Meinrad Furrer
Schweiz

Meinrad Furrer zu #OutInChurch: «Die queeren Menschen in der Kirche reden selber»

Meinrad Furrer* hat die ARD-Dokumentation über das Outing von 125 queeren Menschen in Deutschlands katholischer Kirche gesehen. In seinem Gastbeitrag schreibt der schwule Seelsorger, warum diese Stunde für ihn «so wohltuend» gewesen sei.

«Wie Gott uns schuf.» Eben habe ich diese Dokumentation gesehen. Ich bin mir ja gewohnt, mein Gesicht zu zeigen und meine Stimme zu erheben, wenn ich finde, dass eine Veränderung nötig ist. Ich muss aber auch gestehen, dass sich dies manchmal recht einsam anfühlt. Deshalb war diese Stunde so wohltuend. 125 Menschen stehen hin und sagen: Ich bin queer und ich bin verbunden mit dieser katholischen Kirche und ich habe mein Engagement noch nicht aufgegeben.

«Mit der Angst spielen immer wieder mächtige Menschen, so auch in der Kirche.»

Das ist unschätzbar wertvoll: Es wird nicht über die queeren Menschen in der Kirche geredet. Sie reden selber. Wirkliches Hinhören, wirkliche Begegnung ermöglichen neues Denken. So der Titel eines Kapitels im kürzlich erschienen Buch «Katholisch und Queer». Dort berichtet ein Bischof, wie die Begegnung mit queeren Menschen ihn verändert hätten und dass daraus Taten folgen sollen.

Ich habe von kirchlichen Verantwortungsträgern schon öfters gehört, dass es in der Kirche keine Angstkultur gäbe. Wer diesen Film gesehen hat, weiss, dass dies nicht stimmt. Ich weiss, dass dies nicht stimmt. Mit der Angst spielen immer wieder mächtige Menschen, so auch in der Kirche. Das Frauenpaar, das nach 40 Jahren merkt, dass gewisse Ängste unbegründet sind, hat mich zu Tränen gerührt. Die Versteckspiele, die aus solchen Ängsten rühren, müssen aufhören. Sie machen einsam und verhindern Leben.

«Wir haben grad andere Sorgen mit der Glaubwürdigkeit der Kirche.»

Ich habe im Film ein neues Wort gelernt: Loyalitätsobliegenheiten. Damit ist gemeint, dass kirchliche Angestellte sich den kirchlichen Lehren entsprechend verhalten müssen, damit eine Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche ausgeschlossen werden kann.

«Die 125 queeren Menschen machen es der Kirche vor.»

Come on! Wir haben grad andere Sorgen mit der Glaubwürdigkeit der Kirche. Die Kirche könnte glaubwürdiger werden, wenn sie eingesteht, wie massiv sie Menschen in ihrem Leben verletzt. Und wenn nach der Betroffenheit eine Verpflichtung folgt, die Lehren im Licht der theologischen und humanwissenschaftlichen Erkenntnisse zu revidieren. Dazu braucht es Mut zu Risiko und zu wirklicher Freiheit und Verantwortung. Die 125 queeren Menschen machen es der Kirche vor. Sie sind Kirche.

Den letzten Satz des Filmes hätte Paulus nicht besser formulieren können. Ein Priester spricht unter Tränen von der «Freude, in das Land der Freiheit gekommen zu sein».

Meinrad Furrer ist katholischer Seelsorger, zurzeit als Beauftragter für Spiritualität von Katholisch Stadt Zürich, dem Verband römisch-katholischer Kirchgemeinden. Ab 1. Juni leitet er das Team der Luzerner St. Peterskapelle.


Meinrad Furrer | © Vera Rüttimann
25. Januar 2022 | 10:47
Lesezeit: ca. 2 Min.
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