Monika Hungerbühler
Theologie konkret

Monika Hungerbühler: «Unser Verhältnis zu Primaten ist falsch»

Die Basler Theologin setzt sich in einem Video-Testimonial für die Primaten-Initiative in Basel ein. Sie ist überzeugt: Die «Mit-Primaten» brauchen Grundrechte, damit der Mensch sie besser behandelt. Es brauche einen Paradigmenwechsel, um das Überleben auf der Erde zu ermöglichen.

Regula Pfeifer

Sie haben mit einem Video zur Kampagne für die Primateninitiative beigetragen. Weshalb?

Monika Hungerbühler: Ich unterstütze die Initiative voll. Sie löst eine wichtige Debatte aus über ein neues Verhältnis der Menschen zur Mitwelt – und im Konkreten zu unseren Mit-Primaten. Wir Menschen sind Trockennasen-Primaten, wie andere Primaten auch. Die Initiative will aufrütteln und sagen: Unser Verhältnis zu Mit-Primaten ist falsch – aber auch überhaupt unser Verhältnis zur Welt.

«Ich konnte dem Gorilla in die Augen schauen. Das ist mir eingefahren.»

Sie erwähnen im Video eine Begegnung mit einem Affen, der Sie aufrüttelte. Wann und wie war das?

Hungerbühler: Als unsere Kinder klein waren, gingen wir oft in den Basler Zoo. Einer unserer Lieblingsorte war das Affenhaus. Wir schauten den Affen stundenlang zu, beobachteten die sozialen Interaktionen zwischen ihnen und merkten: Die sind uns sehr ähnlich. Einmal war ein Gorilla nahe am Fenster und blickte uns direkt an. Ich konnte ihm in die Augen schauen. Er war auf gleicher Höhe und nur rund zehn Zentimeter entfernt. Das ist mir eingefahren. Ich konnte das nicht vergessen, obwohl es bereits mehr als zwanzig Jahre her ist.

Sumatra Orang-Utan im Affenhaus im Basler Zoo.
Sumatra Orang-Utan im Affenhaus im Basler Zoo.

«Mensch und Landtiere stehen unter demselben Segen Gottes.»

Haben Sie theologische Gründe für Ihr Engagement?

Hungerbühler: Ja. Unsere Vorfahren stellten sich die Entstehung der Welt so vor, dass sie die Schöpfung der Menschen und Landtiere auf den sechsten Tag festlegten. Sie sagten, das sei gut so, Gott habe beide gesegnet. So steht es im Schöpfungslied. Wir stehen also unter demselben Segen Gottes. Das ist für mich die theologische Begründung, mich für die Primateninitiative einzusetzen.

Pflegen wir denn heute nicht ein solches Miteinander Mensch-Tier?

Hungerbühler: Nein. Wir verhalten uns so, als ob der Mensch die Krone der Schöpfung wäre. Dabei hat vor allem die westliche Welt das Bibelzitat «Macht euch die Erde untertan» falsch verstanden. Ihr Verhältnis zur Welt ist ausbeuterisch. Dazu gibt es aber Gegenbewegungen.

«Wir müssen herausfinden: Wie können wir miteinander überleben auf diesem Planeten?»

Wer hält dagegen?

Hungerbühler: Die ökofeministische Theologie ist seit Jahrzehnten dran, dieses Missverständnis zu korrigieren – gemeinsam mit anderen Bewegungen. Sie sagt: Gott hat uns die Schöpfung in die Hand gegeben, damit wir mit ihr verantwortlich und mitfühlend umgehen. Heute sehen wir noch viel mehr als früher, dass alles zusammenhängt. Wir müssen also nicht nur unsere Mit-Primaten mit neuem Blick betrachten, sondern alle Tiere – und unsere gesamte Umwelt. Und so herausfinden: Wie können wir miteinander überhaupt überleben auf diesem Planeten?

Ein Gorilla im Zoo
Ein Gorilla im Zoo

«Das genetische Material ist zu rund 98 Prozent identisch.»

Kritiker monieren, die geforderten Grundrechte für Primaten lassen den Unterschied zwischen Mensch und Tier verschwimmen.

Hungerbühler: Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen uns und unseren Mit-Primaten. Das genetische Material ist zu rund 98 Prozent identisch. Von daher ist unverständlich, dass wir so sehr auf Unterschiede setzen. Es braucht einen Paradigmenwechsel: Wir müssen die Gemeinsamkeiten wahrnehmen und überlegen: Wie können wir gemeinsam überleben?

«Es geht nicht darum, das Tier zu vermenschlichen.»

Bei der Vorbereitung des Gesprächs ist mir ein seltsames Bild aufgetaucht. Ich sah mich an einen Büroschalter gehen und wurde von einem Affen bedient. Ist das eine Angst der Menschen?

Hungerbühler: Es geht nicht darum, das Tier zu vermenschlichen. Früher zog man die Affen in bestimmten Zoos Kleider an, sie sassen am Tisch und tranken Tee. Davon ist man weit entfernt. Heute versuchen die Zoos, die Affen möglichst artgerecht zu behandeln. Bei der Primaten-Initiative geht es ums Recht auf Leben und die geistige und körperliche Unversehrtheit. Um mehr nicht.

Blick auf Basel.
Blick auf Basel.

«Basel ist als Standort von Forschung und Chemiefirmen der richtige Ort für die Abstimmung.»

Weshalb stimmt gerade Basel darüber ab?

Hungerbühler: Basel ist als Standort von Forschung und Chemiefirmen sowie eines berühmten Zoos der richtige Ort, um diese Abstimmung zu führen. Denn es stellt sich die Frage: Darf man mit diesen Tieren Experimente durchführen, um neue Kosmetika und Medikamente zu erproben? Heute ist es ja möglich, mit Zellkulturen solche Tests durchzuführen. In der Basler Pharmaindustrie wird das seit einigen Jahren so gehandhabt. Nur Verhaltensforschung wird noch an Primaten betrieben.

Die Primaten-Initiative

Die Initiative setzt sich dafür ein, dass Primaten – also Affen – im Kanton Basel-Stadt Grundrechte erhalten. Der Kanton muss ihnen demnach das Recht auf Leben sowie auf körperliche und geistige Unversehrtheit garantieren. So dürfte etwa die Universität Basel nur noch Versuche an Primaten durchführen, wenn diese Grundrechte dabei gewahrt würden. Die Initiantinnen und Initianten begründen das mit der genetisch-biologischen Ähnlichkeit der Affen mit dem Menschen. Der Mensch gehört demnach zu den Primaten. Er ist eine von fünf Menschenaffen-Arten. Die anderen sind Gorilla, Orang-Utan, Schimpanse und Bonobo. Laut dem Initiativtext sind in Basel in den letzten zehn Jahren mehr als 900 Versuche an Primaten durchgeführt worden, die deren Rechte verletzt hätten. Über die Initiative wird am 13. Februar abgestimmt. (rp)

Zoo Schweiz kritisiert: Wenn Beistände die Rechte der Primaten sichern – wie von den Initianten als Idee vorgeschlagen – würden Nichtspezialisten über das Tierwohl entscheiden.

Hungerbühler: Da sehe ich kein Problem. Solche Beistände müssten natürlich ausgewiesene Fachleute sein. Um das Wohl von Kindern und dementen oder behinderten Menschen zu gewährleisten, werden ja auch Fachleute eingesetzt.

«Es ist primär eine symbolische Abstimmung.»

Auch das Einschläfern von Affen wäre bei Bedarf nicht mehr möglich, kritisieren die Zoos.

Hungerbühler: Der Entscheidungsweg in einem medizinischen Notfall müsste erst entwickelt werden und sich dann einspielen. Für den Menschen sind auch Vorgehen entwickelt worden, wie im Spital über die Frage eines Eingriffs entschieden werden soll. Ich glaube aber, es geht aktuell noch nicht um solch praktische Fragen. Es ist primär eine symbolische Abstimmung. Es geht darum, eine wichtige Diskussion zu führen über unser Verhältnis zu den Mit-Primaten und zur Umwelt.

Die Gegner befürchten auch, dass solche Grundrechte wie für die Primaten – in einer Salamitaktik – auf andere Tiere ausgeweitet würden und schliesslich das Fernziel eine vegane Gesellschaft sei.

Hungerbühler: Ich finde auch, wir müssen weitere Probleme angehen. Ich bin beispielsweise gegen Massentierhaltung. Was sich hier entwickelt hat, ist haarsträubend. Denken Sie an das Schreddern von männlichen Küken. Unser Konsum- und Essverhalten muss sich ändern. Wenn weltweit alle so viel Fleisch essen wollten wie wir, könnten sich nicht mehr alle ernähren. Es ist unsinnig, wenn wir Soja aus Brasilien unseren Hühnern verfüttern, während dort Menschen hungern. Es braucht ein Umdenken.

«Es geht schlussendlich um die Bewahrung der Schöpfung.»

Haben Sie selbst umgestellt?

Hungerbühler: Ich habe nie viel Fleisch gegessen. Inzwischen lebe ich seit einigen Jahren vegetarisch – und teilweise vegan. Unsere Tochter ist Veganerin. Ich kenne immer mehr, die umgestellt haben. Menschen, die aus politischen Gründen ihre Ernährung und ihre Lebensform anpassen, finde ich bewundernswert. Sie essen nicht nur vegan, sie fliegen auch nicht oder nur wenig. Es geht schlussendlich um die Bewahrung der Schöpfung.

Monika Hungerbühler | © Vera Rüttimann
30. Januar 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!