Missbrauchsvorwurf: Churer Priester Andreas* ist kein Unbekannter
Cholerisch und reaktionär: So beschreiben seine früheren Gemeinden den Priester, dem versuchte Vergewaltigung vorgeworfen wird. Recherchen von kath.ch zeigen: Der Priester ist als Problemfall bekannt.
Annalena Müller
Josef Henfling spricht schnell. Es ist ihm wichtig, dass man ihm glaubt. Er zeigt Postkarten, Mietverträge, nennt Namen von Personen, die seine Geschichte bezeugen können. Nach Jahren der Depression wirkt er noch immer labil. Aber er will kämpfen. Und er will Gerechtigkeit. Deswegen hat er Anzeige gegen Andreas* (Pseudonym) erstattet, bei der Staatsanwaltschaft Graubünden und beim Bistum Chur. Dem Bistum ist Andreas seit langem als Problem-Pfarrer bekannt – wenn auch nicht wegen sexueller Übergriffe.
Teil des Haas-Erbes
Josef Henfling bezichtigt den Priester der versuchen Vergewaltigung in zwei Fällen. Der Beschuldigte gehört zur konservativen Generation von Priestern, die von Wolfgang Haas geweiht wurden. Haas sorgte in seiner Zeit als Churer Bischof (1988-1997) für Kontroversen. Das Bistum drohte an Haas’ reaktionärer Haltung zu zerbrechen. Um das zu verhindern, beförderte Johannes Paul II. ihn 1998 nach Liechtenstein, in das extra geschaffene Erzbistum Vaduz.
Haas hinterliess Chur ein schwieriges Erbe. Der Bischof war ein Priester-Macher, dem die strengkonservative Gesinnung der Kandidaten angeblich wichtiger war als ihre Priestertauglichkeit. Der Priester Andreas ist Teil dieses Haas-Erbes.
Wie Recherchen von kath.ch zeigen: Andreas ist im Bistum kein Unbekannter. 2015 versetzte Bischof Vitus Huonder ihn wegen anhaltender Probleme als Spiritual in ein Frauenkloster. An der Bistumsspitze hatte man verstanden, dass er für den Gemeindedienst untauglich war.
Jähzorn
Anrufe bei früheren und aktuellen Arbeitsorten zeichnen das Bild eines reaktionären, aber charismatischen Priesters, der zu cholerischen Ausbrüchen neigt. In einer Kirchgemeinde in Graubünden wirkte Andreas über ein Jahrzehnt als Pfarrer.
Kirchgemeindemitglieder berichten von seinem Jähzorn. So soll er in einem Wutanfall Unterlagen nach einem Kirchenratsmitglied geworfen haben. «Pfarrer Andreas entschuldigte sich zwar immer wieder für sein Verhalten, aber die Ausraster blieben.» Der Kirchenrat habe den Pfarrer aufgefordert, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Er lehnte ab.
Zwei Gemeinden, eine Erfahrung
Das Bild des jähzornigen Priesters bestätigt auch der ehemalige Kirchenratspräsident einer anderen Bündner Kirchgemeinde, in der Andreas im Anschluss tätig war. Als Präsident habe er Andreas als «emotional» erlebt.
«Wenn er sich bedrängt fühlte, wurde er aufbrausend.»
Besonders «wenn er sich bedrängt gefühlt hat, wurde er aufbrausend.» Nach zwei Jahren seien Pfarrer und Gemeinde getrennte Wege gegangen. «Er hat es von sich aus gemerkt, der Druck ist zu gross und ist gegangen.»
Erzkonservativ
Sein Jähzorn war nicht das einzige Problem. Andreas soll sich beim Religionsunterricht nicht an die Vorlagen gehalten haben. Seine Aussagen, zum Beispiel, «wenn man die Taufe nicht hat, hat man einen grossen schwarze Fleck auf der Seele», hätten den Grundschülern Angst gemacht.
Gleichzeitig suchte er die Nähe der Messdiener und Messdienerinnen. Mit ihnen habe er nach der Messe gerne gescherzt. «Für die damalige Mesmerin war das Verhalten des Pfarrers zu kollegial, und sie machte den Kirchenrat immer wieder darauf aufmerksam.»
Theologische Differenzen
Auch der ehemalige Kirchenratspräsident berichtet von theologischen Differenzen: Pfarrer Andreas habe das «Kirchenvolk nicht mitnehmen können». Aussagen, wie «es gibt das richtige und das falsche Brot. Und das evangelische sei das falsche», hätten die Gemeindemitglieder vor den Kopf gestossen. «Irgendwann war dann alles blockiert.»
«Wir baten schliesslich um einen anderen Pfarrer.»
Auch in der anderen Pfarrei kam die Gemeinde an ihre Grenzen. «Weil wir der ständigen Reklamationen müde waren, baten wir schliesslich um einen anderen Pfarrer.»
Keine Belästigungsvorwürfe
Theologisch im Vorgestern verhaftet und jähzornig, das Bild kristallisiert sich bei allen Gesprächen heraus. Allerdings: Von Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs habe man in keiner der Kirchgemeinden Kenntnis gehabt.
Andreas Fuchs, ehemaliger Generalvikar des Bistums Chur bestätigt: Die Bistumsspitze habe von dem Problem, «dass er mal ein bisschen ausgeflippt ist», gewusst. Der Vorwurf und die Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung hätten ihn hingegen überrascht, sagt Fuchs.
Versetzung in ein Kloster
Dennoch wusste man im Bistum offensichtlich, dass Pfarrer Andreas für den Gemeindedienst ungeeignet ist. 2015 versetzt ihn Bischof Huonder in ein Frauenkloster, wo er seither als Spiritual tätig ist.
Im Telefonat bestätigt die Klosteroberin den schwierigen Charakter des Spirituals. «Ausflippen, nennt er das selbst», sagt sie. Aber man habe Wege gefunden, sich miteinander zu arrangieren, «mit Gebeten helfen wir, zu heilen».
Die Vergewaltigungsvorwürfe schockieren die Ordensfrau. «Die Strafverfolgungsbehörden und das Bistum müssen nun ihrer Untersuchungspflicht nachkommen,» sagt sie. Bis dahin müsse man abwarten.
Staatsanwaltschaft und Bistum ermitteln
Die Behörden haben derweil mit ihrer Arbeit begonnen. Die Staatsanwaltschaft Graubünden bestätigt gegenüber kath.ch, dass ihr eine Strafanzeige vorliegt. Auch Bischof Joseph Maria Bonnemain ist nach Eingang der Anzeige beim Bistum aktiv geworden.
Am 30. November hat der Churer Bischof eine Voruntersuchung gegen Pfarrer Andreas eröffnet. Zusätzlich wurden superprovisorische Massnahmen nach Canon 1722 CIC getroffen. Die Oberin des Klosters, wo Andreas als Spiritual tätig ist, bestätigt die Massnahmen des Bistums. Er dürfe im Bistumsgebiet bis auf weiteres nicht tätig sein. Seine Aufgaben im Kloster könne er aber zunächst weiter ausüben. Bis zum Abschluss der strafrechtlichen und kanonischen Verfahren gilt die Unschuldsvermutung.
*Andreas ist ein Pseudonym. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt. Der Beschuldigte und sein Anwalt wollten zu den Vorwürfen keine Stellung beziehen.
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