Abt Peter von Sury eröffent die Mitternachtsmesse in Mariastein.
Schweiz

Mitternachtspredigt Mariastein: «Weihnachtliche Freude und sexueller Missbrauch: Das ist wie die Faust aufs Auge»

Missbrauchskrise, Kriege in der Ukraine und Nahost – 2023 klinge die Weihnachtsbotschaft «Friede auf Erde» besonders weltfremd. «Denn wir wissen: Die Realität sieht tausendfach anders aus.» Gerade, weil sie so heute so fremd wirke, brauchen wir die Botschaft: «Als Lichtblick, als Seelenbalsam», sagt Abt Peter von Sury in der Mitternachtspredigt in Mariastein.

«Diese Feier mitten in der Nacht macht mich nachdenklich. Ich denke nach und frage mich: wie kann es sein, dass mir im Laufe dieses Jahres die Freude abhandengekommen ist? Dass dieses schöne Wort «Freude» mir zu einem Fremdwort geworden ist? Weil ich nicht mehr recht weiss, wie Freude aussieht, wie sie schmeckt, wie sie sich anhört und anfühlt. Sie kommt mir irgendwie weltfremd vor, die Freude. Ich frage weiter, ob es eventuell anderen ähnlich ergeht?

Mitternachtsmesse in Zeiten der Krise

Bei mir hat das zu tun, dass sich am 12. September bei der Pressekonferenz der Universität Zürich zugegen war. Da wurde der Öffentlichkeit der Bericht zur Pilotstudie der «Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz seit Mitte des 20. Jahrhunderts» vorgestellt. Ein schwieriger Titel für eine extrem traurige Sache. Ein paar Tage später wusste ich, dass ich am 24. Dezember in der Mitternachtsmesse predigen würde. Hier in Mariastein, inklusiv Radio und Fernsehen-Übertragung. Und ich wusste: Das wird schwierig werden.

Denn ich weiss seit meiner Kindheit, dass jedes Jahr aus der Bibel vorgelesen wird. Immer der gleiche Text. Er erzählt davon, was damals in Bethlehem passierte: Ein Engel habe mitten in der Nacht die Hirten aufgeschreckt und ihnen dann gesagt: «Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine grosse Freude. Euch ist heute der Retter, der Heiland geboren. Ihr werdet ein Kind in der Krippe finden.» Und dann seien andere Engel aufgetaucht und hätten zu singen angefangen: «Gloria in excelsis Deo», Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen.

Freude und Missbrauch: Wie die Faust aufs Auge

Weihnachten ohne diese Botschaft, das wäre nicht Weihnachten. Ich kann an Weihnachten auf vieles, ja auf alles, verzichten, aber ganz bestimmt nicht auf diese paar Bibelverse. So weltfremd sie sein mögen. Mein Problem: Ich bringe es nicht auf die Reihe. Die Freude und sexueller Missbrauch. Das ist wie die Faust aufs Auge.

2023 seien "Freude" und "Frieden" Fremdworte geworden, sagt Abt Peter von Sury in seiner Predigt.
2023 seien "Freude" und "Frieden" Fremdworte geworden, sagt Abt Peter von Sury in seiner Predigt.

Und dann kam der 7. Oktober, der brutale Überfall auf Israel mit seinen schrecklichen Folgen. Da, wo jetzt Krieg ist, liegt Bethlehem. Zwischen Gaza und Jerusalem, hinter einer hohen Mauer. In diesem Bethlehem hat vor 2000 Jahren ein Engel Worte verkündet, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis der Menschheit eingeprägt haben: «Ich verkünde euch eine grosse Freude. Friede auf Erden, den Menschen».

Hoffnung und Schmerz

Diese Worte werden wir nie wieder loswerden, niemals vergessen können. Sie stehen für eine grosse Sehnsucht, für eine unbezwingbare Hoffnung. Und genau darum markieren sie einen tiefen Schmerz. Denn wir wissen: Die Realität sieht tausendfach anders aus. «Ich verkünde euch eine grosse Freude: Friede auf Erden den Menschen.» Wie kommt das an? In Israel? In Gaza? In der Ukraine? Bei mir, bei Ihnen?

Die Klosterkirche Mariastein ist bis auf den letzten Platz belegt.
Die Klosterkirche Mariastein ist bis auf den letzten Platz belegt.

Sollen wir diese Bibelverse canceln? Weihnachten aus dem Kalender kippen? Freude, Frieden aus unserem Wortschatz streichen? Fremdwörter, die wir nicht mehr verstehen, die so hohl und weltfremd klingen. Was wäre das Resultat? Vermutlich eine noch trostlosere Welt, eine noch hoffnungslose Menschheit, eine ganz und gar freudlose Weihnacht. Gibt es eine Alternative? Wollen wir das? Bin ich etwa naiv, wenn ich behaupte, in einem Jahr, vielleicht, vielleicht, wird es dann besser sein?

Frohe Botschaft als Lichtblick

Nein, ich bin nicht naiv. Ich weiss vielmehr: ich brauche diese Fremdwörter, Ich brauche sie zum Leben, zum Aufatmen, als Lichtblick, als Seelenbalsam. Dieses Jahr noch mehr als letztes Jahr muss sie neu buchstabieren lernen. «Freude. Friede.» Sie tun mir gut, diese Fremdwörter.

Weihnachtskrippe
Weihnachtskrippe

Sie klingen so himmlisch, so weihnachtlich weltfremd, so ausserirdisch, wie es wohl nur dem Mund eines Engels möglich ist. «Ich verkünde euch eine grosse Freude. Euch ist heute der Retter, der Heiland geboren. Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt.» Ausgerechnet in Pampers.

Das Kind hat einen Namen. Es heisst Jesus. Es heisst Immanuel: Gott ist mit uns. Friede auf Erden, den Menschen seines Wohlgefallens. «Wohlgefallen», auch ein schönes Wort. Es hat Gott Wohlgefallen, auf die Welt zu kommen. Es hat Gott Wohlgefallen, Mensch zu werden. Ist das nicht wie eine Kurznachricht aus der Ewigkeit? Ein Fingerzeig aus dem Jenseits? zur Welt kommen, um Mensch zu werden. Die Einladung geht an alle. Die Herausforderung geht uns alle an. Kein Wunder, erschrecken die Hirten. Es ist eine Freude, auf die Welt zu kommen. So hat es Gott Wohlgefallen. Es ist eine Freude, Kind und erst recht Kind Gottes zu sein. Es ist ein Geschenk, Mensch sein zu dürfen. Mensch zu werden. Aus dem einfachen und einzigen Grund, weil Gott uns Menschen grundlos liebt, einfach so, weil Gott uns Menschen vollkommen grundlos liebt. Amen.»

Dies sagte Abt Peter von Sury in seiner Predigt in der Mitternachtsmesse im Kloster Mariastein (am).


Abt Peter von Sury eröffent die Mitternachtsmesse in Mariastein. | © Screenshot SRF
25. Dezember 2023 | 10:00
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