Meinrad Furrer
Schweiz

Meinrad Furrer über den brutalen Mord an Matthew Shepard: «Weil es jeder und jede sein könnte»

Meinrad Furrer liest Texte bei der Schweizer Erstaufführung «Considering Matthew Shepard», einem Werk von Craig Hella Johnson aus dem Jahr 2016. Heute um 17 Uhr wird das Konzert in der Johanneskirche Luzern wiederholt.

Sabine Zgraggen

Die Grundlage des vom Vokalensemble Luzern unter der Leitung von Primin Lang uraufgeführten Stückes, ist die wahre und tragische Geschichte des homosexuellen Studenten Matthew Shepard. Matthew Shepard war 22, als er 1998 aus homophoben Gründen brutal zusammengeschlagen und 18 Stunden lang schwerverletzt an einem verlassenen Zaun in der Prärie von Wyoming (USA) angebunden hing. Ein Martyrium. Der begabte und kulturbefliessene Student, der auch einige Jahre in einem Internat der Schweiz lebte, starb sechs Tage später, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Matthew Shepard liegt sterbend am Boden - gespielt und gesungen von Bariton Tom Muster
Matthew Shepard liegt sterbend am Boden - gespielt und gesungen von Bariton Tom Muster

Standing Ovation in der Johanneskirche Luzern

Nun kommt das von Pirmin Lang meisterhaft umgesetzte Werk erstmals mit zwei ausverkauften Aufführungen in die Johanneskirche Luzern. Die Uraufführung fand am 11.11. statt. Eine zehnminütige Standing-Ovation zollten dem vielschichtigen Werk Respekt, das sich zwischen Musical- Oper- und Gregorianik bewegt und von namhaften Solistinnen und Solisten unterstützt wurde.

Meinrad Furrer lenkt das Erleben

Mittendrin, mit ernsthafter Haltung und felsenfester Stimme, geht und steht Meinrad Furrer und lenkt mit seinen Worten und seiner Haltung das Publikum im Erleben mit.

Meinrad Furrer als Sprecher des Werkes
Meinrad Furrer als Sprecher des Werkes

Meinrad Furrer hatte bereits vor 30 Jahren im Chor des Vokalensembles Luzern, als Theologiestudent, mitgesungen und wurde nun vom neuen Dirigenten und Initianten direkt zur Mitwirkung angesprochen.

Er sagte zu, wenn er die Geschichte aus dem Englischen nicht nur übersetzen, sondern mittels Texten auch aktualisieren könne. Seine Motivation war, dass gewalttätige Queer Phobie zunimmt: «Es könnte jeder und jede sein», sagt er ernst an einer Stelle in der Aufführung. Und wie er es sagte, das geht tief bis auf die Knochenhaut. 

Ein Text zum Weinen

Am Rande erzählt Meinrad, wie er mit dem Text zu arbeiten begann, dass er jedes Mal habe «brüelen müssen». Er habe dabei am eigenen Leib erfahren, von dem er theoretisch wusste, nämlich «Internalisierte Negativität.»

Textbuch von Meinrad Furrer, Sprecher im Werk
Textbuch von Meinrad Furrer, Sprecher im Werk

Das Werk macht aus seiner Sicht genau das, was er sich auch für seine Arbeit wünsche, «es mache sichtbar, klärt auf, bietet aber auch einen Weg an, wie mit all diesen Verletzungen und dieser Gewalt umgegangen werden kann.» Für ihn ist dabei «eine Art Schleuse aufgegangen».

«Wir brauchen heilsame Geschichten. Und dieses Werk ist eine solche Geschichte.»

Meinrad Furrer

Ehrlich gibt er zu: «Aktuell halte ich es fast nicht aus, wie es derzeit in dieser gewalttätigen Welt zu und her geht. Wir stecken das immer so weg, weil wir überleben müssen. Im Alltag überleben wir auch. Aber, wir brauchen heilsame Geschichten. Und dieses Werk ist eine solche Geschichte.»

Standing Ovation in der voll besetzten Johanneskirche, Luzern
Standing Ovation in der voll besetzten Johanneskirche, Luzern

Wer an diesem Samstagabend in der Kirche sitzt, kann erfahren, dass trotz der brutalen Gewalt, die auch szenisch durch den Bariton Tom Muster, dargestellt wird, die Musik in Versöhnlichem mündet.

Es ist eine der grossen Stärken der Inszenierung, dass es Elemente wie aus dem Theater gibt. Zum Beispiel, wenn die Chorleute Holzstecken bringen und in die Erde stecken, so dass ein symbolischer Zaun entsteht. Sie bringen rote Tücher und legen sie auf ihn, als Zeichen seines Martyriums.

Zitate von Hildegard von Bingen

Das Musikwerk ist christlich geprägt, enthält Zitate von Hildegard von Bingen, sucht aber die Verbindung zu allen anderen Religionen. Die ganze Bandbreite bis hin zu sphärischen Klängen aus der Natur sind hier hörbar.

Auftritt von Sopranistin Carmela Konrad und Bariton Tom Muster
Auftritt von Sopranistin Carmela Konrad und Bariton Tom Muster

«Pure Theologie und Seelsorge»

«Pure Theologie und Seelsorge» ist das für Meinrad. An einer entscheidenden Stelle sagt er bei der Aufführung: «Die Sterne, die Sonne, der Mond, sie waren seine Zeugen. Ich fühle mich besser, wenn ich weiss, dass er nicht allein war.»

Als die Polizei an den Tatort trat, lag gemäss Aussage ein Reh bei ihm. Es habe gewirkt, als wäre es die ganze Nacht bei ihm gewesen. Wenn Menschen auch ihr Mitgefühl verlieren, heilt manchmal die pure Schöpfung unsere verwundeten Seelen. (korrigiert, 15.25 Uhr)

Link zu den Konzertangaben


Meinrad Furrer | © Sabine Zgraggen
12. November 2023 | 15:15
Lesezeit: ca. 3 Min.
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