Mentari Baumann auf der Zurich Pride, 2022
Schweiz

Mentari Baumann: «Die Bibel ist für alle da»

Anlässlich der Luzerner Pride haben Mentari Baumann und Meinrad Furrer eine «queere» Bibel gestaltet. In der Bibel «gibt es viele Texte, die man anders lesen kann.» Ziel sei es nicht, die Bibel umzuschreiben, sondern zu «zeigen, dass es in der Bibel für jeden etwas hat».

Annalena Müller

Was ist eine queere Bibel?

Meinrad Furrer*: Eine queere Bibel ist eine ganz normale Bibel. In unserem Fall eine Zürcher Bibel, die wir neu eingebunden haben. Zu ausgewählten Texten haben wir Kommentare, Interpretationen oder Inspirationen verfasst und diese physisch reingelegt.

«In der Josephsgeschichte trägt ein Mann ein Prinzessinnenkleid.»

Meinrad Furrer

Wie kann ich mir das vorstellen?

Furrer: Es gibt in der Bibel viele Geschichten, die man hinsichtlich einer queeren Identität lesen kann. Zum Beispiel die Josephsgeschichte. Dort wird ein Mann beschrieben, der ein Kleid trägt, das sonst Prinzessinnen zugeschrieben wird. Wir sagen, das ist eine queere Identität. Oder die Schöpfungsgeschichte, die lange als heteronormative Geschichte gelesen wurde. Aber sie beschreibt ja eigentlich ein ständiges Dazwischen.

Meinrad Furrer hält den EInband der Queerbibel in die Kamera
Meinrad Furrer hält den EInband der Queerbibel in die Kamera

Was meinen Sie mit dem «Dazwischen»?

Furrer: Es gibt zwischen den Polen männlich und weiblich, zwischen Land und Wasser, Tag und Nacht noch viele andere Aggregatzustände. Es ist immer ein Kontinuum aufgetan, viele Graubereiche zwischen Schwarz und Weiss. Und das ist bei männlich und weiblich genauso.

Wer von Ihnen kam auf die Idee, das Projekt einer queeren Bibel zu machen?

Mentari Baumann**: Meinrad und ich haben vor einer Weile ge-brain-stormed, was wir an der Pride in Luzern machen könnten. Uns war klar, dass wir als religiöse Gruppe zusammen mit anderen Christen und Christinnen einen Stand machen wollen. Und dann haben wir uns gefragt, was wir uns früher gewünscht hätten, als christlich-queere Jugendliche.

«Es gibt viele Texte, die man anders lesen kann und die einem dann ganz viel sagen können.»

Mentari Baumann

Eine Bibel-Lesestunde an der Pride?

Baumann: Informationen, wie man diese Texte, die in der traditionellen Auslegung so wenig mit der queeren Identität zu tun haben, anders lesen kann. Und es gibt viele Texte, die man anders lesen kann und die einem dann ganz viel sagen können.

«Wir sind in der Schweiz mit anderen queeren Menschen in der Kirche vernetzt.»

Mentari Baumann

Wie seid ihr dann auf die Texte gekommen, die man auch queer lesen kann?

Baumann: Meinrad und ich sind in der Schweiz mit anderen queeren Menschen in der Kirche vernetzt und da haben wir von dem Projekt erzählt und auch sonst in unserem Umfeld. Da kamen dann sehr schnell sehr viele Ideen und auch Kommentarvorschläge für ausgewählte Texte.

Online-Interview von Annalena Müller (oben) mit Meinrad Furrer (Mitte) und Mentari Baumann (unten)
Online-Interview von Annalena Müller (oben) mit Meinrad Furrer (Mitte) und Mentari Baumann (unten)

Habt ihr die gesamte Bibel queer-kommentiert?

Baumann und Furrer: (lachen) Nein, nein!

Baumann: Vielleicht sind wir soweit, wenn wir nächstes Jahr vor der Pride wieder miteinander reden.

«Das Projekt soll immer weiterwachsen.»

Mentari Baumann

Kath.ch fragt dann nochmal nach…

Baumann: Gut! Denn es ist auf jeden Fall der Anfang eines Projektes, das immer weiterwachsen soll.

Furrer: Genau, aber noch sind wir am Anfang. Wir haben jetzt einen Einband entworfen, morgen werden wie unsere Bibel damit einbinden. Bei den Stellen, zu denen wir etwas Queeres gemacht haben, legen wir die neuen Texte über die alten, so dass beide lesbar sind.

Heiliger Geist vor Regenbogen-Vorhang - in Peterskapelle Luzern
Heiliger Geist vor Regenbogen-Vorhang - in Peterskapelle Luzern

Baumann: Ja, das ist wichtig – wir ändern nichts, wir überkleben nicht den Bibeltext, sondern fügen etwas hinzu.

Keine biblische Cancel-Culture, also?

Baumann: Nein, keinesfalls! Wir wollen ja nichts ändern oder verdrängen. Wir wollen öffnen und zeigen, dass es in der Bibel für jeden etwas hat. Die Bibel ist für alle da.

*Meinrad Furrer ist der Leiter des Teams Peterskapelle der katholischen Kirche der Stadt Luzern.

**Mentari Baumann ist Geschäftsführerin der kirchlichen Reformbewegung Allianz Glaubwürdig Katholisch.

Angaben über die Präsenz der Kirchen an der Pride Luzern sind hier nachzulesen.


Mentari Baumann auf der Zurich Pride, 2022 | © Raphael Rauch
25. August 2023 | 12:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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