Joseph Henfling erhebt schwere Vorwürfe - auch gegen einen Churer Priester.
Schweiz

Missbrauchsopfer: «Ich war auf ihn angewiesen»

Josef Henfling (39) wirft einem Churer Priester vor: Er habe ihn 2012 versucht zu vergewaltigen. «Ich habe so eine Aggressivität, die er an den Tag legte, noch nie in meinem Leben gesehen», sagt Henfling. Der Pfarrer ist heute noch im Bistum Chur tätig.

Annalena Müller

Herr Henfling, Sie haben im «SonntagsBlick» unter anderem einem Schweizer Priester versuchte Vergewaltigung vorgeworfen. Haben Sie Anzeige erstattet?

Josef Henfling*: Ja, zusammen mit Dr. Wolfgang F. Rothe habe ich am 20. November beim Bistum Chur und der zuständigen Staatsanwaltschaft Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung erstattet. Da der Tatbestand nicht verjährt ist, dürfte bald ein Verfahren eröffnet werden.

Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur
Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur

Die Vorfälle haben sich im Jahr 2012 ereignet. Warum haben Sie erst jetzt Anzeige erstattet?

Henfling: Ich konnte vorher nicht. Wie Sie im Bericht des «SonntagsBlick» lesen konnten, war die versuchte Vergewaltigungen durch Pfarrer Andreas** (Pseudonym) nicht der einzige Missbrauch, den ich in dem rechtskonservativen Kirchenumfeld, in dem ich aufgewachsen bin, erlebt habe. Aber die Ereignisse in der Schweiz haben bei mir 2012 das Fass zum Überlaufen gebracht.

Wie hat sich das geäussert?

Henfling: Ich wurde schwer depressiv. Ich habe mich quasi acht Jahre schlafen gelegt.

«Ich will, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.»

Erst seit 2020 geht es mir besser, und ich habe die Kraft zu kämpfen. Ich will, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Pfarrer Andreas ist im Bistum Chur inkardiniert. Sie werfen ihm versuchte Vergewaltigung in zwei Fällen vor. Was genau ist geschehen?

Henfling: Der erste Vorfall ereignete sich in Deutschland. Wir haben dort übernachtet und mussten uns ein Zimmer teilen. Ich weiss nicht mehr, ob aus Kostengründen oder weil es von der Hotelbelegung nicht anders ging. Aber ich erinnere mich, dass ich ihm damals sagte, dass es für mich kein Problem sei, wir könnten ja die Betten auseinanderziehen…

«Er hat mich aufs Bett geworfen und mich am Hals geküsst .»

…Aber das wollte er nicht?

Henfling: Nein. Als wir am Abend auf das Zimmer sind, ist er über mich hergefallen. Er hat mich aufs Bett geworfen und mich am Hals geküsst und wollte mich ausziehen. Ich konnte mich befreien und bin weggelaufen.

Was haben Sie dann gemacht?

Henfling: Ich lief die ganze Nacht durch die Stadt. Als ich am nächsten Morgen zurückkam, tat er so, als wäre nichts. Wir sind dann zurück in die Schweiz gefahren.

Sie waren damals Ende 20 – warum sind Sie nach dem Vorfall wieder mit ihm zurückgefahren?

Henfling: Ich war auf ihn angewiesen. Auch finanziell. Er hatte mir da gerade eine Stelle bei dem katholischen Sender K-TV verschafft. Für mich war das eine grosse Chance, die ich nicht verlieren wollte. Und ich hatte sonst niemandem, zu dem ich hätte gehen können.

Joseph Henfling ist sehr katholisch aufgewachsen.
Joseph Henfling ist sehr katholisch aufgewachsen.

Woher kannten Sie Pfarrer Andreas?

Henfling: Ich kannte ihn damals schon recht lange. Seit meiner Internats- und Schulzeit. Während der Schule war ich bei der Katholischen Pfadfinderschaft Europas aktiv. Die Gruppe hatte Verbindungen zum Jugendbund «Feuerkreis Nikolas Von Flüe»…

… einer strengkatholischen Pfadi-Bewegung, die nicht Teil der «Pfadibewegung Schweiz» ist

Henfling: … Pfarrer Andreas war der geistliche Betreuer des «Feuerkreis». In diesem Kontext kannte ich ihn seit 2004. Daher habe ich mir auch nicht viel dabei gedacht, als er mir 2012 die Stelle bei K-TV in Gossau vermitteln wollte.

«Ich habe versucht, alles zu verdrängen, einfach nicht mehr dran zu denken.»

Wie ging es nach dem Vorfall im Hotel weiter?

Henfling: Ich habe zunächst versucht, alles zu verdrängen, einfach nicht mehr dran zu denken. Ich bin auch so erzogen worden. Also, dass man Priester nicht hinterfragt. Und ich war weiterhin auf Pfarrer Andreas angewiesen. Aber dann hat er es nochmal versucht.

Was genau ist passiert?

Henfling: Das war bei mir in der Wohnung in Gossau, die zur Verfügung gestellt wurde. Er kam in den frühen Morgenstunden zu mir. Und bedrängte mich sexuell. Neben dem Bett stand ein Flachbildfernseher. Ich habe den Bildschirm genommen und ihm über den Kopf gehauen. Da hat er von mir abgelassen.

Wie ging es dann weiter?

Henfling: Zunächst ganz normal. Ich ging zur Arbeit und tat so, als wäre nichts. Aber in Wirklichkeit war das alles ein grosser Schock für mich.

«Ich habe so eine Aggressivität noch nie in meinem Leben gesehen. Und dazu von einem als konservativ geltenden Priester.»

Ich habe so eine Aggressivität, die er an den Tag legte, noch nie in meinem Leben gesehen. Und dazu von einem als konservativ geltenden Priester. Das war das für mich ein absolutes Schockerlebnis. Irgendwann habe ich meine damalige Freundin angerufen, die in Wien studierte. Sie hat sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte und kam zu mir nach Gossau. (Anm. der Red.: Auf Anfrage von kath.ch bestätigt die Frau, dass sie damals zu Henfling reiste).

Wann haben Sie gekündigt und die Schweiz verlassen?

Henfling: Relativ kurze Zeit später. Es gab einen weiteren Vorfall, dieses Mal beim Sender K-TV mit dem früheren Bischof Walter Mixa. Da bin ich dann geflohen. Zunächst nach Wien zu meiner Freundin. Ich habe versucht, eine neue Stelle zu finden. Aber ich bin in die Depression abgerutscht und habe irgendwann gar nichts mehr hinbekommen. Meine Freundin hat sich schliesslich von mir getrennt. Ihre letzten Worte zu mir waren: «Du und dein Gott».

Missbrauch, Übergriff
Missbrauch, Übergriff

Sie waren lange im rechtkatholischen Milieu beheimatet. Glauben Sie, dass Pfarrer Andreas weitere Personen belästigt hat?

Henfling: Ja, das glaube ich. Ich weiss von einem Kollegen, bei dem er Ähnliches versucht hat. Und ich denke, es wird weitere Fälle geben. Deswegen ist es wichtig, dass sich alle Betroffenen melden – beim Bistum und der Staatsanwaltschaft. Denn Pfarrer Andreas ist heute noch im Kirchendienst aktiv.

Sie haben Ihren Fall beim Bistum Chur gemeldet, wo Pfarrer Andreas inkardiniert ist. Haben Sie schon etwas gehört?

Henfling: Nein, bisher habe ich vom Bistum keine Reaktion erhalten.

*Josef Henfling (39) wuchs bei Pflegeeltern in Bayern auf. Er wurde streng religiös erzogen. Insgesamt wirft Henfling vier Kirchenmännern sexuelle Übergriffe vor. Henfling hat mit Hilfe des Priesters und Kirchenrechtlers Dr. Wolfgang F. Rothe Strafanzeige gestellt hat. Diese liegen kath.ch vor.

** Pfarrer Andreas ist ein Pseudonym, das der «SonntagsBlick» verwendet hat. Der wirkliche Name des Pfarrers ist der Redaktion bekannt. Er war zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen. Es gilt die Unschuldsvermutung. (geändert 30.11.2023, 09:17: Die Wohnung in Gossau wurde Josef Henfling laut eigener Aussage vom Pallotinerorden zur Verfügung gestellt.)


Joseph Henfling erhebt schwere Vorwürfe – auch gegen einen Churer Priester. | © zVg
29. November 2023 | 17:30
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!