Offiziell hat die Schweiz mit der Schweizergarde nichts zu tun. Inoffiziell gibt es aber enge Verbindungen, etwa über Schulungen der Armee. Wie eng haben Sie die Verbindungen zwischen der Schweiz und der Schweizergarde erlebt?

Leuthard: Alle Bundesrätinnen und Bundesräte haben sich immer sehr gefreut, an die Vereidigung gehen zu können. Johann Schneider-Ammann zum Beispiel, selber reformiert, kam total begeistert zurück. Als Bundesrat merkt man, wie wichtig die Garde ist. Man ist auch stolz.

Erzbischof Paul Richard Gallagher und der Schweizer Bundesrat Ignazio Cassis eröffnen die neuen Schweizer Botschaft beim Heiligen Stuhl, Mai 2022
Erzbischof Paul Richard Gallagher und der Schweizer Bundesrat Ignazio Cassis eröffnen die neuen Schweizer Botschaft beim Heiligen Stuhl, Mai 2022

Die Schweiz hat seit kurzem eine eigene Botschaft am Heiligen Stuhl. Finden Sie das gut?

Leuthard: Die Errichtung war wichtig, es ist eine Aufwertung und Wertschätzung. Auch dient dies der Intensivierung der Zusammenarbeit, zum Beispiel beim humanitären Völkerrecht. Da sind viele Ziele der Schweiz und des Papstes gleich. Es lohnt sich, diese Interessen zu bündeln und zusammenzuarbeiten, zumal die vatikanischen Diplomaten auch sehr gut ausgebildet sind.

«Der Heilige Stuhl hat das Pariser Klima-Abkommen gerettet.»

Fällt Ihnen ein Beispiel aus Ihrer Amtszeit ein, wo Sie den Heiligen Stuhl als nützlich empfunden haben?

Leuthard: Der Papst, aber vor allem auch der Heilige Stuhl – das möchte ich betonen – ist bei internationalen Konflikten ein wichtiger Vermittler. Ich selbst habe das beim Pariser Klima-Abkommen erlebt. Venezuela hat sich quer gestellt. Die Vertreter aus dem Vatikan konnten die Vertreter aus diesem ölreichen, aber auch katholischen Land überzeugen. Der Heilige Stuhl hat das Pariser Klima-Abkommen gerettet. Und er spielt staatspolitisch eine wichtige Rolle.

Am 25. September 2022 wird in Luzern über die 400’000 Franken abgestimmt, die der Regierungsrat an die Kaserne gesprochen hat. Was meinen Sie dazu?

Leuthard: Die eidgenössische Finanzdirektorenkonferenz hat empfohlen, dass jeder Kanton pro Einwohner und Einwohnerin einen Franken spenden soll. Dies hat auch der Luzerner Regierungsrat umgesetzt. Nun wurde das Referendum ergriffen, also soll das Volk darüber entscheiden. Das ist richtig, wir leben ja in einer Demokratie. Ich hoffe, dass es einen guten und fairen Abstimmungskampf darüber gibt.

«Der Kanton ist historisch eng verbunden mit der Schweizergarde. Viele Kommandanten kamen aus dem Luzernischen.»

Wieso ist es wichtig, dass gerade die Luzernerinnen und Luzerner die Garde unterstützen?

Leuthard: Es würde mich sehr enttäuschen, wenn der Kanton Luzern diesen Beitrag ablehnen würde. Der Kanton ist historisch eng verbunden mit der Schweizergarde, durch das Söldnerwesen, vor allem aber auch durch die vielen Kommandanten, die aus dem Luzernischen kamen. Hinzu kommt, dass Luzern ein mehrheitlich katholischer Kanton ist.

Wenn wir auf den Neubau schauen: Wie ist der Stand der Finanzierung?

Leuthard: Wir sind auf gutem Wege. Wir haben einige grosse Sponsoren gewinnen können, auch Private. Hinzu kommen viele Kirchgemeinden, aber erfreulicherweise eben auch mehrere Kantone. Zudem werden uns einige Unternehmen beim Bau unterstützen.

Die alte Fassade der Kaserne der Schweizergarde bleibt erhalten.
Die alte Fassade der Kaserne der Schweizergarde bleibt erhalten.

Muss das Budget wegen der Inflation angepasst werden?

Leuthard: Ja, tatsächlich wird es ein wenig teurer. Auch deshalb, weil die alte Fassade Rom-seitig nun definitiv erhalten werden muss. Zudem darf das Attikageschoss nun doch nicht gebaut werden. Der Platz sollte zwar trotzdem reichen, aber es braucht dafür nochmals eine geschickte Umplanung.

So sollte die neue Kaserne aussehen. Doch das Attikageschoss darf nicht gebaut werden.
So sollte die neue Kaserne aussehen. Doch das Attikageschoss darf nicht gebaut werden.

Im Frühling wurde eine Zusammenarbeits-Vereinbarung zwischen der Kasernenstiftung und dem Staatssekretariat unterzeichnet. Sind Sie im Zeitplan?

Leuthard: Leider haben wir wegen des Heiligen Jahrs 2025 eine Verzögerung. Somit haben wir aber genug Zeit, um die Baubewilligungen einzuholen und die noch notwendigen Abklärungen und Konsultationen, zum Beispiel mit der UNESCO, vorzunehmen. Am 1. Januar 2026 ist dann Baubeginn.

Wo kommen die Gardisten während des Umbaus unter?

Leuthard: Der Vatikan würde die Gardisten am liebsten auf Rom verteilen. Das macht aber diensttechnisch keinen Sinn, man denke nur an einen Notfall. Ausserdem wäre das für den Zusammenhalt innerhalb der Garde sehr schlecht. Dieser Vorschlag ist also nicht akzeptabel. Wir haben deshalb schon verschiedene Lösungen präsentiert. Am Provisorium wird es am Schluss sicherlich nicht scheitern.

Bundespräsidentin Doris Leuthard 2010 bei Papst Benedikt XVI.
Bundespräsidentin Doris Leuthard 2010 bei Papst Benedikt XVI.

Sie haben den Heiligen Vater schon mehrmals getroffen. Auch Papst Benedikt XVI?

Leuthard: Ja, ich habe Papst Benedikt XVI. 2010 getroffen, als ich Staatsoberhaupt war, also offiziell. Damals waren die sexuellen Übergriffe auch in der Schweiz gerade ein sehr grosses Thema, ich musste dies ansprechen. Ich habe gemerkt: Er hatte wirkliches Interesse an der Thematik. Es stand sogar die Frage im Raum, ob man dazu ein Konzil einberufen sollte. Ich hätte eine solche Diskussion auf höchster Ebene begrüsst, leider wurde das nicht gemacht. Ich glaube, das wäre gut gewesen: einen Weg der Offensive zu beschreiten. Man hätte einen Rahmen schaffen können, wie man mit den Missbräuchen umgeht.

«Beide waren und sind gute Päpste.»

Und wenn Sie Benedikt XVI. mit Franziskus vergleichen?

Leuthard: Benedikt ist sehr dogmatisch und wissenschaftlich an die Dinge herangegangen. Franziskus hingegen ist sehr menschenverbunden und praktisch orientiert. Sie sind zwei unterschiedliche Persönlichkeiten, die aber – ich würde sagen – beide gute Päpste waren und sind.

Bundespräsident Alain Berset (rechts) und Bundesrätin Doris Leuthard begrüssen Papst Franziskus 2018 in Genf.
Bundespräsident Alain Berset (rechts) und Bundesrätin Doris Leuthard begrüssen Papst Franziskus 2018 in Genf.

Sie waren 2018 in Genf, als Franziskus den Ökumenischen Rat der Kirchen besucht hat. Wie haben Sie diesen Tag erlebt? 

Leuthard: Es war sehr herzlich, vor allem auch, weil wir uns schon kannten. Wir vom Bundesrat waren sehr froh über seinen Besuch. Man unterschätzt nämlich die Wirkung, die der Papst hat, vor allem auch bei der UNO. Man sieht es auch jetzt wieder, zum Beispiel beim Afghanistan- oder Jemenkonflikt. Er hat eine Stimme bei solchen Krisen.

«Der Pflegi-Seelsorger in Muri gestaltet persönliche Gottesdienste, weil er um die Sorgen der Leute weiss.»

Was bedeutet es für Sie persönlich, katholisch zu sein?

Leuthard: Ich habe natürlich manchmal auch Mühe mit der Kirche, vor allem mit den Ritualen. Da hat sich die reformierte Kirche schon mehr gewandelt. Die Kirche könnte über die Predigt sehr viel rausholen. Die Leute haben ein Bedürfnis nach guten Worten, gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt. Wenn die Kirche hier die Alltagssorgen mehr aufnehmen würde und versuchen würde, Antworten zu geben, dann würde sie wohl einiges erreichen. Ich sehe es zum Beispiel beim Pflegi-Seelsorger in Muri. Er macht immer am Mittwoch einen Gottesdienst. Dieser ist persönlich, weil er um die Sorgen der Leute weiss. So kann er ihnen etwas mitgeben. Und die Leute sind begeistert.

Bundesrätin Doris Leuthard am Staatsakt "600 Jahre Niklaus von Flüe" in Sarnen
Bundesrätin Doris Leuthard am Staatsakt "600 Jahre Niklaus von Flüe" in Sarnen

Wann gehen Sie in die Kirche?

Leuthard: Nicht mehr so häufig wie früher, aber ich gehe selbstverständlich. Während der Pandemie habe ich häufig mit meiner Mutter am Fernseher die Messe geschaut, diese Messen sind häufig sehr gut gemacht. Solche Messen würde ich mir mehr wünschen, dann würde ich auch mehr hingehen.

* Doris Leuthard (59) war von 2006 bis 2018 Schweizer Bundesrätin. Seit dem Rückzug aus der Landesregierung engagiert sie sich unter anderem für den Kasernenneubau der Päpstlichen Schweizergarde.


Papst Franziskus mit Bundesrätin Doris Leuthard 2018 in Genf. | © Keystone
16. August 2022 | 16:22
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