Jean-Marie Lovey ist Bischof von Sitten und Augustiner-Chorherr.
Schweiz

Missbrauchstäter konzelebriert – Bischof Jean-Marie Lovey schweigt

Aufregung im Wallis: Ein Augustiner-Chorherr hat einen zwölfjährigen Jungen missbraucht. Trotzdem erscheint er zur Priesterweihe eines Mitbruders. Der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, ist selbst Augustiner-Chorherr – und schweigt.

Raphael Rauch

Seit Monaten sorgen die Augustiner-Chorherren vom Grossen Sankt Bernhard für Schlagzeilen. Es geht um mehrere Missbrauchsfälle

Missbrauchstäter legt seinem Mitbruder die Hände auf den Kopf

Nun gibt es eine neue Wendung: Ein Chorherr, der einen zwölfjährigen Jungen missbraucht hat, ist Ende August zur Priesterweihe eines Mitbruders in Le Châble VS erschienen. «Der beschuldigte Ordensmann soll sich selbst zur Priesterweihe eingeladen haben», berichtet cath.ch. Wie bei einer Priesterweihe üblich, bekam der Diakon von seinem Mitbruder auch die Hände auf den Kopf gelegt.

Hier sind die Augustiner-Chorherren zuhause.
Hier sind die Augustiner-Chorherren zuhause.

Im April war bekannt geworden: Der Augustiner-Chorherr hat Anfang der 1980er-Jahre einen Schüler im Alter von zwölf Jahren des Internats Collège Champittet in Pully VD mehrfach sexuell missbraucht. 

Innerhalb der Gemeinschaft darf der Täter nach wie vor die Messe feiern

Die Anwesenheit des Missbrauchstäters im Altarraum sorgt im Wallis für Empörung. Laut Medienberichten ist der Priester «aus freien Stücken zur Messe gegangen, ohne jemanden zu benachrichtigen».

Jean-Michel Girard
Jean-Michel Girard

Jean-Michel Girard ist der Propst der Augustiner-Chorherren vom Grossen Sankt Bernhard. Solange die kanonische Untersuchung nicht abgeschlossen sei, könne sein Mitbruder weiterhin die Messe feiern – allerdings nur innerhalb der Gemeinschaft. Allerdings sei für ihn die Priesterweihe keine gemeinschaftliche Veranstaltung gewesen, sagt Girard.

Es gilt die Unschuldsvermutung

Bischof Jean-Marie Lovey verweist gegenüber cath.ch auf die Unschuldsvermutung. Gleichwohl räumt er ein: «Ich hätte mich wohler gefühlt, wenn er nicht da gewesen wäre.»

Bischof Jean-Marie Lovey im Kloster Einsiedeln an der nationalen Synode.
Bischof Jean-Marie Lovey im Kloster Einsiedeln an der nationalen Synode.

Das Opfer, das heute 50 Jahre alt ist, zeigt sich gegenüber der Zeitung «Le Nouvelliste» schockiert: «All dies zeigt mir, dass der betreffende Priester das Ausmass des Leids, das er mir zugefügt hat, in keiner Weise erkannt hat. Es beweist aber auch, dass sich entgegen meiner Annahme weder der Bischof noch der Propst der wahren Schwere der Taten ihres Mitbruders bewusst sind.» 

Opfer wirft Bischof Jean-Marie Lovey Feigheit vor

Das Opfer wirft den Verantwortlichen Feigheit vor: «Sie wagten es nicht, ihm zu verbieten, bei der Priesterweihe aufzutreten. Dies führt dazu, dass Pädokriminelle so viel Schaden anrichten können und dabei ein reines Gewissen haben. Ohne eine echte Strafe kommt es selten zu einer wirklichen Bewusstseinsbildung.» Bischof Jean-Marie Lovey wollte sich auf Anfrage von kath.ch nicht zu den Vorwürfen äussern. 

Der Grosse Sankt Bernhard
Der Grosse Sankt Bernhard

Und was sagt der Priester, der am 27. August geweiht worden ist? «Ich habe die Anwesenheit des Mitbruders erst bemerkt, als er mir die Hände aufgelegt hat. Das war nicht der richtige Moment, um ihn abzuweisen. Wenn ich ihn vor der Messe gesehen hätte, hätte ich ihm brüderlich gesagt, dass seine Anwesenheit in der Kirche als Priester nicht gut kommt.»


Jean-Marie Lovey ist Bischof von Sitten und Augustiner-Chorherr. | © Thomas Andenmatten
7. September 2022 | 06:30
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