Mit Fragen zu einer Glaubensüberzeugung gelangen

Warum der Zürcher Domherr Franz Stampfli nicht in die Zeit vor dem Konzil zurück will

Zürich, 18.4.12 (Kipa) «Natürlich war es eine Krisenzeit.» Domherr Franz Stampfli meint die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65), das vor 50 Jahren eröffnet wurde. Zurück in vorkonziliare Zustände will der 77-jährige Zürcher – die Gelassenheit in Person – aber dennoch nicht. Aus seiner Sicht überwiegt das Positive in der Entwicklung nach dem historischen Ereignis. – Die Presseagentur Kipa hat mit dem Priester über die Zeit vor und nach der grossen Kirchenversammlung gesprochen.

Stampfli war am Priesterseminar St. Luzi in Chur, als Papst Johannes XXIII. 1959 das Konzil ankündigte. «Das war für uns eine Riesenüberraschung», sagt der Domherr. «Wir glaubten, ein Konzil gäbe es nie mehr, weil das Erste Vatikanum die päpstliche Unfehlbarkeit zur Lehre erhoben hatte.» Eine Offenbarung sei es dann für die Priesteramtskandidaten gewesen, am Seminar durch die Tischlektüre eines Werks über eben dieses Konzil zu entdecken, dass auf einer solchen Versammlung die Bischöfe wirklich miteinander diskutieren – und auch streiten.

Auch der junge Stampfli hoffte damals, dass nun das Gespräch unter den Bischöfen möglich würde, dass theologische Debatten zur Regel würden. Mit dem, was der Mensch über Gott aussage, könne er ihn nie erfassen. Deshalb gilt für den Domherrn heute: «Es gibt nichts, worüber man nicht diskutieren kann und darf.»

Den Glauben neu begründen

Damals habe man gespürt, dass «etwas ins Rollen kam», erzählt Stampfli. Gewiss, die Kirchenaustritte hatten noch nicht das heutige Ausmass erreicht. «Aber man merkte bereits, es ist nicht mehr einfach selbstverständlich, dass man zur Kirche gehört.» Die Seminaristen spürten: «Wir müssen unseren Glauben ganz neu begründen!» Nichts mehr gelte, bloss weil es der Pfarrer gesagt habe, umschreibt Stampfli den neuen Anspruch.

Angst vor dem Konzil hatte der zukünftige Priester anfangs der 60er Jahre nicht. Das Churer Professoren-Trio Feiner, Trütsch und Böckle habe den Theologiestudenten beigebracht, dass man auch Fragen stellen müsse, um zu einer Glaubensüberzeugung zu gelangen. Noch vor dem Konzil hatten die drei Professoren den theologischen Bestseller «Fragen der Theologie heute» herausgegeben.

Der Sinn des Fragens sei nicht, alles über Bord werfen zu können, präzisiert der Domherr. Mit dem Hinterfragen soll vielmehr herausgefunden werden, ob man heute andere Wege (zum gleichen Ziel) wählen müsse.

Pfarrer als unangefochtene Autorität hat ausgedient

1961 empfing Stampfli die Priesterweihe und trat seine erste Stelle als Vikar an der Stadtpfarrkirche Liebfrauen unweit der Universität Zürich an. Dort stellte er fest, dass es einen «theologischen Graben» zwischen den alten und den jungen Geistlichen gab – kurz zwischen dem Pfarrer und den Vikaren. Der Graben zwischen den Generationen existierte nicht nur an Liebfrauen, sondern überfall, erzählt Stampfli. Während die Pfarrer am Vorgegebenen festhielten, weil man es doch so gelernt habe, wollten die Vikare vieles hinterfragen.

War der Pfarrer um 1960 noch eine unangefochtene Autorität, änderte sich später das Verhältnis zwischen Pfarrern, Vikaren und anderem Seelsorgepersonal. Es wurde kollegialer. Der Pfarrer bestimmte nicht mehr einfach alles diskussionslos.

Heute verliefen die Fronten freilich anders, stellt Stampfli fest. «Es gibt relativ viele Junge, die im Grunde genommen wieder wollen, dass man ihnen sagt, wo Gott hockt: So ist es und fertig!», sagt der Priester und klopft auf den Tisch. «Und das ist natürlich etwas, das mir widerstrebt.»

Teure Ersatzliturgien

Gibt es etwas aus der Zeit vor dem Konzil, das der Domherr vermisst? Stampfli beteuert, er wolle auf keinen Fall die vorkonziliare Kirche zurück haben, auch nicht die vorkonziliare Messe. Aber er bedauert, dass das Latein praktisch aus der Liturgie verschwunden ist. Dass es zu Verlusten im liturgischen Bereich gekommen ist, findet auch er schade. Schuld daran sei aber nicht das Konzil. «Viele haben nichts mehr gelten lassen wollen von früher und das Kind mit dem Bade ausgeschüttet», sagt Stampfli.

Der Priester bedauert zudem, dass «unsere Gottesdienste schlechter als früher besucht sind, und vor allem fast nur noch von älteren Menschen». Da gehe bestimmt etwas verloren, da der Mensch nun einmal ein Bedürfnis nach Formen und Feiern habe. Natürlich, es gebe heute andere Liturgien. Etwa die Eröffnung der olympischen Spiele. «Das ist ja nichts anderes als eine sehr teure Liturgie. Aber ich denke, es müsste nicht unbedingt immer so viel kosten, und vor allem dürfte es noch andere Ziele haben.»

 

Separat:

Franz Stampfli

Franz Stampfli wurde 1935 in Zürich geboren. Von 1955 bis 1961 studierte er zunächst in Innsbruck und anschliessend in Chur Theologie. 1961 wurde er zum Priester geweiht. Danach war Stampfli Vikar an der Zürcher Stadtpfarrkirche Liebfrauen. 1968 wurde er Pfarrer in Affoltern am Albis ZH. Von 1973 bis 1994 arbeitete Stampfli als Sekretär des Generalvikariats in Zürich. Dort war er bis 1991 auch für die Medienarbeit des Bistums Churs und anschliessend für das Generalvikariat zuständig. Einer der Höhepunkte während dieser Zeit war der Schweizbesuch von Papst Johannes Paul II. im Juni 1984. Von 1995 bis 2004 wirkte Stampfli als Pfarrer in St. Peter und Paul in Zürich Aussersihl. Anschliessend übernahm er die Aufgabe des Beauftragten für die Migrantenseelsorge. In diesem Bereich arbeitet der Pfarrer im Ruhestand noch heute zu einem ganz kleinen Pensum mit. Zudem ist Stampfli Pfarradministrator in Herrliberg ZH und in der Pfarrei St. Franziskus in Zürich-Wollishofen.

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(kipa/bal/am)

18. April 2012 | 17:44
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