Auch Roland Jaquenoud wird Missbrauch vorgeworfen.
Schweiz

Missbrauchsskandal in Saint-Maurice: Auch Prior Roland Jaquenoud wird beschuldigt

Das Westschweizer Fernsehen RTS hat einen Missbrauchsskandal in der Walliser Abtei Saint-Maurice enthüllt. Neun Chorherren wurden am Sonntag in der RTS-Sendung «Mise au point» des Missbrauchs oder der Pädokriminalität beschuldigt – unter ihnen der aktuelle Prior Roland Jaquenoud. Dieser vertritt Abt Jean Scarcella, der wegen Missbrauchsvorwürfen sein Amt vorläufig sistiert hat.

Regula Pfeifer

Prior Roland Jaquenoud hat erst vor kurzem seine «Verwunderung über das Ausmass der Missbräuche» in der Abtei Saint-Maurice geäussert, wie es bei RTS online heisst. Dabei stehe er selbst im Zentrum eines Falls von sexuellem Missbrauch.

Vorwurf: Novizen zum Geschlechtsverkehr gezwungen

Der Chorherr soll 2003 einen ihm direkt untergebenen Novizen zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben. Der Betroffene schilderte die Situation gegenüber RTS bei einem Telefonanruf. Es gilt – wie üblich – die Unschuldsvermutung.

Missbrauch, Übergriff
Missbrauch, Übergriff

Andere Novizen informierten den Vatikan über den Vorfall. Dieser entsandte einen französischen Abt, um Nachforschungen anzustellen. Daraufhin übte der Vatikan Druck auf die Abtei aus, den Fall Jaquenoud zu lösen. Diese entsandte den Chorherrn 2004 als Missionar nach Kasachstan. Opfer und Zeugen – drei Novizen und ein Diakon – verliessen die Abtei.

Leitungsfunktion trotz Vorgeschichte

2015 kehrte Jaquenoud ins Wallis zurück. Trotz Vorgeschichte wird er Prior von Saint-Maurice. Und im September 2023 übernimmt er die Leitung der Abtei, nach dem vorübergehenden Amtsverzicht von Abt Jean Scarcella, gegen den ebenfalls eine kanonische Untersuchung wegen sexueller Übergriffe läuft.

Abt Jean Scarcella von Saint-Maurice lässt sein Amt bis zum Abschluss der Voruntersuchung ruhen.
Abt Jean Scarcella von Saint-Maurice lässt sein Amt bis zum Abschluss der Voruntersuchung ruhen.

Missbrauch während Klavierunterricht

Jean Scarcella soll in früheren Jahren einen Jugendlichen sexuell belästigt haben. Der Vorfall soll während des Klavierunterrichts geschehen sein. Dies entnimmt RTS einem Schreiben des Priesters Nicolas Betticher, dem ehemaligen Generalvikar des Bistums Lausanne Genf Freiburg, der den Abt denunziert hat. Der Betroffene habe den Vorfall dem Vatikan gemeldet.

Neben den beiden leitenden Augustiner Chorherren beschuldigt die RTS-Sendung weitere Mönche der Abtei Saint-Maurice des sexuellen Missbrauchs. Die meisten Übergriffe haben sich demnach in den Jahren 1995 bis 2005 ereignet. Einige fanden im abteieigenen Gymnasium statt, andere in Pfarreien, in denen die Chorherren tätig waren.

Festfahnen "1500 Jahr Kloster Saint-Maurice" wehen vor der Abtei
Festfahnen "1500 Jahr Kloster Saint-Maurice" wehen vor der Abtei

Die weiteren Missbrauchsfälle

  • Ein Chorherr missbraucht vor einigen Jahren ein zwölfjähriges Mädchen, als er dessen Familie zuhause besucht. Die Familie zeigte ihn an, doch der Fall wurde eingestellt.
  • Ein Internatsschüler des abteieigenen Gymnasiums wird – vor rund 40 Jahren als Kind – von zwei Chorherren vergewaltigt. Und zwar in der Sakristei – bei den Vorbereitungen auf die Morgenmesse.
  • Ein anderer Chorherr wird 1994 von der Walliser Polizei verhaftet, nachdem er kinderpornografisches Material bestellt hat. Er kommt mit einer Warnung davon. 1997 wird derselbe Chorherr verhaftet, weil er zwei Kinder im Alter von 11 und 12 Jahren sexuell missbraucht habe. Der Priester wird zu 15 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und in den Laienstand zurückversetzt.
  • Ein weiterer Chorherr missbraucht einen Jungen bei dessen Grossmutter zuhause im Jura, dies in den 1970er-Jahren.
  • Ein anderer Chorherr wird 1999 und 2004 verhaftet. Erst das zweite Mal reagiert die Abtei. Der Chorherr muss die Pfarrei verlassen. Er erhält zudem ein Verbot von Tätigkeiten mit jungen Gläubigen.

In allen erwähnten Fällen gilt – bis zu einer offiziellen Verurteilung – die Unschuldsvermutung.

Die Recherche startete die Redaktion von  «Mise au Point» – gemäss eigenen Angaben – nach der Publikation der Pilotstudie der Universität Zürich zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche der Schweiz. Sie stützt sich dabei auf Aussagen der Opfer, Gerichtsakten und Kirchenarchive. Und auf anonyme Hinweise von ehemaligen Ordensleuten von Saint-Maurice und Vertrauenspersonen in der Abtei.

Kath.ch nennt in diesem Bericht nur die Leitungspersonen der Abtei mit vollem Namen.


Auch Roland Jaquenoud wird Missbrauch vorgeworfen. | © zVg
20. November 2023 | 14:00
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